Formel 1-Fahrer Hamilton und Rosberg:Schwer kontrollierbare Sensibelchen

Lewis Hamilton und Nico Rosberg

Ein Team, zwei Interessen: Lewis Hamilton (rechts) und Nico Rosberg

(Foto: dpa)

Mercedes schließt nach dem jüngsten Zwist mit seinen Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton einen neuen Pakt. Doch so etwas hielt in der Branche noch nicht oft. Über die Probleme, wenn zwei Männer in der gleichen Maschine sitzen.

Von René Hofmann

Inzwischen ist das Thema selbst bei den Konkurrenten angekommen. Nur 52 000 Zuschauer beim Rennen in Hockenheim, 30 Prozent weniger Fans beim jüngsten Gastspiel in Budapest: Die Formel 1 hat an mehr als einem Ort das Problem, noch viel Zuspruch zu finden. Das ist ein großes Thema beim letzten Auftritt vor der Sommerpause gewesen. Und Christian Horner ist es nun gelungen, das mit dem zweiten großen Thema zu verknüpfen, das in der Rennserie in dieser Woche diskutiert wurde: der Befehlsverweigerung von Lewis Hamilton. In Ungarn hatte der Brite seinen Mercedes-Kollegen Nico Rosberg nicht wie verabredet und vom Kommandostand gewünscht vorbeigelassen.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat? "Es kommt manchmal der Eindruck auf, dass die Rennen zu sehr von außen kontrolliert werden", findet Horner. Die Zuschauer wollten aber Helden sehen, Typen, weshalb der Red-Bull-Teamchef findet: "Wir müssen den Fahrern erlauben, mehr von sich zu zeigen, ohne dass sie dafür gleich immer kritisiert werden." Freie Fahrt also zum Wohle der ganzen Show. Wenn es mal so einfach wäre. Gerade Horner sollte eigentlich wissen, dass es ein wenig komplizierter ist.

Zwei Mann, die gleiche Maschine: Weil jedes Formel-1-Team zwei Fahrer an den Start schickt, kommt es zwischen den Repräsentanten eines Stalles regelmäßig zu Gerangeln. Wer bekommt die besseren Teile? Wer darf die bessere Strategie wählen? Wer darf als Erster zu den Reifen- wechseln?

Derlei Fragen gibt es viele. Und Rennfahrer sind Sensibelchen: Haben sie auch nur den geringsten Verdacht, sie könnten benachteiligt werden, kracht es. Das Dilemma, zweien das Gefühl zu geben, dass sie gerecht behandelt werden, obwohl letztlich immer einer die Nase vorn haben wird, ist im Prinzip nicht zu lösen. Versucht haben sich daran schon viele Teamchefs. Auch Horner.

Beim Großbritannien-Grand-Prix 2010 hatte seine Red-Bull-Mannschaft einen Frontflügel zu wenig. Genauer gesagt: Nachdem sich an Sebastian Vettels Auto im Abschlusstraining ein Schnellverschluss löste und sein neuer Flügel brach, gab es nur noch das Exemplar, das Mark Webber am Auto hatte. Weil der Australier mit dem Teil keinen großen Unterschied spürte, entschloss das Team unmittelbar vor der Qualifikation: Vettel bekommt die Neuentwicklung! Gerechtfertigt wurde die Entscheidung mit dem WM-Stand, in dem Vettel vor Webber lag.

Eine Begründung, die nicht alle überzeugte. Vor allem Webber nicht. Der gurgelte nach der Qualifikation, in der er gegen Vettel den Kürzeren zog: "Ich glaube, das Team hat das Resultat bekommen, das es wollte." Und nach dem Rennen, das er trotzdem gewann: "Nicht schlecht für eine Nummer zwei, oder?"

Als es mit der Harmonie vorbei war

Es war der Moment, in dem die Beziehung zwischen ihm und Vettel einen tiefen Riss bekam. Fortan war es mit der nach außen demonstrierten Harmonie vorbei. Aus dem vermeintlichen Miteinander wurde ein erbittertes Gegeneinander, das seinen Höhepunkt beim Großen Preis von Malaysia 2013 erlebte, als Vettel den Funkcode "Multi 21" ignorierte. Die Losung stand für die Anweisung an beide, nach dem letzten Boxenstopp die Autos zu schonen und die Positionen zu halten. Vettel pfiff auf die Vorgabe, überholte Webber, gewann das Rennen und wurde in der Saison zum vierten Mal Weltmeister. Je nach Blickwinkel ließ sich das Manöver als Beispiel für seine Rücksichtslosigkeit oder seine Cleverness werten.

Bei Mercedes wurde im vergangenen Winter vereinbart: Die Fahrer hören auf das, was ihnen am Funk gesagt wird. Wichtig ist, dass am Ende für das Team das beste Gesamtergebnis herausspringt. Geschlossen wurde der Pakt zwischen Hamilton, Rosberg, Technikchef Paddy Lowe und Sportchef Toto Wolff. Lowe und Wolff verzichteten in Budapest aber darauf, selbst die Stimme am Funk zu erheben und der Anweisung an Hamilton so Nachdruck zu verleihen.

Sie verzichteten darauf, weil sie selbst sahen, dass Rosberg nicht wirklich in Hamiltons Windschatten war. Und wohl auch, weil sie erkannten, dass die zu Saisonbeginn aufgestellte Regel nicht mehr zeitgemäß ist: Hamilton und Rosberg sind die Einzigen, die für den Titel noch in Frage kommen. Ihr Vorsprung ist überwältigend. Nicht mehr das Team steht nun im Mittelpunkt. Es geht nur noch um Rosberg oder Hamilton.

Deshalb wird die Regel jetzt modifiziert. Die beiden dürfen frei fahren - wenn sie sich um Siege balgen. Ansonsten gilt: Spätestens wenn Paddy Lowe sich am Funk meldet, ist Schluss mit der Selbstbestimmung. Das ist das Resultat von bilateralen Gesprächen, die Wolff in dieser Woche mit Hamilton und Rosberg am Telefon führte. Ein neuer Pakt also. Doch wie lange der wohl hält?

Vollblut-Rennfahrer sind wie Vollblut-Rennpferde: äußerst schwer zu kontrollieren. Die Formel-1-Historie zeigt, wie selten das glückt. Zwischen Ayrton Senna und Alain Prost wurde bei McLaren einst gelost, wer welchen Motor bekam. Trotzdem fühlte sich stets einer im Nachteil. 1998 galt in dem Rennstall die Regel: Wer in der ersten Kurve führt, darf gewinnen. Trotzdem musste David Coulthard daran sehr nachdrücklich erinnert werden, als es darum ging, Mika Häkkinen, der wegen eines Teamfehlers einmal zu oft an die Box gebogen war, wieder vorbeizulassen.

Als 2007 der damals gerade zum zweiten Mal zum Weltmeister gekürte Fernando Alonso und der Neuling Lewis Hamilton in dem Rennstall aufeinandertrafen, gab es ein penibel ausgearbeitetes Regelwerk, wer wann wie viele Runden drehen und wer wann welchen Mini-Vorteil haben sollte. Und trotzdem verbissen sich die beiden derart ineinander, dass der Titel am Ende der Saison Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen in den Schoß fiel. Auch im Mittelfeld hat es schon zahlreiche denkwürdige Begebenheiten gegeben, wenn es darum ging: Mann oder Mannschaft? Und am Funk die Vertrauensfrage gestellt wurde. Der Pole Robert Kubica hat in so einem Moment einmal einfach den Stecker seines Kopf- hörers gezogen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: