Formel 1:Frisch vom Kautschukbaum

Lewis Hamilton gewinnt den Grand Prix in Brasilien und sichert seinem Arbeitgeber den fünften Konstrukteurstitel in Serie. Max Verstappen sieht lange wie der mögliche Sieger aus, dann wird er Opfer eines Remplers.

Von Philipp Schneider, São Paulo/München

Ach, wie schön wäre es, würde die nächste Saison gleich so losgehen, wie das vorletzte Rennen dieses Jahres endete?

Am Sonntag liefen die letzten Runden auf dem Autódromo José Carlos Pace, als die zwei Red Bulls Jagd auf Mercedes und Ferrari machten. Max Verstappen hing dem Führenden Lewis Hamilton dicht am Heck; und der Vierte Daniel Ricciardo setzte an, um den tagesschnellsten Ferrari zu überholen. Es reichte nicht ganz, weder kam Verstappen vorbei an Hamilton, noch Ricciardo an Kimi Räikkönen. Aber was wäre 2019 los auf den Rennstrecken zwischen Melbourne und São Paulo, wenn die Flitzer des Limonadenkonzerns aus dem Zweikampf zwischen Mercedes und Ferrari endlich einen Dreikampf machen würden?

Hamilton jedenfalls bejubelte nach der Zieldurchfahrt nicht nur den zehnten Rennsieg in dieser Saison, sondern auch die fünfte Konstrukteursweltmeisterschaft seines Arbeitgebers nacheinander. "Die Jungs haben so hart gearbeitet in den letzten sechs Jahren, es war eine Wahnsinnsreise mit dem Team", rief Hamilton ins Mikrofon. Ferrari hatte am Ende auch in der Teamwertung keine Chance. Räikkönen wurde in Brasilien Dritter, Sebastian Vettel nur Sechster.

Die erstaunlichste Geschichte an diesem Wochenende schrieb nicht das Rennen. Die erstaunlichste Geschichte schrieben Vettel, eine Waage und eine Geldstrafe in Höhe von 25 000 Euro.

"Von so einem Idioten rausgenommen zu werden, da fehlen mir die Worte!"

Ach ja, Wiegen im Spätherbst. Wenn die Tage kürzer und die Abendessen opulenter werden, dann ist Wiegen eine eher unbefriedigende Beschäftigung. Niemand käme allerdings auf die Idee, deshalb gleich eine Waage zu zerstören. Gut, Vettel hat seine Waage am Samstag selbstredend auch nicht mit Absicht beschädigt. In der Formel 1 werden ja nicht nur Menschen gewogen, sondern Menschen in ihren Autos. Die Waagen in der Formel 1 sollen überprüfen, ob ein Auto nicht etwa zu leicht ist. Und die Situation war nun diese: Vettel hatte am Samstag sowas von überhaupt keine Zeit fürs Wiegen. Er war doch in Eile!

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Die Serie gehen weiter: Lewis Hamilton lässt sich für einen weiteren Sieg feiern, nach dem es lange nicht aussah.

(Foto: Evaristo Sa/+++++AFP)

Und das kam so: Das Wetter in Brasilien war am Samstag mal wieder sehr wechselhaft. Zu Beginn des zweiten Qualifikationsabschnitts, in dem die Fahrer, so schreibt es das Reglement vor, auch den Reifentyp festlegen, mit dem sie am Sonntag ins Rennen starten, war die Strecke zwar trocken, doch es fiel hier und da Nieselregen aus den Wolken. Ferrari, Mercedes und Red Bull schickten ihre Fahrer mit den schnelleren Supersoft-Reifen auf die Zeitenjagd, doch nur Ferrari bog nach der Aufwärmrunde wieder in die Garage ab, um sich die härteren Soft-Reifen aufziehen zu lassen. Weil Vettel auf diesen Pneus ins Rennen starten wollte, die zwar langsamer, aber viel haltbarer sind als die Supersoft.

Ausgerechnet in diesem Moment wählte ein Zufallsgenerator Vettel zum Wiegen aus. Er hätte sich auf die Waage schieben lassen können, doch dafür war er viel zu ungeduldig. Vettel musste auf die Strecke zurück, ehe es möglicherweise anfing zu regnen! Also fuhr Vettel seinen Ferrari auf die Waage, rempelte einen Poller um. Als sein Wagen nach dem Wiegen nicht sofort wieder runter geschoben wurde, drückte Vettel aufs Gas. Und kaputt war die Waage. Doch warum die 25000 Euro Strafe?

"Ich habe unseren technischen Delegierten gefragt, was die Waage kostet", erzählte Rennleiter Charlie Whiting am Sonntag dem Fachblatt Auto, Motor und Sport: "Er hat gesagt 22 000 Euro. Also haben wir noch 3000 draufgeschlagen, damit wir uns ein paar Ersatzkabel kaufen können."

Vettel hatte nun immerhin den Vorteil, von Startplatz zwei auf den haltbareren Reifen ins Rennen zu gehen als Lewis Hamilton, der schon zum zehnten Mal in dieser Saison auf der Pole Position parkte. Vettel durfte nur nicht zu viele Plätze gleich nach dem Start verlieren.

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Sebastian Vettel leistet sich mit seinem Ferrari auf der Rennwagen-Waage einen der Ungeduld geschuldeten Fehler.

(Foto: Jerry Andre/imago/Motorsport Images)

Zunächst verlor er nur einen. Valtteri Bottas, Hamiltons Teamkollege, schnappte sich Vettel gleich in der zweiten Kurve, er überholte ihn im Senna-S. Bottas fügte sich also auch im vorletzten Rennen der Saison gleich wieder in seine Lieblingsrolle: die des altruistischen Puffers. Eines Puffers, der allerdings zum Schutz vor Vettel gar nicht nötig war. Denn Vettel hatte augenscheinlich irgendwelche Probleme mit seinem Dienstwagen.

Vorne fuhren die Silberpfeile, die schnellsten Runden drehte aber Verstappen. In der dritten Runde überholte Verstappen Räikkönen, kurz darauf auch Vettel. Und Vettel war so langsam, dass er auch noch seinen Teamkollegen ziehen lassen musste. Nach vier Runden war Vettel nur noch Fünfter. Und in seinem Rückspiegel war Ricciardo zu sehen, der sich schon von Platz elf auf sechs vorgekämpft hatte.

Als nächstes rollte Verstappen vorbei an Bottas, machte nun Jagd auf Hamilton. Kurz dahinter versuchte auch Räikkönen, Bottas zu überholen, dessen weichere Reifen nun stärker abgefahren waren als die von Vettels Teamkollegen. In der 19. von 71 Runden kam Bottas als erster Fahrer aus der Spitzengruppe an die Box, eine Runde später folgte Hamilton.

Befreit von Bremsklotz Bottas, gab Räikkönen nun ordentlich Gas, schloss auf zu Verstappen. Vettel konnte ihm nicht folgen, fuhr raus, nach 28 Umdrehungen hielt er an der Versorgungsstation. Es war sensationell, wie gut sich die Red Bull auf den Plätzen eins und drei hielten. Auch nach 30 Runden rollten sie noch so elegant auf ihren weichen Supersoft-Gummis, als kämen sie frisch vom Kautschukbaum. Im Gegensatz zu den zwei Mercedes-Piloten machten Verstappen und Ricciardo keine Anstalten, die Reifen zu tauschen. "Ich hab das Gefühl, die Reifen werden immer besser", funkte Verstappen sogar. Irgendwann musste sich natürlich auch der Holländer neue Pneus aufziehen lassen. Zu späterer Runde konnte er es sich aber erlauben, auf eine weichere und schnellere Mischung zu wechseln als Hamilton. In der 40. Runde überholte er den fünfmaligen Weltmeister, Verstappen lag nun zum ersten Mal auch in der von Boxenstopps bereinigten Rangfolge ganz vorne. Dort wäre er sicher auch geblieben. Hätte ihn der zu überrundende Esteban Ocon nicht im Senna-S von der Piste befördert. Verstappen drehte sich, sortierte sich hinter Hamilton ein. Allerdings erst, nachdem er Ocon noch aus dem Wagen seinen gestreckten Mittelfinger präsentiert hatte. Später, beim Fahrerwiegen, das zeigten Bilder des Senders Canal+, packte Verstappen Ocon am Rennoverall und schüttelte ihn. "Er hat mich beim Wiegen rumgeschubst", klagte Ocon. Gleich nach der Zieldurchfahrt hatte Verstappen - und das war angesichts seiner bunten Historie als Rennrüpel nicht ohne Ironie - bereits gewütet: "Von so einem Idioten rausgenommen zu werden, da fehlen mir die Worte!" Und Vettel?

Für Vettel lief am Ende gar nichts mehr. Erst schob sich Ricciardo an ihm vorbei, dann fuhr er raus zu einem zweiten Boxenstopp, den außer ihm kaum jemand benötigte, und fiel zurück. Weit zurück.

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