Formel-1:Regel gegen Regel

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Schwächere Triebwerke haben Formel-1-Autos Tempo gekostet - neue Reifen machen sie wieder schnell.

René Hofmann

Die Entwicklung war abzusehen gewesen, aber dass sie so schnell ging, hat sogar die Fachleute überrascht. "Als ich in die Formel 1 kam, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal mit Vollgas durch Copse fahre", sagt Juan Pablo Montoya.

Vor sechs Jahren wechselte der Kolumbianer in die Formel 1. Copse ist eine Kurve auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im britischen Silverstone, ein tückischer Rechtsknick am Ende der Zielgeraden. In der vorvergangenen Woche testete Pablo Montoya dort seinen McLaren. Und siehe da: Wo er den rechten Fuß bisher stets hatte vom Gaspedal nehmen müssen, konnte er ihn locker durchgedrückt lassen.

"Weit offen", sagt Montoya, lag die Kurve vor ihm, er musste seinen Wagen bloß hindurchmarschieren lassen - mit knapp 280 Stundenkilometern.

Der Grund für die neue Leichtigkeit des Rasens ist das Reglement. Aus Spargründen schrieb der Automobilweltverband ab 2006 Acht- statt Zehn-Zylinder-Motoren vor. Willkommener Nebeneffekt: Mit den schwächeren Triebwerken sollte die Formel 1 langsamer und sicherer werden.

Um gut eine Sekunden, schätzten die Experten im Winter, würden die Rundenzeiten steigen, und beim Saisonstart in Bahrain kam das auch so. 2005 war Pedro de la Rosa dort in 1.31,447 Minuten die flotteste Rennrunde geglückt. In diesem Jahr lag Nico Rosberg in der Wertung vorne - mit 1.32,408 Minuten.

Seitdem sind erst acht Wochen vergangen, doch die brachten einen eindeutigen Trend: In Australien rückte die Bestzeit bis auf acht Zehntelsekunden an den Vorjahreswert heran, in Malaysia unterbot Fernando Alonso den um gut eine halbe Sekunde. Bei den Tests in Silverstone wurden Zeiten erzielt, die Mitte Juni, wenn die Serie in Mittelengland gastiert, neue Rundenrekorde versprechen, und das gleiche ist am Wochenende in Barcelona zu erwarten.

Auf Schienen in die Mauer

Gerade einmal fünf Monate hat es gedauert, das Vorjahres-Niveau zu erreichen. Geht es im gleichen Tempo weiter, dürften die Autos Ende des Jahres deutlich schneller sein als 2005. "Das überrascht mich nicht", sagt Branchenprimus Michael Schumacher: "Zehn Ingenieure schreiben das Reglement, und hunderte arbeiten dagegen an."

An einigen Stellen sind die Autos heute schon schneller als je zuvor: an den Scheitelpunkten der schnellen Kurven. Wegen der schwächeren Motoren kommen sie zwar etwas langsamer an, nehmen aber mehr Schwung mit in die Biegung. Der Grund dafür ist die geänderte Reifenregel.

2005 waren Pneuwechsel verboten, die vier Gummiwalzen mussten ein ganzes Rennen überstehen. Je länger ein Reifen halten muss, desto strapazierfähiger muss seine Gummimischung sein. Harte Reifen wiederum kleben schlechter und lassen deshalb nicht so hohe Kurvengeschwindigkeiten zu. Weil aber viele Reifen platzten, wurde die Regel wieder geändert. Statt 300 müssen die Pneus in diesem Jahr nur noch gut 100 Kilometer überstehen, entsprechend besser kleben sie.

"Wie auf Schienen" gleite es sich damit durch die Kurve, sagt Ralf Schumacher. "Für uns Fahrer", sagt Fernando Alonso, "sind das schöne Gefühle" - wenn alles gut geht.

Bei Vitantonio Liuzzi ging in Silverstone leider etwas schief. Im Streckenabschnitt Becketts schleuderte er den Red Bull, den er probeweise bewegen durfte, mit 275 km/h gegen eine Wand. Liuzzi blieb unverletzt. Trotzdem drängte sich die Frage auf: Ist die Formel 1 etwa schon wieder zu schnell geworden?

Die meisten Betroffenen wiegeln ab. "So gewaltig sind die Unterschiede nicht", sagt Ferrari-Technikchef Ross Brawn. "Es wirken höhere Fliehkräfte, aber dafür kommt man langsamer an; das gleicht sich aus", sagt Ralf Schumacher. "Das ist unser Job", sagt Juan Pablo Montoya.

Marionetten mit Rückenweh

Es herrscht der Glaube, das Problem werde sich 2007 von selbst lösen. Dann steigt Reifenlieferant Michelin aus und überlässt Bridgestone alleine das Feld. Hersteller von Einheitsreifen hatten bisher nie den Ehrgeiz, ans Limit zu gehen.

Die Rundenzeiten dürften also automatisch steigen, und ab 2008 soll ohnehin ein ganz neues Reglement gelten. Mit einer schnellen Änderung in den laufenden Rennbetrieb einzugreifen, würde außerdem die Gefahr bergen, neues Durcheinander heraufzubeschwören. Einmal kurz an einem Faden gezogen, und das ganze Marionettenspiel gerät durcheinander.

Wie kompliziert der Sport ist, zeigt auch ein anderes Beispiel. Um zu sparen, haben sich alle Teams darauf geeinigt, an maximal 30 Tagen zu testen. Seit das gilt, lassen die Rennställe ihre Piloten jeden Tag von früh bis spät Kreise ziehen. Renault-Fahrer Heikki Kovalainen spulte jüngst an drei Tagen mehr als sechs Grand-Prix-Distanzen ab.

Für Nick Heidfeld und Rubens Barrichello wurde es schon zu viel. Sie mussten Testfahrten abbrechen, weil ihnen der Rücken schmerzte. Während viele der etablierten Fahrer den Irrsinn gerne weiter beschnitten sähen, sind die meisten jungen dagegen: Sie wollen üben dürfen.

© SZ vom 11.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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