Formel 1: Renault-Affäre:Aus dem Crash wird ein Kriminalfall

Erpressung oder Renn-Intrige? Die Affäre um Piquets Unfall in Singapur 2008 weitet sich aus, Renault erstattet Anzeige gegen die Familie Piquet.

René Hofmann

Noch nimmt er es mit Humor. Demonstrativ sogar. Als sich Formel-1- Vermarkter Bernie Ecclestone an diesem Freitagmorgen im Renault-Motorhome mit Flavio Briatore traf, dem Chef des Rennstalls, den sich der französische Konzern leistet, dauerte es nicht lange, bis sich eine ordentliche Traube vor dem mobilen Gebäude versammelt hatte.

Als Ecclestone nach einiger Zeit aus der Glastüre trat, tat er erstaunt. Was der Auflauf solle, fragte er frech, er habe mit Briatore doch nur über die Queens Park Rangers gesprochen, den britischen Profi-Fußballklub, in den die beiden investierten, als die Zeiten noch besser und sie noch dicke Freunde waren. Inzwischen hat sich das Verhältnis so weit abgekühlt, dass sie sich noch nicht einmal grüßen, wenn sie sich zufällig in einem Restaurant über den Weg laufen. Woran unter anderem die Schlagzeilen schuld sein dürften, mit denen der eine das Geschäft des anderen belastet.

Briatore steht derzeit unter Anklage. Beim Großen Preis von Singapur im vergangenen Jahr soll er seinen Fahrer Nelson Piquet junior, genannt Nelsinho, angewiesen haben, vorsätzlich einen Unfall zu bauen, um seinem Team zum ersten Saisonsieg zu verhelfen. Fakt ist: Piquet verunglückte in Runde 14 an einer Stelle, an der kein Bergungskran stand. Der Unfall hatte zur Folge, dass das Safety Car kreiste. Dies wiederum verschaffte seinen Teamkollegen Fernando Alonso einen Vorteil, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits getankt hatte. Alonso - von Startplatz 15 aus ins Rennen gegangen - gewann.

Kopien der schriftlichen Aussagen, die Nelsinho Piquet dem Automobilweltverband Fia nach seiner Entlassung von Renault am 26. Juli dieses Jahres zukommen ließ, kursieren im Internet. Ihre Echtheit wurde bisher nicht bestritten. In den Dokumenten sagt Piquet junior aus, dass er von Briatore und Chefingenieur Pat Symonds gefragt wurde, ob er bereit sei, sein Rennen fürs Team zu opfern. Ein Befehl zu einem Unfall sei dies nicht gewesen. Weil er wegen Erfolglosigkeit um seine Zukunft in der Formel1 bangte, habe er sich aber unter Druck gefühlt.

Nach der Dreier-Unterredung habe ihm Symonds auf einem Streckenplan eine strategisch günstige Unfall-Stelle gezeigt. Das Funkprotokoll und die Datenaufzeichnung sollen Piquets Ausführungen untermauern. So hat sich der 24-Jährige vor dem Unfall angeblich mehrmals am Funk erkundigt, in welcher Runde er sich befinde. Dies könnte darauf hindeuten, dass er den verabredeten Unfall-Zeitpunkt nicht versäumen wollte. Die Kurven, in denen die Gaspedalstellung und der Lenkwinkel notiert sind, sollen zudem belegen, dass Piquet nicht alles tat, um den Einschlag in die Mauer zu verhindern.

Briatore und Renault widersprechen dieser Darstellung energisch. Das Team und sein Chef teilten am Freitag mit, dass sie in Frankreich Strafanzeige gegen Nelsinho Piquet und seinen Vater Nelson gestellt haben. Sie hätten falsche Anschuldigungen erhoben, die im Zusammenhang stehen mit dem Versuch, eine Weiterbeschäftigung von Piquet junior zu erpressen. Die Gegenoffensive soll auch vor der Polizei in Großbritannien fortgesetzt werden. Wörtlich nennt Briatore Piquets Behauptungen "unerhörte Lügen". Der Fall birgt viel Sprengstoff. Schon jetzt darf das Resultat des Singapur-Rennens als manipuliert gelten - weil Piquet junior ja einen Unfall verursachte, den er nach eigenem Bekunden hätte verhindern können.

Ob das Team ihn dazu anwies, soll am 21.September der Weltrat des Automobilweltverbandes klären. Das Gremium befindet über mögliche Sanktionen. Vor zwei Jahren verurteilte es den Rennstall McLaren-Mercedes wegen Spionage bei Ferrari zur bisherigen Rekordstrafe von 100 Millionen Dollar. Artikel 151c des Sporting Codes gibt den Regelhütern viel Spielraum bei der Urteilsfindung: Er verbietet alles, was den Ruf des Sports beschädigen könnte. Dass dieser gelitten hat, steht schon jetzt fest. Der Fall wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Szene, weil er offenbart, mit welchen Mitteln dort um den Sieg gekämpft wird.

Viele im Fahrerlager trauen es der Mannschaft um Briatore zumindest zu, sich mit einem geplanten Unfall nach vorne zu tricksen. Gerüchte, bei dem Crash sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen, hatte es bereits unmittelbar nach dem Rennen gegeben. "Wir haben in der Nachbesprechung darüber gesprochen", bestätigte BMW-Pilot Nick Heidfeld in Monza, "es sah so aus, als hätte der Unfall Absicht sein können." BMW-Sportchef Mario Theissen ist lediglich davon überrascht, dass die Fia dem Verdacht erst jetzt nachgeht: "Damals", sagte er über den September 2008, "hätte es mich weniger überrascht."

Völlig unwissend gibt sich Fernando Alonso. Der Spanier sagt, er sei von den Entwicklungen überrascht. Und: Er stehe weiter zu Briatore: "Flavio ist einer der Guten hier." Der Große Preis von Singapur findet in diesem Jahr am 27. September statt.

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