Formel 1:Regen in der Wüste

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Abflug in der ersten Runde: Zweimal überschlug sich der Renault von Nico Hülkenberg, ehe er zur Ruhe kam. "Ich hänge hier wie eine Kuh, holt mich aus dem Auto", funkte Hülkenberg.

(Foto: Simon Galloway/imago)

Weltmeister Lewis Hamilton gewinnt das Saisonfinale in Abu Dhabi vor Sebastian Vettel und Max Verstappen. Überschattet wird der Grand Prix von einem Unfall von Nico Hülkenberg.

Von Philipp Schneider, Abu Dhabi/München

Der Renault von Nico Hülkenberg verlor den Kontakt zum Boden. Erst hoben die Räder auf der rechten Seite ab, dann auch die auf der linken. Der Renault drehte sich durch die Luft, in Schräglage, schlug auf und überschlug sich. Er rollte einmal über den Überrollbügel, er rollte ein weiteres Mal über den Überrollbügel, ehe der Rennwagen in einer Werbebande des Hafens von Abu Dhabi wieder zur Ruhe kam. Kopfüber, mit den Reifen in Richtung Himmel. Die Schwerkraft wird Nico Hülkenberg in diesem Moment das Blut in den Kopf gepresst haben, nach diesem heftig aussehenden Unfall, den bei vergleichsweiser langsamer Kurvenfahrt der Haas von Romain Grosjean verursacht hatte. Dessen Reifen hatten sich mit denen des Renaults verhakt und so den katapultartigen Abflug verursacht.

Nachfrage aus dem Kommandostand von Renault: "Alles in Ordnung, Nico?"

"Da ist Feuer, ich hänge hier wie eine Kuh, holt mich aus dem Auto!", antwortete Hülkenberg. Das war eine gute Nachricht. Denn auch wenn das Bild etwas schief war (wer hat jemals eine Kuh hängen sehen?), enthielt es doch Spuren von Humor. Später gab der Weltverband Fia eine Mitteilung heraus: "Der Pilot wurde ordentlich durchgeschüttelt, wir vermuten aber keine Verletzungen." So konnte das letzte Rennen der Saison in Abu Dhabi nach einer kurzen Safety-Car-Phase in der ersten Runde wieder Fahrt aufnehmen. Ein Rennen, an das man sich in Jahren noch erinnern dürfte, weil etwas wahrlich Wundersames geschah: Es regnete in der Wüste. Vielleicht nur sechs, sieben Minuten, aber immerhin. Es regnete allerdings weder lang noch heftig genug, als dass die Formel 1 bei ihrem diesjährigen Epilog noch eine wundersame sportliche Pointe erlebt hätte: Lewis Hamilton gewann im Mercedes vor Sebastian Vettel im Ferrari und Max Verstappen im Red Bull.

Wenn eine Saison in der Formel 1 endet, dann beginnt für Fahrer und Teams die Zeit des Abschiednehmens. Das ist immer so. In diesem Jahr aber gibt es zwei regelrechte Zäsuren.

Kimi Räikkönen, der 39 Jahre alte Teamkollege von Sebastian Vettel, verlässt Ferrari und kehrt zurück zu Sauber, dem Rennstall, wo er einst debütierte in der Formel 1. Es gebe keinen Grund, traurig zu sein, brummte er zum Abschied. Ob er denn noch Antrieb verspüre, seinem Landsmann Valtteri Bottas im letzten Rennen den dritten Platz in der Gesamtwertung zu entreißen? Och nö, sagt Räikkönen: "Dann muss ich ja auch zur Preisverleihung. Auf den Termin kann ich verzichten."

"Ich weiß noch nicht, was ich 2020 machen werde. Das Leben ist lang und schön", sagt Alonso

Fernando Alonso, Weltmeister der Jahre 2005 und 2006, geht gleich ganz. Zumindest vorübergehend. Er verlässt die Formel 1, in der ihm niemand mehr ein wettbewerbsfähiges Auto anbieten wollte, um dorthin zu gehen, wo er noch zu Ehren und Pokalen kommen kann: Er strebt nach der sogenannten "Triple Crown" des Motorsports, die derjenige gewinnt, der bei den drei bedeutendsten Rennen der Welt der Schnellste war: in Monaco, in Le Mans und bei den Indy 500. Dies gelang bislang nur dem Briten Graham Hill. Alonso fehlt nur noch der Sieg in Indianapolis. Selbstredend ist Alonso schlau genug, sich ein Türchen offenzuhalten, durch das er sich, wenn nötig, auch wieder zurückschleichen könnte in die Formel 1: "Ich weiß noch nicht, was ich 2020 machen werde", sagte er: "Das Leben ist lang und schön. Die Formel 1 werde ich immer lieben. Also kann ich nicht ausschließen, dass ich als Fahrer, Vater, Weltverbandschef, oder was auch immer, wieder hier sein werde." Da Alonso, nach allem, was man weiß, noch keine Kinder hat, ein Nachkomme 2020 also noch zu jung fürs Cockpit wäre; und weil der Weltverband möglicherweise zu verhindern wüsste, dass Alonso sein Chef wird, bliebe die Option eines Comebacks als Fahrer.

Zum Abschied parkten die drei besten Teams der Saison jeweils in einer eigenen Reihe. Ganz vorne standen die Mercedes, dahinter die Ferraris, dann die Red Bulls. Max Verstappen startete als einziger Fahrer in der Spitze der besten sechs auf der weichsten, schnellsten, wenngleich vergänglichsten aller Reifenmischungen, den Hypersoft. Schnell vorbei wollte er gleich nach dem Start, doch der Plan ging mächtig schief. Verstappen verlor vier Plätze, wurde durchgereicht auf Position zehn.

In der siebten Runde blieb Räikkönen liegen ("Ich habe keine Power!"), als wolle er auf Nummer sicher gehen, bloß nicht Gesamtdritter zu werden und zur Preisverleihung reisen zu müssen. Das virtuelle Safety-Car wurde aktiviert, und Hamilton nutzte die Gelegenheit zu einem frühen Reifentausch. Gerade noch hatte er in Führung gelegen, nun fuhr er auf Rang fünf. Mit diesen Reifen solle er nun ins Ziel rollen, funkte der Kommandostand von Mercedes. Vettel hielt nach 16 Runden an seiner Versorgungsstation, sortierte sich hinter Hamilton wieder ein. Und ganz vorne fuhr Daniel Ricciardo, der auch nach 33 Runden noch keine Anstalten machte, sich neue Reifen zu holen, nachdem sie ja bei Red Bull in den vergangenen Rennen festgestellt hatten, dass der Gummi-Verschleiß an ihren Wagen im Vergleich zur Konkurrenz mit Abstand der geringste gewesen war.

Als es zu regnen begann, hoffte Ricciardo, dass es so nass werden würde, dass alle Fahrer zu einem Stopp an die Box müssten - dann hätte er sich einen Halt gespart. So nass wurde es aber nicht. Ricciardo holte sich nach 34 von 55 Runden neue Pneus, Hamilton führte nun vor Bottas und Vettel. Aber Ricciardo machte auf seinen frischen Reifen ordentlich Tempo.

Nach 38 Runden zwängte sich Verstappen auf der Innenseite vorbei an Bottas, der zuvor schon den zweiten Platz an Vettel verloren hatte; er touchierte den Mercedes, drängte ihn von der Ideallinie. Eine Runde später sauste auch Ricciardo vorbei an Bottas, der seine Reifen so weit abgefahren hatte, dass er ein weiteres Mal halten musste. Und Fernando Alonso?

Der hatte die Punkteränge lange vor Augen, fiel aber nach einer Fünf-Sekunden-Zeitstrafe wegen Abkürzens in der vorletzten Runde noch zurück und wurde Elfter. "Fernando ist eine echte Legende", lobte Hamilton: "Ich bin gefragt worden, ob ich ihn vermissen werde. Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Fahrer vermissen werde. Aber der Sport wird ihn vermissen."

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