Formel 1:So unvorhersehbar wie lange nicht

Sebastian Vettel und Lewis Hamilton vor der Formel-1-Saison 2018.

Lewis Hamilton (links) und Sebastian Vettel streben beide ihrer fünften Formel-1-Weltmeisterschaft entgegen.

(Foto: Brandon Malone/Reuters)
  • An diesem Sonntag startet in Melbourne die Formel-1-Saison - die Teams beginnen mit dem üblichen Pokern um die eigene Leistungsfähigkeit.
  • Erstmals fahren in der Formel 1 zwei Fahrer mit vier WM-Titeln gegeneinander.
  • Prognosen sind diesmal noch schwieriger, denn die traditionellen Testfahrten in Barcelona wurden bei sehr unüblichen Bedingungen ausgetragen.

Von Philipp Schneider, Melbourne

Irgendwie schmal sieht Sebastian Vettel aus. Als er da sitzt und wartet, neben sich ein leerer Stuhl, wartet auf den Weltmeister. Sind die Schultern schmaler? Oder nur das Gesicht? Vielleicht täuscht auch der Eindruck, die Haare hat er sich abrasiert an den Seiten, drei Finger oberhalb der Ohren sitzt jetzt der Ansatz, der in einem wilden Zacken ausläuft an Vettels Schläfe. Irgendwas zu ändern nach drei Jahren ohne Titel bei Ferrari, kann sicher nicht schaden. Auch wenn das Ergebnis etwas schräg aussieht.

Endlich kommt Lewis Hamilton, fast ganz in weiß. Weiße Hose, weißes Shirt, rote Sneaker, dicke Halskette, die jetzt im Scheinwerferlicht zu glitzern beginnt, dazu kaut er auf einem Kaugummi herum, reicht dem sitzenden Vettel die Hand, beide grinsen sich an, es wirkt ein bisschen wie angeknipst, Hamilton setzt sich hin und legt den Kaugummi vor sich auf den Tisch. So also beginnt sie, die Formel-1-Saison 2018, in der die Rennserie mal wieder was Neues erlebt: Zum ersten Mal duellieren sich zwei viermalige Weltmeister.

Es gehe ihm in diesem Jahr um die "ultimate satisfaction", sagt Vettel kurz darauf, um die ultimative Befriedigung. "Winning with Ferrari." Der Satz wirkt weder schräg noch angeknipst, eher wie vorbereitet. Weil er wohl der Wahrheit entspricht. Vettels Wahrheit.

Ende März bricht über Melbourne der australische Herbst herein. Es ist noch warm genug, dass es die Melbournians an das Ufer der Phillips Bay zieht, in das Partyviertel St. Kilda, wo sich am Strand die Backpacker mit den Künstlern mischen. Wer Glück hat, kann in St. Kilda vom historischen Kiosk auf dem Pier ein paar Zwergpinguine sichten, die es sich zwischen den Felsen gemütlich gemacht haben, das verspricht zumindest der Reiseführer. Mit viel weniger Glück kann man durch den berühmten Eingang des über 100 Jahre alten Luna Parks laufen, um in diesem ohnehin sehr vergnüglichen Viertel zusätzlich auch noch einen Vergnügungspark zu betreten.

Es wäre alles rundum idyllisch am Ende des Sommers in Melbourne, würde nicht tagsüber ein Dröhnen und Donnern durch die Stadt ziehen, von St. Kilda durch den Botanischen Garten und den Albert Park bis hinüber zu den Straßenschluchten entlang des Yarra Rivers. Für die Melbournians gehört das Dröhnen und Donnern so sehr zur Jahreszeit wie das Zwitschern der Vögel und das Fallen der ersten Blätter, sie lassen sich von dem Lärm nicht aufschrecken, sie sind nämlich sehr stolz darauf, dass das Dröhnen und Donnern davon kündet, dass die Formel 1 in ihrer Stadt aus dem Winterschlaf erwacht. Und dass zum letzten Mal diese Spannung in der Luft liegt, die es nur geben kann, bevor das erste Rennen gefahren ist. Weil vorher niemand weiß, nicht einmal die Fahrer, wie schnell ihre Autos sind in diesem Jahr.

"Wir haben alle Gründe, zuversichtlich zu sein, zu diesem Zeitpunkt weißt du aber nicht, wo die anderen stehen", sagt Sebastian Vettel auf der Pressekonferenz vor dem Start des Großen Preis von Australien am Sonntag. Und deswegen ergebe es keinerlei Sinn "zu sagen: Wir zerblasen die anderen".

Schnee und Kälte bei den Testfahrten in Barcelona

In diesem Jahr ergeben Prognosen sogar noch weniger Sinn als üblich, weil die traditionellen Testfahrten in Barcelona bei sehr unüblichen Bedingungen ausgetragen wurden, bei Schnee und Kälte, zudem noch auf einem neu asphaltierten Streckenbelag auf dem Circuit de Catalunya. Bei den Sprinttests über eine Runde wirkte Vettels Ferrari nervöser als der Vorjahres- Wagen; den hatte Mercedes damals bei den Testfahrten besorgt analysiert, weil er so präzise einlenkte in die Kurven. Der neue Ferrari hat sich ab diesem Jahr allerdings den längeren Radstand des Mercedes' aus dem Vorjahr abgeschaut, und nun darf man gespannt sein, ob die Kopie der Scuderia zum neuen Vorbild taugt.

Vor dem Saisonstart stellen alle Teams Hochrechnungen an, sie simulieren die Geschwindigkeit der Konkurrenz über eine ganze Renndistanz, doch selbst wenn sie zu Erkenntnissen kommen sollten, dann geben sie diese nicht preis, weil sie ihre Gegner nicht wissen lassen wollen, wie viel Wissen sie über sie angesammelt haben. Alle pokern, alle taktieren, alle schweigen mehr als sie reden.

Hamilton startet wieder als Favorit in die Saison

Hamilton starte wie im Vorjahr als Favorit in die Saison, sagt also Vettel. Und Ferrari? "Wir sind in guter Form, auch wenn die Form besser sein könnte." Hamilton wiederum lobt den Red Bull und dessen Fahrer Daniel Ricciardo, der am Donnerstag neben Vettel und Hamilton auf dem Podium sitzen darf. "Ich hoffe sehr, dass Lewis recht hat und wir um die WM mitkämpfen können", erwidert Ricciardo artig, der übrigens eher nicht deshalb auf dem Podium sitzt, weil von ihm erwartet wird, dass er um die WM mitkämpft. Sondern weil er in Perth geboren wurde und in Melbourne als einziger Australier startet.

Ohne Überraschung läuft am Donnerstag in Melbourne das Script der ersten Pressekonferenz von Hamilton und Vettel in diesem Jahr, bis ein offenbar sehr mutiger niederländischer Journalist eine Frage stellt, die in weniger liberalen Presserunden einen sofortigen Rausschmiss zur Folge gehabt hätte.

"Glauben Sie, dass der künftige Weltmeister hinter dem Tisch sitzt, oder gerade draußen ist und holländisch redet?"

Hamilton und Vettel blicken sich ungläubig an, es dauert eine Weile, bis sich Vettel als erster zu einer Antwort durchringt. Er murmelt etwas darüber, dass er das ja glauben müsse, sonst säße er wohl fälschlicherweise als Favorit auf dem Podium.

Draußen vor dem Pressezentrum steht kurz darauf Max Verstappen. In der Tat spricht er holländisch, aber auch englisch und deutsch, und in allen drei Sprachen verkündet er eine ähnliche Botschaft.

Wird Verstappen der lachende Dritte?

"Das Auto ist besser als letztes Jahr", sagt der 20-Jährige. Dann beginnt auch er das Pokern. Wie schnell der Red Bull wirklich ist, das sei schwierig zu sagen, "in Barcelona war es kalt und die Strecke neu". Und überhaupt: Er habe ja noch nicht ein einziges Mal den Motor im Qualifikations-Modus gefahren, bei dem die maximale Leistung abgerufen wird. Auch bei Verstappen kam also niemand weiter, der sich schon konkrete Hinweise erwartete.

Auf den Namen "Loria" hat Vettel seinen Ferrari, den SF71H, getauft. Loria tritt die Nachfolge von Gina an, mit der er im Vorjahr fünf Rennen gewann und lange Zeit mithalten konnte mit Hamilton, der seinen Autos traditionell keine Vornamen gibt.

Wie schnell also ist Loria? Am Sonntag gibt es auf diese Frage noch keine finale Antwort. Aber es gibt dann Indizien.

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