Formel 1:Malaysia mag nicht mehr

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21 Rennen, aber vielerorts Probleme: Die Formel 1 stößt an die Grenzen des Wachstums - um das Interesse an der Rennserie zu beleben, träumt Vermarkter Bernie Ecclestone von radikalen Reformen.

Von René Hofmann, München

Die Formel-1-Weltmeisterschaft 2016 wird sich an diesem Sonntag ab 14 Uhr MEZ in Abu Dhabi entscheiden. Nico Rosberg/367 Punkte oder Lewis Hamilton/355 Punkte? Das 21. Rennen verdichtet sich auf ein Duell zwischen den beiden Mercedes-Fahrern. Bereits einen Tag später geht es in Wien dann um mehr. Auf der Generalversammlung des Automobilweltverbandes FIA wird bis zum 2. Dezember unter anderem der endgültige Terminkalender für das kommende Jahr verabschiedet. Und in diesem steht mehr als ein Fragezeichen. Drei Veranstaltungen sind mit einem Sternchen versehen.

Ob es am 11. Juni tatsächlich in Montréal/Kanada rundgeht, ob der Hockenheimring am 30. Juli einen Großen Preis von Deutschland ausrichten darf und ob - wie in diesem Jahr - das vorletzte Rennen in São Paulo/Brasilien ausgetragen wird: Das ist noch offen. Und damit enden die Ungewissheiten keineswegs.

2017 läuft der Kontrakt der Veranstaltung aus, die 2008 ihr Debüt gab und die sich seitdem zu einem der markantesten Rennen der Serie entwickelte: die Flutlicht-Wettfahrt im Stadtstaat Singapur. Die Formel 1 wurde dort einst mit großem Bohei empfangen. Lange war der Zuschauerzuspruch auch grandios. Zuletzt aber bröckelte er, was die Veranstalter laut Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone nun zumindest zögern lässt, weiter Gastgeber für seinen PS-Zirkus zu spielen.

Noch eindeutigere Zeichen kommen aus dem Nachbarland Malaysia. Dort begann 1999 die Expansion der Formel 1 auf den asiatischen Markt. Seitdem war der Stopp in dem Land ein fester Bestandteil des Kalenders. Der staatliche Mineralölkonzern Petronas engagierte sich flankierend als eifriger Sponsor, erst beim Schweizer Sauber-Team, dann bei der Werksmannschaft von BMW, aktuell führen die dominanten Autos von Mercedes sein Logo aus.

Aber selbst in dem Land, das mittelbar an den Erfolgen beteiligt ist, kommen die Seriensiege der Silbernen nur noch bedingt an. Razlan Razali, der Geschäftsführer des für die Formel 1 errichteten Sepang International Circuit, wird mit den Worten zitiert: "Das Produkt existiert nicht mehr. Es wird von einem Team dominiert." Der Tourismus- und Kulturminister Nazri Aziz kündigte am Montag kategorisch an: Der 2018 auslaufende Vertrag werde nicht verlängert. Eine Erklärung dafür hatte Sportminister Khairy Jamaluddin vorab schon per Twitter geliefert: "Es gibt kostengünstigere Wege, um für Malaysia zu werben."

Viel Platz für die Staatsflagge: Sebastian Vettel in seinem Ferrari vor den leeren Tribünen am Sepang International Circuit Anfang Oktober. (Foto: Manan Vatsyayana/AFP)

Rund 64 Millionen Euro hatte sich das Land nach Angaben des Kultusministeriums den Formel-1-Auftritt zuletzt in jedem Jahr kosten lassen. Beim Rennen Anfang Oktober, das überraschend der Australier Daniel Ricciardo gewann, hatten aber gerade einmal 45 000 Zuschauer auf den Tribünen gesessen, die Platz für rund dreimal so viele Menschen bieten.

Das rückläufige Interesse ist mancherorts ein Problem. Dass der sportliche Wettbewerb derzeit arg einseitig ist - von den 58 Rennen seit Saisonstart 2014 gewannen die beiden Mercedes-Werksfahrer 50 - taugt allerdings nicht überall zur Erklärung. Es gibt ja auch gut besuchte Rennen. Zu denen gehörten dieses Jahr beispielsweise der Großbritannien-Grand-Prix und der Große Preis von Belgien. In Silverstone war Lewis Hamilton die Attraktion, in Spa-Francorchamps der junge Überflieger Max Verstappen aus den Niederlanden. Einen ähnlichen Effekt erzielten in Hockenheim weder Titelkandidat Nico Rosberg noch Sebastian Vettel; das Rennen litt vielmehr darunter, dass es Ende Juli in der Ferienzeit stattfand. In Spielberg in Österreich war der Zustrom 2014, nach zehn Jahren Formel-1-Pause, überwältigend. Seitdem ist er stark abgeflacht. Den einen, alles erklärenden Trend - den gibt es nicht. Zwei Strömungen aber lassen sich ausmachen.

Viel Platz für die Staatsflagge: Sebastian Vettel in seinem Ferrari vor den leeren Tribünen am Sepang International Circuit Anfang Oktober

In diesem Jahr werden 21 Rennen ausgetragen. So viele gab es noch nie. Und mit dieser Zahl ist offenbar die Grenze des Wachstums erreicht. Wenn nicht alle Anzeichen täuschen, dann dürfte der inzwischen 86 Jahre alte Ecclestone viel zu tun haben, um für die hohe Zahl langfristig wirklich attraktive Austragungsorte zu finden. Einen Ausweichplatz gibt es für keines der drei Rennen, die für 2017 wackeln.

Jahrelang standen potenzielle Grand-Prix-Standorte Schlange. Seit sich in Istanbul (2005 bis 2011), in Valencia (2008 bis 2012), in Yeongam/Südkorea (2010 bis 2013) und in Greater Noida/Indien (2011 bis 2013) aber zeigte, wie gewagt solche Projekte sind, hat sich das Bewusstsein gewandelt. Immer mehr Länder fragen sich inzwischen nicht nur: Was bringt uns ein Staats-Grand-Prix? Sondern auch: Steht das im Verhältnis zur Gegenleistung?

Um den traditionsreichen Grand Prix auf dem Hockenheimring zu halten, gewährte Ecclestone den Veranstaltern dort einst Sonderbedingungen. Diese will er nun zurückfahren, um andernorts nicht ähnliche Begehrlichkeiten zu wecken. Auch in São Paulo trägt die Verluste, die in diesem Jahr auf rund 30 Millionen Dollar beziffert werden, die Firma Formula One Management. Nicht wenig der aktuellen Unsicherheit dürfte damit zusammenhängen, dass jeder bis zur letzten Minute um das Beste für sich selbst feilscht.

"In zehn Jahren wird Europa zur dritten Welt gehören": Mit diesem Spruch hatte Ecclestone 2004 Asien als Wachstumsmarkt ausgerufen. Davon ist nun keine Rede mehr. Seit der US-Konzern Liberty Media die Aktienmehrheit an der Formel 1 erwarb, spricht Ecclestone stattdessen von mehr US-Rennen als dem einen, das seit 2012 in Austin/Texas stattfindet. Aus dem am weitesten gediehenen Plan, ab 2014 die schnellen Autos in New Jersey vor dem Hintergrund der Skyline von New York kreisen zu lassen, wurde aber schon mal nichts.

Dass das Fahrgeschäft kein Selbstläufer mehr ist, hat Ecclestone realisiert. In der Times stellte er jüngst Überlegungen an, die Rennen radikal zu reformieren. Statt eines langen Rennens zwei kurze mit einer 40-minütigen Pause dazwischen, das wäre für Zuschauer, Sender und Sponsoren besser, findet der Vermarkter. "Bei allen US-Sportarten gibt es Time-outs, weil sich das Publikum nicht konzentrieren kann", ist Ecclestone aufgefallen. Und er glaubt: "Inzwischen sind die Leute überall gleich."

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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