Formel 1:Sein Freund, der Sturm

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Ein Regenwunder, ein Crash und eine bittere Revanche: Nach seinem Sieg in Deutschland führt der zuletzt gebeutelte Lewis Hamilton die Formel 1 wieder an - und sprüht vor Zuversicht.

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Das Motorhome, in dem Lewis Hamilton auf Reisen zuhause ist, stand nicht länger auf Asphalt. Es schwamm in einem See aus Regenwasser. Wer dort hin wollte nach dem Rennen, im Vorhaben, das Ziel mit trockenen Socken zu erreichen, der musste die Fähigkeit besitzen, über das Wasser zu laufen. Oder zumindest die Brücke benutzen, die Mitarbeiter von Mercedes improvisiert hatten, indem sie Holzpaletten und Metallträger zu einem Ponton aneinander gereiht hatten. Fast trotzig spien die Regenrinnen noch den letzten Rest Wasser von den Motorhomedächern in den See. Jemand hatte ein Papierschiffchen gefaltet und auf Reisen geschickt, es fuhr nun in dem Flussbett, das man als Fahrerlager gekannt hatte, stromabwärts in Richtung des roten Gebäudes, in dem Ferrari zuhause ist. Es hatte aufgehört zu regnen. Endlich. Nachdem es eine Weile so gewirkt hatte, als würde jemand den Hockenheimring wegspülen wollen, weil ohnehin das letzte Formel-1-Rennen auf ihm gefahren worden war. Lewis Hamilton hatte eine andere Erklärung. Es hatte geregnet, damit er ein Rennen gewinnen durfte, das er eigentlich nicht hätte gewinnen können.

"Heute ist einer der unglaublichsten Tage für mich, weil ... Ich habe gebetet wie immer vor den Rennen, aber diesmal wurde mein Gebet wirklich erhört. Es lässt mich fast ausflippen, aber als ich später diesen biblischen Sturm gesehen habe... Es gab so unglaublich viel negative Energie vor dem Rennen!"

Lewis Hamilton ist tief religiös, er glaubt an Vorbestimmung. Daran, dass Gott einen Plan für ihn hat. Dieses irre Rennen auf dem Hockenheimring, der sich die Pointe für seine letzte Auflage aufgehoben hatte, war aus seiner Sicht kaum anders zu deuten als eine Art Wunder. Sein Rivale war dem Sieg entgegen gerauscht wie einer dieser zuverlässigen Schnellzüge in Japan dem Bahnhof von Yokohama. Dann kam der Regen. Und dann die 52. Runde.

Die Zuschauer sind geflohen, die Rennwagen eingepackt, nur der Sieger Lewis Hamilton strahlt über allem: Der Hockenheimring im Sturzregen. (Foto: Raph Orlowski/Reuters)

Sebastian Vettel, der Führende, fährt ins Motodrom. Dahinter folgt die Sachskurve, eine 170-Grad-Linkskehre, die auf einen rasanten Rechtsknick folgt. Wer sich der Sachskurve nähert, weiß, dass er vorsichtig sein muss. Alle Fahrer wissen das. Erst recht, wenn die Strecke nass ist. Erst recht, wenn der Fahrer weiß, dass er nur noch 15 Runden fehlerfrei durchhalten muss bis zum Rennsieg. Vettel bremst zu spät, die Hinterräder blockieren, sein Ferrari schießt über die Strecke, rammt die Front in eine Werbebande. "Ich habe ein bisschen zu spät gebremst, ich habe schon schlimmere Fehler gemacht", sagt Vettel später. Dann verlässt er fluchtartig die Strecke. Nach der Botschaft: "Ich werde gut schlafen. Es war nicht der schlimmste Fehler, den ich je gemacht habe, aber vielleicht der mit der größten Wirkung."

Ursache und Wirkung: Der Fahrfehler kostet Vettel nicht nur seinen ersten Sieg auf dem Hockenheimring. Er verliert 25 Punkte auf Hamilton und die Führung in der Gesamtwertung, weil der Engländer noch vorfährt von Startplatz 14 an die Spitze. Dass er überhaupt von Platz 14 ins Rennen starten musste, nach einem Hydraulikschaden im Qualifying, das hatte bei Hamilton jene "negative Energie" bewirkt, von der er gesprochen hatte. Das, und die schmerzvolle Erfahrung, Vettel zuvor beim Heimrennen in Silverstone unterlegen gewesen zu sein. Hamilton genoss also nun seine Revanche. Er stieg auf seinen Mercedes, riss die Arme in die Höhe, machte Selfies, auf denen er sehr breit grinste.

Am Sonntag wurden Erinnerungen geweckt an den Abflug des Ferrari-Piloten Sebastian Vettel vor vier Jahren am Hockenheimring. (Foto: Getty Images)

Zu seiner speziellen Geschichte an diesem Tag gehörte auch, dass er noch eine Weile bangen musste um den Rennsieg, ehe er auch in dieser Hinsicht erlöst wurde. 189 Minuten - so lang dauert der Monumentalfilm "El Cid" mit Charlton Heston und Sophia Loren aus dem Jahr 1961 - prüften die Kommissare, in welcher Form sie ein Vergehen bestrafen sollten. Als Vettels Ferrari schon im Kies parkte, lenkte Hamilton seinen Wagen aus der Boxeneinfahrt über den Rasen zurück auf die Strecke. "Stay out", bleib draußen, hatte ihm einer seiner Ingenieure aufs Ohr gefunkt. Allerdings hatte der es als Frage gemeint, nicht als Anweisung. Es war also ein Missverständnis, das dazu führte, dass Hamilton von seinem Plan abwich, die Reifen zu erneuern. Die Fahrt über den Rasen war verboten, Ausnahmen gelten nur bei "höherer Gewalt". Er hätte eine Sekundenstrafe erhalten können, die ihn zumindest hinter den zweitplatzierten Teamkollegen Valtteri Bottas befördert hätte. Die monumental tagenden Kommissare beließen es bei einer Verwarnung. Insbesondere weil Hamilton geständig gewesen sei und es ja eine Konfusion gegeben habe im Team.

Am Sonntag verabschiedet sich die Formel 1 nach dem Rennen in Ungarn in die Sommerpause. Vor seiner Abreise vom Hockenheimring in die nahe Heppenheimer Heimat hinterließ Vettel noch ein paar tapfere Worte und den Hinweis, er sei zuversichtlich, weil sein Auto auf allen Strecken konkurrenzfähig sei. Die Konkurrenz fragt sich seit dem Rennen in Spielberg, wie genau Ferrari jenen spontanen Kraftschub ermöglichte, der den roten Rennwagen gegenüber den silbernen auf den Geraden einen Vorsprung von fünf Zehnteln verschafft, wie Mercedes-Chef Toto Wolff nun vorrechnete. Es geht angeblich um 38 PS Mehrleistung. Und den Vorwurf, dass Ferrari mit den Batterien mehr Energie einspeist als erlaubt. Der Formel-1-Dachverband Fia hat das untersucht und kommt zu dem Ergebnis: alles sauber. Wolff sagt trotzdem: "Eigentlich braucht man für so seinen Entwicklungssprung zwei Jahre." Gut möglich, dass von dieser Seite der kräftigste Sturm wehen wird in der Formel 1.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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