Formel-1-Strecke in Sotschi:Sightseeing bei 300 km/h

Formel-1-Strecke in Sotschi: Die Formel-1-Strecke in Sotschi, direkt vor den olympischen Wettkampfstätten

Die Formel-1-Strecke in Sotschi, direkt vor den olympischen Wettkampfstätten

(Foto: imago sportfotodienst)

Erstmals wird in der Saison 2014 ein Formel-1-Rennen in Sotschi ausgetragen. Die neue Hochgeschwindigkeitspiste ist bei weitem noch nicht fertig und gilt als gefährlich. Sie soll den Bade- und Kurort am Schwarzen Meer über die Olympischen Spiele retten.

Von Carsten Eberts, Sotschi

Wie so oft war Sebastian Vettel der Erste. Im Nieselregen stampfte der Vierfachweltmeister über die neue Strecke, neben ihm David Coulthard, der als Berater bei seinem Rennstall angestellt ist. Vettel setzte sich ins Auto, fuhr einige Meter über den frischen Asphalt, soweit es die Bauarbeiten zuließen. "Ein großartiges Privileg", gab Vettel zu Protokoll. Dann machte er ein Erinnerungsfoto mit Bauarbeitern in einer Baggerschaufel.

Das war im April. Ein halbes Jahr später wäre Vettel noch immer nicht in der Lage, eine ganze Runde über die Rennstrecke in Sotschi zu drehen. Es ist November, wieder regnet es im Sommerkurort am Schwarzen Meer, und vor allem der Start-Ziel-Bereich sieht noch fürchterlich aus: Bagger und Laster rumpeln umher, schieben riesige Sandberge durch die Gegend. Es dröhnt und pfeift, die Arbeiter werden nass, doch sie rackern weiter. Der riesige Schuttberg, der am Start liegt, muss weg.

Zum ersten Mal wird Sotschi im kommenden Jahr Austragungsort eines Formel-1-Rennens. New Jersey, Mexiko und Südkorea wurden in der letzten Ausscheidungsrunde gestrichen, Sotschi hat es in den offiziellen Rennkalender geschafft. Bis 2020 hat Russland zunächst den Zuschlag für den Grand Prix erhalten. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Rennen irgendwann ins prominentere Moskau wandert, sollte dort eine taugliche Strecke gebaut werden.

Doch warum Sotschi? Die Formel 1 wird mal wieder an einen Ort verpflanzt, der sich früher nicht für den Sport interessiert hat. In Abu Dhabi oder Bahrain ist es nicht anders. Sotschi hat keine nennenswerte Sporttradition, aber mächtige Interessen und noch mächtigere Geldgeber - also wird die Tradition eben ans Schwarze Meer geholt.

"Sotschi wird die Heimat des Motorsports in diesem Land", sagt Dimitri Zhurkin, der hier für die Bauaufsicht zuständig ist, auf dem Dach der großen Tribüne. Der Blick ist beeindruckend: Auf der einen Seite die sechs Olympia-Hallen, in denen es im Februar um Medaillen geht, auf der anderen die halbfertige Piste. Dass Sotschi ein Jahrhundert lang ein Kurort war, an dem luftverpestende Abgase nichts zu suchen haben sollten, stört Zhurkin überhaupt nicht.

Für das neue Sotschi ist die Strecke ein Sehnsuchtsprojekt. Eines, das eine bessere Zukunft verspricht. Viele Einwohner fürchten, dass es nach den Winterspielen mit der Konjunktur schnell wieder bergab geht. Das beschauliche Städtchen wurde mit viel Geld auf Olympiatauglichkeit getrimmt. Nach den Spielen verfügt Sotschi über die Infrastruktur einer Metropole und eine Riesenkapazität von 40.000 Hotelbetten. Die Angst ist jedoch, dass viele von ihnen leer bleiben.

Märchenland neben der PS-Piste

Deshalb müssen Attraktionen her, auch nach Olympia, damit die Touristen wiederkommen. Zum Beispiel eine Formel-1-Strecke. Wie auch der Freizeitpark, der nebenan entsteht, ein Kinder-Märchenland direkt neben der PS-Piste, das pro Jahr mehr als eine Million Gäste anlocken soll.

Während Olympia darf auf der Rennstrecke nicht gebaut werden, was nicht schön aussieht, wird abgehängt. In die Gebäude mit den Garagen, die bereits fertig sind, wird während der Winterspiele das Organisationskommitee einziehen. Bis Ende Juli soll die Strecke aber endgültig betriebsbereit sein. Renntermin ist der 12. Oktober 2014, es wird der viertletzte Grand Prix der Saison sein.

Sportlich, und darauf kommt es schließlich auch an, hat die Strecke für die Fahrer ihren Reiz. Stadtkurse gibt es viele, etwa in Valencia oder Monaco. Doch nirgendwo bietet die Strecke den Fahrern eine Sightseeing-Tour an olympischen Objekten vorbei. Die Piste schlängelt sich durch den Olympiapark, links an der Eiskunstlaufhalle vorbei, einmal um die Medal Plaza, um den "Bolschoi"-Eispalast herum, vorbei an der Eisschnelllaufarena zurück zu Start und Ziel. "Einmalig", schwärmt Hermann Tilke, der deutsche Formel-1-Architekt, der bereits zahlreiche Strecken gebaut hat, unter anderem Malaysia, Bahrain, China und Abu Dhabi.

Tilkes jüngster Streich wird mit 5,872 Kilometern die drittlängste im Rennkalender sein, nach Spa und Silverstone. Prägend sind die zahlreichen 90-Grad-Kurven, insgesamt zehn, die die Fahrer zum abrupten Herunterbremsen zwingen. "Die sind gefährlich, steigern aber das Interesse der Zuschauer", sagt Bauleiter Zhurkin stolz. 55.000 Fans auf den Tribünen sollen das Spektakel verfolgen.

Fahrerisches Highlight ist die zweite Kurve nach Start und Ziel, die sich in einem weiten Bogen über insgesamt 180 Grad zieht. Tilke ist mehr als angetan. "Da wird mit mehr als 200 km/h reingefahren, raus geht es mit mehr als 300 km/h", erklärte Tilke der Zeitschrift Auto Motor Sport: "Die wird immer schneller. So eine gibt es glaube ich noch nicht."

Wie bei allem in Sotschi wurde auch die Rennstrecke viel teurer als geplant. 142 Millionen Euro waren von Seiten der russischen Regierung vorgesehen, laut jüngster Berechnungen stiegen die Kosten auf mindestens 260 Millionen Euro. Doch das ist nur Geld. Es geht schließlich um Größeres. Um die Zukunft Sotschis.

Die Recherchereise nach Sotschi wurde von journalists.network organisiert und von den Förderern des Vereins teilweise mitfinanziert.

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