Max Verstappen:Schimpfen, schubsen, Mittelfinger

European Best Pictures Of The Day - November 11, 2018

Was nicht passt, lässt sich nicht passend machen: Im Senna-S von Interlagos versucht Esteban Ocon, sich innen an Max Verstappen vorbeizuquetschen.

(Foto: Lars Baron/Getty)
  • Max Verstappen kollidiert beim Großen Preis von Brasilien als Führender mit dem Überrundeten Esteban Ocon, der versucht hatte, an ihm vorbeizuziehen.
  • Verstappen zeigt Ocon hinterher den Mittelfinger und schubst ihn beim Wiegen drei Mal.
  • Die Formel 1 diskutiert nun, ob ein überrundeter Fahrer überhaupt den Führenden des Fahrerfeldes überholen darf.

Von Philipp Schneider

Einer wie Nigel Stepney hätte vielleicht helfen können. Der große Bär der Boxengasse. Michael Schumachers Chefmechaniker, der so aussah, als könnte er einen Schraubenschlüssel mit den Händen in der Mitte durchbrechen, was aber auch daran gelegen haben mochte, dass er meist neben Ferrari-Chef Jean Todt lief, der ihm etwa bis zur Hüfte reichte. Stepney jedenfalls hat Schumacher vor 20 Jahren nach dem Rennen in Spa davon abgehalten, David Coulthard möglicherweise großes Leid zuzufügen, ihn zu erwürgen, oder zumindest zu verprügeln. Man weiß nicht, was der Plan war, wenn es einen gab, weil Stepney Schumacher mit seinen dicken Tatzen an der Schulter packte und ihn aus der Kampfzone zog.

Schumacher hatte Coulthard zuvor überrunden wollen, aber dessen McLaren blieb auf der Ideallinie. Und weil die Sicht nahezu null war im Nieselregen Walloniens, rumpelte Schumacher in Coulthards Heck. Der sture Schotte hatte Schumacher nicht nur nicht vorbeigelassen, sondern auch noch einen Bremstest veranstaltet. Der Ferrari rollte nach dem Auffahrunfall ohne Nase und auf drei Rädern in die Box, Schumacher stieg aus, zog sich Helm und Sturmhaube vom Kopf, dann stapfte er los in Richtung McLaren Box. Nie wieder hat man Michael Schumacher so wütend gesehen wie auf seinem Rachefeldzug in den Ardennen 1998. "Du hast versucht, mich zu töten!", brüllte er Coulthard an, der gerade erst seinem Rennwagen entstiegen war und durchaus froh gewesen sein dürfte, dass er seinen Helm noch trug.

Die gute, alte Schumacherszene muss nun als Referenz dienen für die Verhaltensauffälligkeit von Verstappen am Sonntag nach dem Rennen in São Paulo. Denn dass ein Überrundeter ein Rennen entscheidet, das ist in der langen und bunten Historie der Formel 1 nicht allzu oft geschehen.

Verstappen war mit einem Fahrer, den er schon überrundet hatte, zunächst auf der Strecke aneinander geraten, was ihn den Rennsieg kostete. Und später dann hatte auch er ihm unbehelmt seine Aufwartung gemacht. Nicht in dessen Box bei Force India besuchte Verstappen den Franzosen Esteban Ocon. Sondern auf der Fahrerwiege. Dort aber schubste Verstappen Ocon dreimal. Zweimal mit dem linken Arm, einmal mit dem rechten. Nach dem zweiten Schubser stolperte Ocon rückwärts die Waage herunter, fiel aber nicht hin. Was war passiert?

Ehe die Fahrer in der 44. Runde aneinandergerieten, hatte Ocon einen Boxenstopp eingelegt, der ihn mehr als eine Runde hinter Verstappen zurückfallen ließ. Da Ocon aber auf einer schnelleren Reifenmischung rollte, schloss er auf zu Verstappen. Im Senna-S probierte er die Vorbeifahrt. Er scherte aus, bremste sich neben Verstappen, so fuhren sie Seit an Seit durch die Schikane. Weil Ocon seinen Überholversuch nicht abbrach, obwohl er gescheitert war, verhakte sich beim Einlenken das linke Vorderrad des Force India mit dem rechten Hinterrad des Red Bull, die Autos kreisten auf dem Asphalt - Weltmeister Lewis Hamilton zog vorbei.

Ocon erhielt eine Zehn-Sekunden-Strafe, das genügte Verstappen aber nicht. Er drehte seinen Rennwagen wieder in die korrekte Fahrtrichtung, lenkte dabei mit einer Hand. Weil er die andere Hand aus dem Auto hielt, um Ocon den gestreckten Mittelfinger zu zeigen. "Du machst alles richtig, pflügst durch das Feld, hast ein großartiges Auto. Und dann wirst du von so einem Idioten rausgehauen, der schon überrundet war", klagte er später. Für diese bunte Mischung aus Sprüchen, Mittelfinger, vor allem aber für die Handgreiflichkeiten beim Wiegen (konkret wird ihm "absichtlicher physischer Kontakt" vorgeworfen), erhielt Verstappen von den Kommissaren als Strafe Sozialstunden aufgebrummt: Er soll zwei Tage lang mal etwas Sinnvolles tun.

Es schwingt nach der doppelten Rempelei auf Strecke und Waage noch eine weitere Frage mit in der Debatte: Darf man das? Den Führenden des Fahrerfeldes überholen, nachdem der einen überrundet hat?

Laut Reglement ist das "Einrunden" gestattet. Und auch Rennleiter Charlie Whiting, der die Bestrafung von Ocon für sein aggressives Fahrverhalten verteidigte, kritisierte zugleich das Fahrverhalten von Verstappen. "Wenn Ocon schneller ist, dann würde man normalerweise von Red Bull erwarten, dass sie sagen: Ocon ist schneller, lass ihn durch!, oder so etwas."

So etwas zu sagen, daran hätte Helmut Marko, der Berater des Red Bull Teams, allerdings im Traum nicht gedacht. Er hält es für "unglaublich", dass Ocon überhaupt probierte zu überholen. Und er wittert eine politische Verschwörung. "Ein Mercedes-Fahrer, der für 2020 einen Vertrag hat, haut uns raus", sagte Marko. Es sei so: "Man attackiert als Überrundeter nicht den Führenden. Das ist ein Ehrenkodex." Toto Wolff, dem Motorsportchef von Mercedes, war Markos Verweis darauf, dass Ocon seit 2015 von Mercedes gefördert wird und irgendwann auch ein Cockpit bei den Stuttgartern besetzen könnte, zu plump. "So sieht Marko die Welt", sagte Wolff - und kommentierte lieber die sportrechtliche Dimension des Vorfalls: "Esteban hatte das Recht, sich zurück zu runden. Ich bin sicher, er wollte den Zusammenprall vermeiden."

Der sinnvollste Hinweis kam nach dem Rennen von Lewis Hamilton. "In diesem Szenario gibt man sich gegenseitig Platz", riet er Verstappen. "Du kannst nie davon ausgehen, dass die Person innen zurücksteckt, nur weil sie überrundet ist. Das ist so einfach." Andererseits: Wenn es immer für alle so einfach wäre, dann wären auch alle fünfmalige Weltmeister. Und nicht nur Lewis Hamilton.

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