Formel 1:Gerede und Gezanke um Hamiltons "Party Modus"

Australian F1 Grand Prix - Qualifying

Mit großem Vorsprung Erster im Qualifying in Melbourne: Lewis Hamilton.

(Foto: Getty Images)
  • Lewis Hamilton dominiert im Qualifying vor dem ersten Formel-1-Rennen der Saison in Melbourne.
  • Hinterher geht es um die Frage, inwieweit er von einem Powerknopf profitiert hat.
  • Sebastian Vettel, der Dritter wird, gibt zu: "Die Lücke ist größer, als wir gehofft haben."

Von Philipp Schneider, Melbourne

Das rechte Hinterrad war abgerissen, das rechte Vorderrad nur noch mit den Überresten seiner Aufhängung verbunden, auch die rechte Hälfte des Frontflügels hing nicht mehr am Wagen, und auf der Strecke lagen Teile der Begrenzung, in die Valtteri Bottas soeben mit seinem Mercedes eingeschlagen war. "Lass uns wissen, dass du okay bist", funkte einer aus Bottas Box. "Yep, ich bin okay", antwortete Bottas. Es dauerte noch eine Weile, ehe er aus dem Wagen kletterte, sich endlich rauszog aus dem Cockpit, neben seinem Mercedes parkte ein Krankenwagen, aber Bottas war unversehrt.

Die zweite Kurve im Albert Park ist eine der schnelleren, sie folgt auf eine Spitzkehre nach Start und Ziel, vor der Abgrenzung, die Bottas traf, ist ein kleiner Grünstreifen, auf dem der Wagen weggerutscht war, und hinter ihr liegt auch schon der Albert Park Lake. "Ich habe die erste Kurve etwas schneller und weiter außen genommen", sagte Bottas. "Mein Fehler."

Am Samstag lief erst der dritte Teil der ersten Qualifikation des Jahres, als die Formel 1 Saison bereits ihren ersten schweren Crash erlebt. Das Getriebe wurde beschädigt, muss getauscht werden, weswegen Bottas um fünf Plätze strafversetzt wird und als 15. ins Rennen am Sonntag starten wird.

Ansonsten, so sieht es nach zwei Tagen Tests und dem ersten ernstzunehmenden Wettkampf des Jahres aus, geht es zumindest für Bottas' Teamkollegen, den Weltmeister Lewis Hamilton, alles so weiter wie im Vorjahr. Es geht weiter mit jenem Verhaltensmuster, das seine Konkurrenten regelmäßig in die Verzweiflung treibt.

0,674 Sekunden vor Sebastian Vettel

Wenn es eng zugeht in der Qualifikation, dann dreht irgendjemand an einem Powerknopf in Hamiltons Mercedes, und schon kann ihm niemand mehr folgen. Nicht einmal ansatzweise. Als "Party Modus" hat Hamilton in dieser Woche in Australien diese Einstellung selbst bezeichnet. Fast sieben Zehntel lag Hamilton am Ende vor den beiden Ferraris, 0,664 Sekunden vor Kimi Räikkönen, 0,674 Sekunden vor Sebastian Vettel, und gefahren war Hamilton diese Zeit bei seinem letzten Versuch. Fast sieben Zehntel sind in der Formel 1 eine Demütigung.

"Ich bin überrascht über den Abstand zu Ferrari", sagte Hamilton. Und möglicherweise war er ebenso überrascht, dass am Sonntag Räikkönen neben ihm parken wird, nicht der Vorjahreszweite Vettel, der in Australien die erste Startreihe gleich mal verpasste. "So eine Runde ist nicht normal", sagte er noch, "es ist immer noch sehr intensiv, mein Herz rast." Bis zu Hamiltons letzter Runde schien Vettel noch gute Chancen auf die Pole zu besitzen, im zweiten Teil der Qualifikation hatte er sogar die zwischenzeitlich beste Zeit vorgelegt. Doch dann drehte erst Hamiltons Mercedes auf, dann auch Hamilton.

Ob er glaube, dass Hamilton wieder im Party Modus gewesen sei, wurde Vettel auf der Pressekonferenz gefragt. Ach was, antwortete Hamilton, es gebe gar keinen Party Modus in seinem Wagen. Er habe in der letzten Runde "denselben Modus verwendet wie im zweiten Zeitabschnitt der Qualifikation". Vettel, der ja neben ihm saß, wollte nun wissen, was Hamilton bitteschön anders gemacht habe, wenn es doch keinen Party Modus gebe in seinem Auto. "Ich habe nur gewartet auf den Moment, eine gute Runde hinzulegen, um dir so dein Lächeln aus dem Gesicht zu vertreiben."

Vorher hatte Vettel noch gelächelt. Nach dieser Spitze von Hamilton nicht mehr. "Die Lücke ist größer, als wir gehofft haben", gab er zu. Dann sprach er sich mit ein paar Floskeln Mut zu, was in diesem Moment sehr gewollt wirkte. Sein Auto sei heute schon besser als gestern, er habe das Auto vorher nicht spüren können, vielleicht gelinge ja bis zum Rennstart am Sonntag noch eine weitere Verbesserung. Solche Sachen sagte Vettel.

"Die neun Zehntel Verbesserung lagen allein an Lewis", sagt Toto Wolff

Bis auf Hamiltons letzte Runde, argumentierte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, hätten die Spitzenfahrer doch in der ganzen Qualifikation sehr nah beieinander gelegen, im Bereich einer Zehntelsekunde. In der Tat, gab Wolff zu, gebe es einen "Party Modus" im Mercedes. "Aber den haben wir schon zu Beginn des dritten Zeitabschnitts hochgedreht", sagte Wolff. Dass Hamiltons vorheriger Versuch im Q3 neun Zehntel langsamer gewesen war, sagte Wolff, habe wohl daran gelegen, dass sie ihn aus der Box vor den Splitterteilen und verlorener Flüssigkeit von Bottas Unfallwagen gewarnt hatten, die sich noch auf der Strecke befanden. Beim letzten Versuch des Briten hätten sich dann Auto und Pilot im "Sweet Spot" bewegt: perfekte Reifentemperatur, perfekter Grip, freie Fahrt, gute Laune. "Die neun Zehntel Verbesserung lagen allein an Lewis", sagte Wolff.

Das Gerede und Gezanke um einen wie stark auch immer ausgeprägten Party Modus in Hamiltons Wagen, der ja nur in der Qualifikation, nicht aber im Rennen verwendet wird, ist insofern relevant, als sich die Frage stellt, wie dominant er diese Saison angehen wird. Und welche Chance Vettel hat auf den Gewinn seiner fünften Weltmeisterschaft, der ersten mit Ferrari.

Schon am Donnerstag hatte Vettel seinen Rivalen zum Favorit erklärt, er startete sozusagen mit einer kleinen Kapitulation in die Saison. Mercedes werde in Melbourne vorne liegen, erklärte Vettel, allerdings "wenn es nur ein Rennen wäre, wäre es eine andere Geschichte. Aber es ist eine lange Saison." Und es ist ja so: Wer schon Ende März, beim Auftakt in Australien, auf den Zeitraum bis zum letzten Grand Prix im November in Abu Dhabi verweist, der hat Probleme in der Gegenwart.

Nach dem Training sprach Vettel von Problemen mit der Balance seines Ferraris

Am Freitag, im ersten freien Training der Saison, wurde aus Vettels Verdacht eine Gewissheit. "Es läuft noch nicht ganz so, wie wir uns das wünschen. Auf eine Runde fehlt ein bisschen der Rhythmus. Ich fühle mich noch nicht ganz wohl im Auto", sagte er, nachdem er im Albert Park nur die fünftbeste Zeit vorgelegt hatte, bei 0,52 Sekunden Rückstand auf Hamilton. Vettel war da sogar langsamer als Max Verstappen im Red Bull und die zwei Finnen Bottas und Räikkönen, die in den Spitzenteams eigentlich sekundieren sollen.

Von Problemen mit der Balance seines Ferraris sprach Vettel, davon, dass "bei uns noch etwas verborgen liegt". Dass etwas fehle, wie ja auch im Namen seines "Loria" getauften Wagens auf den ersten (und auch zweiten und dritten) Blick ein die Form vollendendes G zu fehlen scheint.

Die Techniker und Ingenieure der Scuderia dokterten in Melbourne viel herum an Vettels Loria, sie schraubten und änderten Einstellungen, weil der Nachfolger den SF71H sehr unruhig um die Kurven bog. War das ein Indiz dafür, dass der neue Ferrari in der Winterpause nicht zu Ende konstruiert worden war? Die Italiener hatten ein Problem, das sie schnell korrigieren mussten. Möglichst über Nacht. Spätestens bis zum Rennen.

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