Formel 1:Knattern in der grünen Prärie

F1: Grand Prix der USA - Training

Blick vom Turm über ein plattes Land: Moderne Tribünen, Parkplätze und eine Asphaltschlange – das ist der Circuit of the Americas in Austin/Texas.

(Foto: Darren Abate/dpa)

Die Rennserie versucht seit Jahrzehnten, sich in den USA zu etablieren. Ein US-Pilot würde Aufschwung geben.

Von Philipp Schneider, Austin

Der freundliche Texaner mit dem grau melierten Oberlippenbart ist nicht völlig überzeugt von dem Gedanken, die zwei Reporter aus Deutschland auf den schönen Turm steigen zu lassen. Der Texaner steht ja nicht grundlos da, sondern um den Turm zu bewachen. Tagelang hat es geregnet in Texas. Und wenn es tagelang so stark regnet in Texas, dass die Behörden eine Flutwarnung aussprechen, dann sind die 419 Stufen, die hinaufführen bis zur Aussichtsplattform in 77 Metern Höhe, rutschig wie Seifenlauge. Man wolle, hält man dem fürsorglichen Texaner entgegen, eine schöne Geschichte über seinen schönen Turm schreiben. Weswegen man dringend hochklettern müsse. Okay, sagt also der noch immer nicht völlig überzeugte Texaner, der ziemlich so aussieht wie jener Cowboy, der im Film "The Big Lebowski" permanent an der Bar sitzt und die Geschichte vom Dude erzählt. Unter einer Bedingung: Wenn es blitzt, solle man schnell wieder runterkommen. Großes Ehrenwort.

Oben angekommen begreift man, dass Texas auch nicht anders aussieht als Holland. Nur flaches Land. Viel grüne Prärie. Und auf einem Parkplatz, der sich hier an die Strecke schmiegt, wimmelt es von Wohnmobilen. Dass Texas doch anders ist als Holland, dämmert einem erst angesichts der unglaublichen Weite, die den Turm in allen Himmelsrichtungen umgibt. Weit und breit ist gar nichts. Wirklich nichts als grüne Prärie. Selbst die nahegelegene Stadt Austin ist gerade so weit entfernt, dass sie am Horizont im trüben Dunst des Herbstes verschwimmt. Unter einem liegt nur die Rennstrecke. Moderne Tribünen, sehr viele Parkplätze, dazu die Asphaltschlange mit einer interessanten Kurve nach dem Start. Das ist der Circuit of the Americas. Ja, im Plural. Ist kein Grammatikfehler. Plural nicht etwa, weil der Präsident der USA sein Land gespalten hat in Menschen, die ihn gewählt haben und jene, die ihn ertragen müssen. Sondern weil hier die Zuschauer aus Nord- und Südamerika hinströmen sollen. Weil die Formel 1 endlich ankommen möchte in den USA, so richtig, das ist noch immer die Idee. Erst recht, seit sie vor eineinhalb Jahren vom amerikanischen Unterhaltungskonzern Liberty Media gekauft wurde.

Austin ist bereits der zehnte Rennort der Formel 1 in 53 Jahren in den USA

Mit der Formel 1 und Amerika verhielt es sich viele Jahre lang wie mit einem Experiment im Chemielabor. Zigmal wurden die zwei Komponenten zusammengekippt. Und jedes Mal ging die ganze Apparatur mit viel Getöse in die Luft. Seit 1958 wird der Große Preis der USA ausgetragen, doch die meisten Veranstaltungen waren konzeptionell schräg gedacht. In Sebring fuhren sie mal auf dem umgebauten Gelände des Hendricks Army Airfields, in Las Vegas auf dem Parkplatz des Caesars Palace. Und als die Formel 1 zuletzt an einem anderen Ort fuhr als Austin, dem berühmten Oval in Indianapolis, da warfen die Zuschauer bei der Siegerehrung Bierbecher auf Michael Schumacher. Das war nichts Persönliches. Aber weil die Reifen des Herstellers Michelin den Kräften nicht standhielten, die in den überhöhten Kurven der Strecke wirken, hatten zuvor lediglich jene Teams ihre Autos an den Start geschickt, die auf Pneus von Bridgestone rollten. Die Bierbecher flogen, weil das bloß sechs Autos waren: Zwei Ferrari fuhren vorneweg, vier völlig unterlegene Statisten trotteten hinterher.

Austin war also am Tag seiner ersten Rundfahrt im Jahr 2012 bereits der zehnte Ort in 53 Jahren, in denen die weltweit populärste Motorsportserie versuchte, sich auf dem weltweit größten Automobilmarkt zu etablieren. An neun Orten hatte es nicht geklappt, weshalb der nationale Veranstalter 2012 gleich einen Zehnjahres-Vertrag mit dem damaligen Vermarkter Bernie Ecclestone abschloss. Nach dem Motto: Wenn es wieder nicht klappt, dann bleiben wir zumindest trotzdem hier! Südlich von Austin, der Hauptstadt von Texas, warfen sie eine Rennstrecke für rund 400 Millionen Dollar in die Prärie. Der Staat Texas gibt jährlich 25 Millionen Dollar dazu für die Erhaltungskosten.

So viel Unterstützung der öffentlichen Hand ist selbstredend auch ganz nach dem Geschmack von Liberty Media, die ja bei der Auswahl ihrer Strecken mindestens genauso dem Lockruf des Geldes folgen wie das frühere Ein-Mann-Unternehmen Ecclestone. Wenn es nach den Bossen des Unterhaltungskonzerns geht, dann soll es künftig noch mehr Rennen geben auf amerikanischem Boden. In Miami soll eine Rundfahrt am Meer veranstaltet werden, die Verhandlungen schienen schon sehr weit gediehen zu sein, für eine Austragung 2019 fehlte letztlich nur noch die Zustimmung der Anwohner. Wie wichtig Liberty Media das Rennen in Florida wäre, zeigt, dass die Amerikaner sich als Mitveranstalter beteiligen und die Hälfte der Kosten tragen würden.

Die Veranstalter argumentieren: Ein Rennen ist viel zu wenig, um die Menschen in dem riesigen Land von der Formel 1 zu überzeugen. Findet auch Lewis Hamilton, wenngleich seine Erklärung etwas schräg ist. "Wir haben hier nur dieses eine Rennen. Also ist es für die Leute, die in Austin oder den angrenzenden Bundesstaaten wohnen und einmal im Jahr hierher fliegen, wie ein Festival." Hamilton sagt: "Man kann sich nicht wirklich begeistern für nur ein Festival im Jahr!" Theoretisch kann man das genau andersherum sehen. Wenn es nur ein Festival gibt, ist es ja exklusiver.

Es gibt andere, sehr gute Gründe, weswegen die Amerikaner die Formel 1 noch nicht vollumfänglich umarmt haben. Es geht schon mal damit los, dass die meisten Rennen für die Vielzahl der Amerikaner mitten in der Nacht stattfinden. Wie soll man etwas lieben lernen, das man gar nicht sehen kann? Es gibt auch keinen Landsmann, der mitfährt. Seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft von Mario Andretti 1978 kam nicht mehr viel. Alexander Rossi fuhr 2015 als vorerst letzter US-Amerikaner in einem Formel-1-Rennen mit. Scott Speed aus Kalifornien galt als große Hoffnung, aber als er 2007 von Toro Rosso entlassen wurde, half ihm auch nicht mehr, dass er einen Namen trägt, der wie geschaffen ist für die Formel 1.

Nach Meinung der Veranstalter ist Platz für mehr als ein Rennen in Amerika

Es ist auch nicht so, dass die Amerikaner große Sehnsucht verspürten nach einer weiteren Veranstaltung, in der es knattert und nach Benzin riecht. Selbst die einst so beliebte Nascar-Serie kriselt seit Jahren, und da fahren immerhin recht pummelige Autos im Kreis, um sich, wenn es zu eng wird, mit sehr viel Leidenschaft in die Seite zu fahren. Solcherlei Rennfahrfolklore, die die Amerikaner schätzen, hat die Formel 1 ja gar nicht zu bieten. Und wenn es sie bietet, wie bei Sebastian Vettels Wutrempler gegen Hamilton in Baku 2017, dann gibt es nur Kritik und Gemaule.

Immerhin, und das ist als Fortschritt zu sehen, haben die Amerikaner seit 2016 wieder einen eigenen Rennstall: das vom Südtiroler Günther Steiner gelenkte Team Haas. Steiner, der den Franzosen Romain Grosjean und den Dänen Kevin Magnussen fahren lässt, sah sich Anfang des Jahres einem Shitstorm ausgesetzt, nachdem er sinngemäß gesagt hatte, es fahre kein Amerikaner in der Formel 1, weil Amerikaner nicht gut genug seien für die Formel 1. Kam nicht gut an. "Falsch und arrogant" sei das, klagte Andretti.

Was die Amerikaner auch nicht mögen, und was Liberty Media künftig mit der Einführung eines Kostendeckels für die Teams abstellen möchte, ist das Prinzip, dass zwar 20 Autos an den Rennen teilnehmen, doch nur die von Ferrari, Mercedes und Red Bull eine Chance haben zu gewinnen. Gene Haas, Chef des nach ihm benannten Teams, erzählte in Austin, seine Rennwagen führen in der "Formel 1.5". Er meinte, es gibt einen Wettbewerb namens Formel 1, in dem machen die großen Teams die Weltmeisterschaft unter sich aus. Und es gibt die Formel 1.5, in der streiten alle anderen um den vierten Platz.

Zak Brown, Teamchef von McLaren, sagt: "Wenn wir uns andere Sportarten anschauen, dann haben viele erfolgreiche einen Salary Cap. Die NFL ist in den USA eine der erfolgreichsten Sportarten, weil jedes Team ungefähr auf demselben Level spielt und es so auch Überraschungssieger geben kann." Teamchefin Claire Williams sagt: "Für Teams wie unseres gibt es keine Chance, dass wir mit unserem Budget von 120 Millionen Dollar jemals Rennen, geschweige denn Weltmeisterschaften gewinnen werden. Nicht solange Ferrari, Mercedes und Red Bull das Doppelte oder Dreifache ausgeben können." In der Formel 1 solle es "nicht darum gehen, wie viel Geld wir haben, sondern wie viel Talent wir haben". So sehen das auch die Amerikaner.

Überall auf dem Gelände des Circuit of the Americas hängen die offiziellen Werbeplakate für den USA Grand Prix. Ganz oben und in gigantischer Größe sind darauf die Köpfe von Bruno Mars und Britney Spears zu sehen, die hier am Rande des Rennens Konzerte geben. Man muss schon genau hinsehen, um auf dem Plakat zu erkennen, wofür sich die Zuschauer sonst noch interessieren sollen. Ganz unten, vergleichsweise winzig, ist der rote Rennwagen von Sebastian Vettel zu sehen.

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