Formel 1 in Australien:Ferrari stolpert in die neue Saison

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Sebastian Vettel hatte in Australien keine Chance auf den Sieg. (Foto: AP)
  • Durchwachsener Formel-1-Start in Melbourne für Sebastian Vettel: Der Deutsche wird im Ferrari Vierter.
  • Der Finne Bottas gewinnt das Rennen, Weltmeister Lewis Hamilton wird Zweiter.

Von Philipp Schneider, Melbourne

Irgendwann, viele Runden waren es nicht mehr bis zur Ziellinie, da stellte Sebastian Vettel die entscheidende Frage. "Warum sind wir so langsam", funkte er an seinen Kommandostand. "Das wissen wir auch nicht", lautete die Antwort. Das große Grübeln, das bei der Scuderia schon vor ein paar Tagen eingesetzt hatte, war nun fast körperlich zu spüren für die Zeugen dieses Rennens in Melbourne. Und als wenige Minuten später die Mercedes als erste über die Ziellinie in Melbourne rollten, gab es noch eine weitere Überraschung.

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:Vettel verpasst das Podium, Bottas vorne

Beim Saisonauftakt in Melbourne verliert Weltmeister Lewis Hamilton von der Pole die Führung. Sebastian Vettel kollidiert fast mit seinem Teamkollegen - und wird nur Vierter.

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Aus dem schnellsten silbernen Auto des Tages kletterte nicht etwa Lewis Hamilton, der fünfmalige Weltmeister. Sondern Valtteri Bottas, der vormals dreimalige Grand-Prix-Sieger, der sich bislang eher als ehrenwertes Helferchen betätigt hatte in seinem Rennstall. Doch für Vettel gab es noch zwei weitere schlechte Nachrichten am Sonntag: Er wurde nur Vierter, er schaffte es nicht einmal aufs Podium und musste die niedrigste Treppenstufe auf dem Podium dem Red-Bull-Piloten Max Verstappen überlassen.

Und ein bisschen hatte es gegen Rennende sogar danach ausgesehen, als hätte sich sein neuer Teamkollege, der 21-jährige Charles Leclerc, bewusst zurückfallen lassen, um Vettel nicht auch noch vom vierten Platz zu vertreiben. Ferrari erlebte ein Debakel in Melbourne. 34,5 Sekunden hinter Verstappen kam Vettel ins Ziel - und 55 Sekunden hinter Bottas. Der kletterte am Sonntag aus seinem Fahrzeug und grinste das breiteste Grinsen, das man jemals bei ihm gesehen hatte. "Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll. Was da passiert ist. Das war das beste Rennen meines Lebens", sagte Bottas.

Vettel hatte schon in der Qualifikation sieben Zehntel Rückstand auf Hamilton

Ob er etwas Spezielles gefrühstückt habe? Nö, sagte Bottas. "Porridge". Also leckeren Haferschleim. Bottas war ja nicht nur 20 Sekunden vor Hamilton angekommen, er hatte am Schluss auch noch die schnellste Rennrunde vorgelegt, wofür es seit dieser Saison einen extra WM-Punkt gibt. Für den Fahrer und das Team. "I need that Point, bono", funkte Hamilton an Peter Bonnington, seinen Renningenieur. Nachdem Ferrari die Tests in Barcelona noch dominiert zu haben schien, war der Auftritt von Ferrari eine gigantische Enttäuschung. Hamilton war in allen Trainingssessions und auch in der Qualifikation nicht zu schlagen.

Am Sonntag besetzten beide Mercedes die erste Startreihe - Vettel hatte schon in der Qualifikation satte sieben Zehntel Rückstand auf den Engländer. Für Red Bull, die Max Verstappen gleich hinter Vettel und noch vor dessen Teamkollegen Charles Leclerc ins Rennen schicken durften, sah die Welt etwas freundlicher aus. Einerseits freuten sie sich beim Team des Limonadenherstellers über den geringen Rückstand auf Ferrari, andererseits waren sie entsetzt angesichts des riesigen Rückstands auf Mercedes.

"Vor Melbourne war ich der Meinung, wir wären knapp auf dem Level von Ferrari, was auch stimmt", sagte Helmut Marko, Berater bei Red Bull, der SZ vor dem Rennen: "Und dass wir beide vor Mercedes liegen würden, was nicht passiert ist. Wo dieser gewaltige Vorsprung herkommt, ist zum Teil erklärlich, zum Teil aber nicht. Wir hoffen, dass es etwas Streckenspezifisches ist, damit nicht die ganze Saison so einseitig verläuft." In der Tat ist der Kurs im Albert Park speziell. Weil er keine permanente Rennstrecke ist, gibt es weniger Reifenabrieb auf dem Boden, der den Rennwagen Grip verleiht.

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Es gibt auch keine Hochgeschwindigkeitskurven, sondern allenfalls mittelschnelle. Vor dem Rennstart gedachte die Formel 1 des Mannes, der 22 Jahre lang alle Rennen gestartet hatte. Charlie Whiting, seit 1997 Renndirektor der Formel 1, war am Donnerstagmorgen tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden. Im Alter von 66 Jahren war er an den Folgen einer Lungenembolie verstorben. In den Tagen danach hatten die Fahrer Trauerflore getragen, auf den Helmen der Fahrer und auf den Autos klebte die Botschaft: "Thank you Charlie".

Whiting war so lang Herr über das Reglement, dass erst einmal jemand gefunden werden musste, der seine Aufgaben zumindest provisorisch übernehmen konnte. Das machte am Sonntag der Australier Michael Masi, zuletzt Rennleiter der Schwesterserien Formel 2, Formel 3 und Formel E. Die Ampeln gingen aus - und Bottas zog noch vor der ersten Kurve an Hamilton vorbei. Leclerc versuchte gleich in der ersten Kurve ein Überholmanöver bei Vettel, der ließ seinem jungen Teamkollegen aber routiniert wenig Platz. Weiter hinten im Feld krachte es. Allerdings nicht ein Auto gegen ein Auto.

Sondern ein Auto gegen einen leichten Hügel. Ausgerechnet Daniel Ricciardo, der einzige Australier im Feld, empfand es so, dass er auf der Geraden zu wenig Platz hatte. Er wich auf die Wiese aus, dort riss ihm eine Unebenheit zum Leidwesen des Publikums den Frontflügel ab. Er fuhr an die Box, ließ sich einen neuen anschrauben und besorgte sich bei der Gelegenheit gleich einen neuen Satz harter Reifen. Er wollte auf diesen bis ins Ziel rollen. Nach einer Runde führte Bottas vor Hamilton, vor Vettel, Verstappen - und Leclerc. Nach neun Runden hatte Bottas einen Vorsprung von drei Sekunden auf seinen Teamkollegen herausgefahren. Hamilton wiederum lag drei Sekunden vor Vettel.

Und Leclerc? Der leistete sich in der neunten Runde einen kleinen Ausritt ins Kiesbett, der ihn ein paar Sekunden Zeit kostete. Nach zehn Runden wurde Robert Kubica, Letzter des Feldes, erstmals überrundet. Auch der Pole, der im Williams sein erstes Rennen nach acht Jahren fuhr, hatte zwischenzeitlich seinen Frontflügel verloren und erneuert. Und wieder eine Runde später stellte Carlos Sainz seinen McLaren vor der Boxengasse ab und kletterte geschwind aus dem Cockpit. Hinten schlugen kleine Flammen aus seinem Renault-Motor. An der Spitze des Feldes drehten Hamilton und Bottas abwechselnd die schnellsten Runden.

Vettel fuhr nach 14 Runden an die Box für einen Satz neuer Reifen, ließ sich die mittelharte Mischung aufziehen. Eine Runde später reagierte Mercedes und ließ Hamilton exakt dasselbe Manöver vollziehen. Auf den frischen Reifen fuhr Vettel sogleich die schnellste Runde. In Führung lagen nach 20 Runden Bottas, Verstappen und Leclerc, die noch nicht an der Box gehalten hatten. Dahinter folgten Hamilton und Vettel, wobei der Ferrari in kleinen Schritten aber konstant aufholte und nur den Abstand auf den Briten auf 1,4 Sekunden reduzierte. Bottas wiederum rollte nahezu sensationell auf seinen gebrauchten Reifen, fuhr im Schnitt drei Zehntel schneller als Hamilton.

Hamilton klagt über den Zustand seiner Reifen

"Warum habt ihr mich so früh reingeholt", fragte Hamilton. "Um uns gegen Vettel zu verteidigen", lautete die Antwort seines Kommandostands. Das war nicht ohne Ironie. Denn in der Vergangenheit war es eher Bottas' Aufgabe gewesen, Hamilton gegen Vettel zu verteidigen. Erst nach 23 Runden rief Mercedes Bottas an die Box. Und als er auf die Strecke zurückkehrte, lag er zehn Sekunden vor dem Fahrer, dem er in den vergangenen Saisons jeweils sekundiert hatte auf dem Weg zu dessen Titelgewinnen. Als nächster hielt Verstappen an seiner Versorgungsstation. Ferrari wiederum ließ Leclerc erstaunlich lang auf der Strecke, nach 28 Runden verlor er pro Runde sechs Zehntel auf Hamilton.

Dann erst rief ihn die Scuderia zum Reifentausch. Die Hälfte des Rennens war nun vorbei. Die Reihenfolge der ersten fünf Fahrer war exakt wie am Ende der ersten Runde. Allerdings hatte Bottas nun einen Vorsprung von 17 Sekunden auf Hamilton herausgefahren. Und dann, in Runde 30, änderte sich etwas Grundsätzliches: Verstappen schob seinen Red Bull an Vettels Ferrari vorbei. Innerhalb des DRS-Fensters, also mit flacher gestelltem Heckflügel, und auf weit frischeren Reifen zog der Holländer fast mühelos vorbei am viermaligen Weltmeister. Diese Szene könnte Vettel in den nächsten Tagen gedanklich noch etwas verfolgen. Zwei Fahrer verabschiedeten sich aus dem Wettbewerb. Ricciardo stellte seinen Renault ab - genau wie Romain Grosjean seinen Haas, an dem sich kurioserweise genau wie vor einem Jahr am selben Ort das linke Vorderrad gelöst hatte.

Hamilton klagte über Funk permanent über den Zustand seiner Reifen. Er werde auf ihnen auf keinen Fall die Ziellinie erreichen. Und in seinem Rückspiegel tauchte Verstappens Limonadenflitzer formatfüllend auf. Wie rund der Mercedes lief, das bewies zum Saisonauftakt nicht Hamilton, sondern Bottas. Er kreiste pro Runde 1,2 Sekunden schneller durch den Albert Park als Vettel. Hamilton konnte angesichts der fast irrwitzigen Schwäche von Ferrari selbstredend gut damit leben, seinem Teamkollegen den Vortritt bei der Siegehrung lassen zu müssen. "Ich musste uns vor Max verteidigen. Und ich habe auch ein paar Ideen, wo meine Geschwindigkeit heute hin war. Ich werde das mit meinen Ingenieuren besprechen", sagte Hamilton.

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