Formel 1 in Singapur:Eroberung der Nacht

Schon beim ersten Training für die Flutlichtpremiere von Singapur eröffnen sich der Formel 1 neue Perspektiven - für alle Beteiligten ein richtiges Abenteuer.

René Hofmann

Ein besonderer Anlass erfordert einen besonderen Aufzug. Wer wüsste das besser als Flavio Briatore, der nicht nur das Formel-1-Engagement von Renault anführt, sondern nebenbei auch ein wenig über den britischen Fußball-Klub Queens Park Rangers herrscht und unter dem Label "Billionaire Couture" in London, Las Vegas und Moskau Mode vertreibt - Krokodillederjacken ab 40.000 Euro, Gürtel aus Rochenleder und Schlüsselanhänger, bestückt mit echten Rubinen. Zum ersten Training für das erste Nachtrennen der Formel 1 am Wochenende in Singapur erschien der 58-Jährige an diesem Freitag in dunklen Samtslippern, auf deren Spitze ein großes, silbernes Wappen schimmerte. Im schütteren Haar trug er dazu eine Grubenlampe. Die Formel 1 erobert die Nacht. Für alle Beteiligten ist das ein Abenteuer. Seit Anfang der Woche hatten sich schon viele skurrile Szenen abgespielt. Tagsüber lagen Rennstrecke und Fahrerlager verwaist da.

Formel 1 in Singapur: Fahrt ins Blaue: Lewis Hamilton drehte die schnellste Runde beim ersten Training für das Nachtrennen in Singapur.

Fahrt ins Blaue: Lewis Hamilton drehte die schnellste Runde beim ersten Training für das Nachtrennen in Singapur.

(Foto: Foto: dpa)

"Ein spektakuläres Umfeld"

Erst als die Nacht trübe heraufdämmerte, wurden die meisten allmählich munter. Ferrari-Fahrer Felipe Massa wurde um drei Uhr in der Nacht dabei beobachtet, wie er die neue Strecke abschritt. Nick Heidfeld trieb sich mit seinen Mechanikern zu der Zeit noch in einer Disco herum: Um so lange wie möglich schlafen zu können und nicht in den asiatischen Rhythmus zu verfallen. McLaren-Pilot Heikki Kovalainen stellte seine Uhr erst gar nicht um. Angeblich erfolgreich. "Mein Körper denkt, er sei immer noch in Europa", berichtete der Finne, bevor er seinen Rennwagen am Freitag um 19 Uhr Ortszeit erstmals startete. Die Qualifikation findet am Samstag um 22 Uhr statt. Das Rennen geht am Sonntag um 20 Uhr los. In Deutschland wird es dann 14 Uhr sein.

Wenn die ersten Eindrücke nicht täuschen, wird es lustig werden. "Ein spektakuläres Umfeld", sah BMW-Sportchef Mario Theissen. "Es macht sehr viel Spaß. Das Licht ist das kleinste Problem. Nach ein paar Runden fällt einem gar nicht mehr auf, dass es Nacht ist", berichtete sein Angestellter Nick Heidfeld von der ersten Ausfahrt. Die größte Herausforderung sind die Bodenwellen. "Das ist ein richtiger Stadtkurs", fand Mercedes-Sportchef Norbert Haug. Stadtkurs - das heißt: Es geht eng zu, es gibt viele langsame Kurven und wenige Gelegenheiten zum Überholen.

Der Schnellste in der ersten Übungseinheit war der WM-Führende Lewis Hamilton. Der McLaren-Mercedes-Chauffeur legte in der 29 Grad warmen und 70 Prozent feuchten Luft 20 Runden zurück. Die schnellste in 1:45,518 Minuten, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 172,87 km/h entspricht. Langsamer sind die Autos nur in Monte Carlo unterwegs. Das Rennen dort gleicht oft einer Prozession. Wegen des außergewöhnlichen Ambientes umgibt es aber immer eine ganz besondere Atmosphäre. Gleiches dürfte für Singapur gelten. Eine Vorgabe der Regierung an die Streckenplaner lautete: Die fünf Kilometer lange Schleife sollte an möglichst vielen Sehenswürdigkeiten wie dem historischen Rathaus vorbeiführen. Dafür, dass das in der Dunkelheit auch zu sehen ist, sorgen gigantische Scheinwerfer-Batterien. Die Hochhäuser, zwischen denen die Autos an anderen Stellen hindurchjagen, geben ganz von alleine spektakuläre Bilder ab.

Gewagte Neonröhren-Konstruktion

Neil Crompton, der einst selbst Autorennen bestritt und inzwischen für den australischen Channel Seven am Mikrofon sitzt, zeigte sich entzückt: "Ich habe selbst einige Stadtrennen bestritten. Wir wurden immer in Viertel verbannt, in die sonst keiner wollte. Dagegen ist das hier so, wie durch den Hyde Park zu fahren, oder über die Hafenbrücke in Sydney." Mit der geglückten Flutlichtpremiere eröffnen sich dem Spektakel ganz neue Perspektiven. Kein Wunder, dass Vermarkter Bernie Ecclestone während des Trainings persönlich in der Boxengasse patrouillierte. 1998 fand ein Rennen in Asien statt, in diesem Jahr sind es sechs. Das Problem dabei bisher: Wegen der Zeitverschiebung fielen die Einschaltquoten im Kernmarkt Europa drastisch. Den Malaysia-Grand-Prix Ende März verfolgten in diesem Jahr bei RTL am frühen Morgen 4,33 Millionen. Am Sonntag rechnet Mercedes-Mann Norbert Haug "bestimmt mit sieben Millionen".

In Singapur war der Auftakt der Veranstaltung ein Publikumsmagnet. Zigtausend Neugierige drängten sich an den Zäunen und versuchten, einen Blick durch die Sichtblenden auf die lautesten Autos in der Stadt zu erhaschen. In den wenigen Minuten, in denen die besonders gut zahlenden Fans einen Blick in die Boxengasse werfen dürfen, war der Andrang so groß, dass der Start des zweiten Trainings um einige Minuten verschoben werden musste, weil die eifrigen Helfer es nicht schafften, die Menge schnell genug von der Straße zu dirigieren.

Zu sehen gab es viel Ungewohntes. Die Kameras in den Cockpits lieferten eindrucksvolle Bilder: Weil die meisten Piloten mit ungetönten Visieren antraten, ließ sich ihnen am Arbeitsplatz erstmals in die Augen schauen. Die Toyota-Mechaniker beugten sich mit einer ungewöhnlichen Anzeigentafel über die Mauer hinter dem Kommandostand: Sie zeigten Timo Glock und Jarno Trulli die Zeiten mit einer gewagten Neonröhren-Konstruktion. Ihre Kollegen von Renault wiesen Fernando Alonso und Nelsinho Piquet mit einem beleuchteten Lollipop an. BMW versuchte mit einer Werbebotschaft Aufsehen zu erregen, die in einem Stoff auf die Teamkleidung gebügelt worden war, der unter ultraviolettem Licht fluoresziert. Besonderer Anlass, besonderer Aufzug.

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