Formel 1: Mercedes:Ratlos in der Boxengasse

Während das Red-Bull-Gefährt aufgrund seiner Dominanz für Rätselraten sorgt, grübeln die Verantwortlichen des Rennstalls Mercedes, warum ihr Auto so langsam ist - und finden keine Erklärung.

Jürgen Schmieder

Es gibt einen Werbespot von Mercedes, in dem die Formel-1-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg in einem schicken Restaurant sitzen. Sie bestellen einander Getränke, um sich gegenseitig zu ärgern. Erst kommt eine Flasche Wein, dann eine Flasche Champagner, dann eine noch größere Flasche Champagner. Schließlich bringt der Ober ein Tablett auf den Tisch - und als er das Getränk enthüllt, gucken beide Fahrer angewidert. Es ist eine Dose Red Bull.

Mercedes Formula One driver Schumacher of Germany gestures to fans before the qualifying session of the Australian F1 Grand Prix at the Albert Park circuit in Melbourne

Ratlos nach dem ersten Rennen: Michael Schumacher musste seinen Dienstwagen im 19. Umlauf abstellen.

(Foto: REUTERS)

"Wir freuen uns auf eine spannende Saison 2011", heißt es am Ende des Clips. Nach dem ersten Rennen der Saison in Melbourne ist festzuhalten, dass der einzige realistische Moment dieses Spots die verdutzten Gesichtsausdrücke von Schumacher und Rosberg beim Anblick von Red Bull sind.

Die beiden Mercedes-Piloten mussten von der Box aus zusehen - Schumacher kam in Umlauf 19, Rosberg vier Runden später -, wie der amtierende Weltmeister Sebastian Vettel seinen Dienstwagen zum Sieg steuerte. "Hier haben die Leute von Red Bull zum ersten Mal gezeigt, was sie können", sagte Mercedes-Sportchef Norbert Haug nach dem Rennen. Er klang dabei ein wenig resigniert.

Kinky Kylie nennt Vettel sein Gefährt, "weil sie einen knackigen Hintern hat". Doch das aerodynamische Geheimnis des RB7, so der offizielle Name der siegreichen Autos, liegt wohl eher weiter vorne. Der Frontflügel neigt sich bei voller Fahrt nach unten - und die Konkurrenz rätselt, wie das funktioniert, weil die Nase bei stehendem Auto äußerst stabil ist und deshalb für legal befunden wurde. Bewegliche aerodynamische Hilfsmittel sind nämlich verboten.

Nun rätselt die Konkurrenz, und sollte sie den Kniff entschlüsseln, dann sind zwei Szenarien denkbar: Entweder wird hemmungslos nachgebaut - oder es wird Protest eingelegt.

Michael Schumacher gibt seinen Dienstwagen keinen Spitznamen, was wahrscheinlich daran liegt, dass er jahrelang für den Rennstall Ferrari tätig war und der italienische Flitzer seit Jahren per definitionem den Beinamen Rote Göttin trägt. Das Auto, in dem Schumacher am Wochenende saß, trägt den sperrigen Namen MGPW02 - und wie Kinky Kylie gibt auch dieses Gefährt Rätsel auf, allerdings deshalb, weil es so arg langsam ist.

Rätselraten wegen der Langsamkeit

"Ich war am Freitag noch total optimistisch", sagt Nico Rosberg. "Als ich abends ins Hotel ging, hatte ich ein großes Lächeln im Gesicht. Ich dachte, da geht was. Da ging aber nichts." Teamchef Haug wurde noch deutlicher: "Außer Spesen nichts gewesen." Freilich funktionierten an diesem Wochenende einige Dinge nicht so wie geplant - beim Training streikte erst der bewegliche Heckflügel und dann Kers -, doch auch ohne die Probleme wäre Mercedes kaum in der Lage gewesen, unter die ersten fünf zu fahren.

Das Erstaunliche an diesem MGPW02 ist nicht nur, dass er augenscheinlich nicht so konkurrenzfähig ist wie vermutet, sondern dass bei Mercedes anscheinend keiner weiß, warum das Auto nicht so konkurrenzfähig ist wie vermutet. "Es ist nicht klar, warum wir so langsam sind", sagt Rosberg. Fahrer und Verantwortliche wirken erschreckend ratlos nach diesem ersten Grand Prix.

Der MGPW02 ist das kürzeste aller Formel-1-Autos in dieser Saison, die Seitenkästen kommen extrem kompakt daher, die Hinterachse wurde so umgebaut, damit der nach vorne verlegte Auspuff seine aerodynamische Wirkung entfachen kann. Es ist kein spektakuläres Detail dabei wie etwa die Frontpartie des Red Bull, es sollte vielmehr ein Gesamtkonzept sein, das von Beginn an konkurrenzfähig ist. Das ist es offensichtlich nicht.

Schon bei den Wintertests hatte es Probleme und unerwartete Defekte gegeben, erst in der dritten Testwoche konnten die Mitarbeiter mit dem Feintuning beginnen. Als Michael Schumacher dann kurz vor Saisonstart eine Bestzeit in Barcelona gelang, waren die Mitarbeiter fast euphorisch. "Wenn alles in die richtige Richtung läuft, können wir vielleicht überraschen", hatte Teamchef Ross Brawn gesagt. Offensichtlich lief am Wochenende vieles in die falsche Richtung.

In Panik will der Rennstall dennoch nicht verfallen, es soll keine verzweifelten Aktionen geben. "Es wird Upgrades für Istanbul und Barcelona geben", sagt Brawn. Wohlgemerkt: Das Rennen in Istanbul findet in sechs Wochen statt, das in Barcelona in acht.

Davor gibt es noch Rennen in Malaysia und Shanghai. Es scheint, als würden die Verantwortlichen von Mercedes nicht unbedingt damit rechnen, auf diesen Strecken ein schnelleres Auto präsentieren zu können. Zwar glaubt Rosberg, dass vor allem die Strecke in Sepang Mercedes-freundlicher sei als die in Melbourne, aber ein Lächeln hatte er sicher nicht auf dem Gesicht, als er am Sonntag ins Hotel ging.

Allein die Filmemacher bei Mercedes dürften sich freuen. Sie müssen keinen neuen Clip drehen. Sie können einfach den alten verwenden und nur den Satz am Ende des Spots ändern in: "Wirklich spannend war es nicht."

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