Formel 1 in Silverstone:Vettel siegt in Hamiltonland

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Lewis Hamilton muss zusehen, wie Sebastian Vettel den Siegerpokal von Silverstone küsst. (Foto: AP)
  • Ferrari-Pilot Sebastian Vettel hat den Grand Prix von Großbritannien gewonnen und seine Führung in der Gesamtwertung der Formel 1 ausgebaut.
  • Lewis Hamilton wurde nach einer Kollison kurz nach Beginn Zweiter und verpasste bei seinem Heimrennen den fünften Sieg in Serie.
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Von Philipp Schneider, Silverstone

Ein letztes Mal raste Sebastian Vettel vorbei an den britischen Fahnen, die auf der Haupttribüne flatterten. Die Fans hatten "Hammertime" darauf geschrieben und "Hamilton", manche auch die Startnummer "44". Es gibt kaum ein Rennen auf der Welt, in dem ein Fahrer so im Mittelpunkt steht wie Lewis Hamilton in Silverstone. Und jetzt rollte da also der Sieger Vettel an den Fans und Fahnen vorbei und funkte: "Danke, Jungs, tatatata!"

Die letzten Runden des Großen Preises von England hatten die besten Szenen dieser Formel-1-Saison geliefert. Zwei Mercedes und zwei Ferraris hatten um den Rennsieg gekämpft: die von Valtteri Bottas, Vettel, Hamilton und Kimi Räikkönen. Fünf Runden vor Schluss war dann Vettel vorbeigerollt an Bottas, schließlich auch Hamilton und Räikkönen. In der Box verdeckte Mercedes-Boss Toto Wolff seine Augen mit den Händen. Ein Sieg von Vettel auf dieser Strecke war die Höchststrafe. Ausgerechnet in Silverstone, in Hamiltonland, baute der Deutsche seinen Vorsprung auf acht Zähler aus.

Hamilton hatte unmittelbar nach dem Rennen keine Lust auf ein Interview im Ziel.

Liveticker in der Nachlese
:Vettel besiegt Hamilton in Silverstone

Der britische Mercedes-Pilot verpasst nach einer Kollision kurz nach Beginn den fünften Sieg in Serie beim Heim-Grand-Prix. Vettel im Ferrari gewinnt und baut seine Führung in der WM-Wertung aus.

Das Rennen im Liveticker

Er zog sich in den Raum hinter dem Siegerpodium zurück. Wer mit dem Auto zur Strecke in Hamiltonland fährt, die auf einem alten Weltkriegsflugplatz gelegen ist, wer durch die dunklen Wälder Mittelenglands kurvt, vorbei an den liebevoll gemauerten Dörfern wie Potterspury, Wappenham und Syresham, wo der wichtigste Pub noch da verortet ist, wo er hingehört, exakt im Zentrum des Dorfes, der muss zu jeder Zeit damit rechnen, dass gleich Little John mit seinem Kumpel Bruder Tuck aus der Kulisse tritt, in den Händen ein mächtiger Knüppel, der ihm die nötigen Argumente dafür liefert, Wegzoll zu verlangen. Wer nach Silverstone reist in die Grafschaft Northamptonshire, an den Ort, an dem 1950 das erste Formel-1-Rennen der Geschichte gefahren wurde, der fällt raus aus Zeit und Raum.

Lewis Hamilton ist in der benachbarten Grafschaft Hertfordshire aufgewachsen. Und seit ein paar Jahren lässt er sich beim Besuch seines Heimrennens regelmäßig die geschundene Seele streicheln, als sei diese Hochgeschwindigkeitsstrecke ein Kloster, in dem es die nötigen Exerzitien durchzuführen gilt, um am Ende Weltmeister zu werden. Oder wie es der Einmal-Weltmeister Nico Rosberg ausdrückt: "In Silverstone ist Lewis eine Maschine." Das galt bis zu dem Tag, als die Maschine Hamilton beim Start nicht in die Gänge kam.

Zum fünften Mal nacheinander hätte Hamilton in England gewinnen können. Wer ahnen wollte, wie viel ihm dieses Wochenende bedeutet, der musste ihm zusehen am Samstag nach der Qualifikation - nachdem er Vettel in seiner letzten Runde die Bestzeit entrissen hatte, gerade so, mit 44 Tausendstelsekunden Vorsprung. Hamilton kniete neben seinen Silberpfeil, seine Augen schimmerten feucht, dann ließ er die Hände über seinen Rennwagen wandern, als wollte er ihm sagen, bitte, bitte, fahr nie wieder fort von hier! Und dann wandte er sich an die Fans: "Ich habe alles gegeben, was ich hatte. Die Ferraris haben etwas rausgehauen, und ich habe nur gebetet, dass ich es für euch schaffen kann!"

Die Ferraris hatten für sich zumindest die Startplätze zwei und drei rausgehauen. Vettel parkte gleich hinter Hamilton, nachdem am Samstag unheimlich viel über seinen Nacken geredet worden war. Nicht weil sein ganzer Hals vor Wut angeschwollen gewesen wäre nach der Qualifikation. Aber der Nacken-Anteil seines Halses hatte geschmerzt im letzten Training am Samstag, weswegen er nur acht Übungsrunden gedreht hatte in seinem Ferrari. "Wir wissen, das hat sehr weh getan", vermutete Ferraris Teamchef Maurizio Arrivabene. Woher die Verspannung kam, wusste Vettel auch nicht so recht. Sein Physiotherapeut hatte ihm ein Tape aufgeklebt. "Angenehm war das nicht, aber es hat gehalten", sagte Vettel: "Über Nacht wird das besser, ich mache mir keine Sorgen."

17 Autos passieren Hamilton

Nach der Nacht ging es in die erste Kurve des Rennens - und die Sorgen waren verflogen aus Vettels Leben. Fast nirgendwo ist die Pole Position so viel wert wie in Silverstone. Eigentlich. Hamilton blieb allerdings nahezu stehen nach dem Start, erst fuhr Vettel vorbei, dann Bottas. Und als auch noch Räikkönen zum Überholmanöver ansetzte, da touchierte dessen Ferrari Hamiltons Mercedes, drehte ihn um - und schon waren 17 Autos an Hamilton vorbeigezogen.

"Es fühlt sich an, als hätte ich meinen halben Unterboden verloren", klagte der. Das war übertrieben, auch angesichts der Geschwindigkeit, mit der er sehr schnell wieder den Anschluss an die Spitze herstellte. Die Rennkommissare beschlossen eine Zehn-Sekunden-Strafe für Räikkönen, abzusitzen bei einem Boxenstopp. Nach sechs Runden lag Hamilton auf Rang zehn, nach neun Umdrehungen auf sieben. Räikkönen kam nach 14 Runden an die Box, um seine Strafe abzubüßen. Er sortierte sich auf Position elf wieder ein. Hamilton war da schon wieder Fünfter - hinter Vettel, Bottas und den Red Bulls von Max Verstappen und Daniel Ricciardo.

Nach 18 Runden fuhr Verstappen an die Box, nach 19 Ricciardo. Kurz darauf kam Vettel an die Versorgungsstation und schließlich Bottas. Hamilton lag vorübergehend auf Rang drei, aber nur, weil er als einziger Fahrer aus der Spitzengruppe noch nicht gehalten hatte. Auf seinen gebrauchten Reifen fuhr er allerdings die schnellsten Zeiten. Nach 26 von 52 Runden hielt auch er an der Box - und lag nun knapp hinter Räikkönen, der ihn ja gedreht hatte.

Spannung kam auf, als nach 31 Runden Marcus Ericsson in einer der schnelleren Kurven abflog und sein Sauber in einem Reifenstapel landete. Das Safety Car fuhr auf die Strecke, das Fahrerfeld schob sich wieder zusammen. Vettel fuhr noch einmal an die Box, genau wie Räikkönen und Verstappen. Bottas und Hamilton dagegen blieben auf ihren alten Reifen. "Ich habe keine Chance, mit den frischen Reifen mitzuhalten", ahnte Hamilton. Und da hatte er recht. Musste er aber auch nicht für lange Zeit. Denn 15 Runden vor Schluss gab es zwar den Wiederstart, doch diesem folgte sofort die nächste Safety-Car-Phase, nachdem Carlos Sainz und Romain Grosjean kollidiert waren. Elf Runden vor Schluss gab es den letzten Wiederstart in diesem wilden Rennen. Und dann machte Vettel in Hamiltonland Jagd auf Bottas.

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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