Formel 1:Ein gewinnbringender Crash

Bei manchen Rennställen manifestiert sich ein böser Verdacht: Ist Piquet in Singapur extra an die Mauer gefahren, damit Alonso die anschließende Safety-Car-Phase zum Sieg nutzen kann?

René Hofmann

Flavio Briatore und Fernando Alonso haben ein Problem: Man traut ihnen alles zu. Briatore dirigierte 1994 das Formel-1-Team von Benetton mit so vielen Tricks zum Titel, dass der Weltmeister später den Beinamen "Schummel-Schumi" trug. Alonso blockierte im vergangenen Jahr in Ungarn Lewis Hamilton beim Tanken in der Qualifikation, so dass sein McLaren-Kollege keine schnelle Runde mehr drehen konnte.

Formel 1: Ein Crash mit guten Folgen fürs Team: Auf Piquets Unfall folgte eine Safety-Car-Phase - die Teamkollege Alonso zum Sieg nutzte.

Ein Crash mit guten Folgen fürs Team: Auf Piquets Unfall folgte eine Safety-Car-Phase - die Teamkollege Alonso zum Sieg nutzte.

(Foto: Foto: Imago)

Seit diesem Jahr sind Briatore und Alonso bei Renault wieder vereint. Am vergangenen Sonntag glückte ihnen der große Coup: Alonso gewann den Großen Preis von Singapur, das erste Nachtrennen der Formel-1-Geschichte. Und das, obwohl er nach einem Ventil-Defekt in der Qualifikation lediglich als 15. ins Rennen ging.

Alonsos Vorteil: Er hatte als einziger bereits einen Boxenstopp absolviert, als sein Teamkollege Nelson Piquet einen Unfall hatte und das Safety Car die Wettfahrt für geraume Zeit neutralisierte. Dies hob Alonsos Rückstand auf und brachte ihn - weil die anderen Siegkandidaten unmittelbar darauf tanken mussten - ganz nach vorn.

Frühe Zweifel

Zweifel daran, dass Alonso Glück alleine nach vorne gespült hatte, hatte es früh gegeben. Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali sagte Sonntagnacht in Singapur über die mäßige Leistung seiner Equipe: "Wir müssen das analysieren. Es gibt Teams, die mit solchen Einflüssen offenbar besser zurechtkommen. Renault scheint oft zu profitieren, wenn das Safety Car kommt."

Inzwischen haben alle Rennställe ihre Datenaufzeichnungen analysiert - und bei nicht wenigen manifestiert sich ein böser Verdacht: Das Safety Car könnte dieses Mal nicht zufällig gekommen sein, sondern quasi auf Bestellung. Nelson Piquet könnte seinen Renault absichtlich in die Streckenbegrenzung gesetzt haben, um Alonso den Sieg zu ermöglichen. Verboten wäre das nicht. Aber grenzwertig trickreich.

Belege für die These gibt es nicht. Nur Indizien. Alonso tankte in der zwölften Runde zum ersten Mal. Bei 61 Umläufen entspricht das 19 Prozent der Renn- distanz. In diesem Jahr hat noch keiner, der am Start seine Benzinmenge frei wählen durfte, so früh sein ersten regulären Stopp absolviert. Seit das Einzelzeitfahren eingeführt wurde, bei dem diejenigen, die in der Qualifikation die besten zehn Startplätze verpassen, ihre Tankstrategie frei wählen können, galt: Je später einem das Benzin ausgeht, desto besser - es sei denn, man weiß genau, wann es eine Unterbrechung gibt.

Ein gewinnbringender Crash

Piquets Renault zerschellte in Umlauf 14. Ab Runde 15, das war hochzurechnen gewesen, mussten die Siegkandidaten tanken. Nur wenige Kilometer weiter hätte der Crash Alonso schon nichts mehr gebracht. Außerdem auffällig: Piquet verunfallte an einer Stelle an der Marina Bay, an der es keinen Bergekran und keine Lücke in der Mauer gab. Bis das Wrack geborgen war, kreiste das Safety Car fünf Mal. So lange war es in diesem Jahr außer in Barcelona noch nie zu sehen gewesen, aber dort steckte Heikki Kovalainen auch tief in den Reifenstapeln. Die lange Safety-Car-Phase bremste auch diejenigen, die schnell in den Benzinspar-Modus geschaltet hatten. Alonso kam ungefährdet zum Triumph.

Renault steht unter Druck. Vor Singapur war der Meister-Mannschaft der Jahre 2005 und 2006 23 Monate lang kein Sieg geglückt. Für Alonso war es die erste Podiumsplatzierung in diesem Jahr. Der Spanier ist unzufrieden und droht mit Abschied, soll aber unbedingt gehalten werden. Piquets erstes Jahr verlief enttäuschend. Fürs kommende muss er sich sorgen. Ein Erfolg beim vielbeachteten ersten Stadtrennen ist besonders prestigeträchtig.

Die Kosten eines zerstörten Boliden von einigen hunderttausend Euro fallen da kaum ins Gewicht. Gefährlich war der Unfall für Piquet nicht. Massive Kohlefaser-Wände schützen die Piloten. Außerdem kam der 23-Jährige in keiner besonders schnellen Passage von der Bahn ab, sondern in Kurve 20, wo aus den unteren Gängen beschleunigt wird. Das Bild wirkt stimmig.

Der Grund fürs gute Ergebnis? "Glück"

Die Strategie legt bei Renault Pat Symonds fest. Der 55 Jahre alte Brite arbeitet seit 1983 in der Formel 1. Er gilt als kluger Stratege mit Mut zum Risiko. Vor zwei Wochen, beim verregneten Großen Preis von Italien in Monza, ließ er Fernando Alonso auf dem abtrocknenden Kurs als einen der ersten im Feld von Regen- auf Allwetter-Reifen wechseln.

"Wenn mit dem Herkömmlichen nichts zu erreichen ist, riskiere ich gerne das Ungewöhnliche", hat Symonds in Singapur zu Alonsos Früh-Stopp-Entscheidung gesagt und diese auch mit einem Reifendilemma gerechtfertigt: Bridgestone bringt zwei Pneusorten an jede Rennstrecke. Jeder Pilot muss im Rennen beide bewegen. "Die weichen haben bei uns nicht funktioniert, die wollten wir so schnell wie möglich loswerden", gibt Symonds an. Seine Erklärung für das überraschend gute Ergebnis? "Glück."

Geht es nach der Konkurrenz, soll dieses Element künftig eingebremst werden. "Die gegenwärtigen Safety-Car-Regeln können bei einigen Nachteile verursachen", sagt McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh. Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo nennt das "beschämend". Sein Angestellter Felipe Massa findet: "Die Safety-Car-Regeln sollte man sich nochmal anschauen. Das Rennen sollte derjenige gewinnen, der am besten fährt und im besten Auto sitzt." So weit könnte es frühestens im kommenden Jahr sein.

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