Formel 1:Besuch vom Schweiger aus Espoo

Sebastian Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen rechtfertigt seine Beichte.

Von Philipp Schneider, Monza

Kimi Räikkönen hat vor dem Rennen in Monza also doch noch etwas geschrieben. Er hat zwar nicht seine Unterschrift unter einen neuen Vertrag bei Ferrari gesetzt, womit grundsätzlich gerechnet worden war vor dem Heimrennen der Scuderia in Italien. Kimi Räikkönen hat den Buchhandel um eine Biografie bereichert. Also noch zu aktiven Rennfahrerzeiten. Was insofern begrüßenswert ist, als es schade ist, wenn Sportler jene Geheimnisse, die ihren Werdegang umwehen, erst dann mit der Öffentlichkeit teilen, wenn es sportlich schon längst um nichts mehr geht. "Tuntematon", heißt Räikkönens Erstling, Finnisch für "unbekannt", was wiederum gut zu Räikkönen passt, dem großen Schweiger der Formel 1. Wobei, Räikkönen hat Tuntematon natürlich nicht selbst geschrieben, sondern das Schreiben dem Schriftsteller Kari Hotakainen überlassen, der spätestens seit der Veröffentlichung seines Gedichtbands "Harmittavat takaiskut", also "peinliche Rückschläge", berühmt ist für seinen ironischen Stil.

Tuntematon ist noch nicht einmal auf Englisch erschienen, aber der finnische Stoff ist so brisant, dass er sich - neben dem Geheimnis der pfeilschnellen Ferraris - zum meistdiskutierten Thema in Monza aufgeschwungen hat. Räikkönen schildert in Tuntematon seine Seitensprünge und Alkoholeskapaden, die ihm schon immer nachgesagt wurden. Schon im Militärdienst habe es Ärger gegeben, weil er betrunken erschien. Und auch als Profi sei er noch um die Motorhomes gezogen, 2012 sogar 16 Tage in Serie betrunken gewesen. Nachdem ihn der Prinz von Bahrain zu einer Party eingeladen hatte, war er gemeinsam mit einem Kumpel, dem Eishockeyprofi Kimmo Pikkarainen, bis zum nächsten Rennen in Barcelona alkoholisiert. Er wurde Dritter. "Es hat meiner Karriere nicht geschadet", heißt es in dem Buch. "Ich habe halt auch noch für die anderen getrunken. Heute bin ich nicht mehr hinter Alkohol her. Ich habe genug gesoffen."

F1 Grand Prix of Italy - Practice

Schnell unterwegs: Sebastian Vettel in Monza.

(Foto: Dan Istitene/Getty Images)

Angesichts dieser grundsätzlich begrüßenswerten Entwicklung im Spätherbst der Karriere des 38-Jährigen stellt sich nur noch die Frage: Warum diese plötzliche Offenheit? "Ich habe es durchlebt, es ist kein Geheimnis", sagt Räikkönen in Monza.

Neben ihm sitzt Sebastian Vettel, sein Teamkollege. Vettel sagt, er plane kein Buch. "Ich glaube nicht, dass ich da mit Kimi mithalten könnte. Mein Buch wäre sicher nicht so spannend. Da muss ich vielleicht noch ein paar Jahre warten."

Wie gut sich Vettels Buch eines Tages verkaufen wird, das wird davon abhängen, ob er sich seinen Lebenstraum noch erfüllt, also: Ob er jemals Weltmeister wird im Ferrari. Wie sein Idol. Wie Michael Schumacher. Nie standen die Chancen hierfür besser als in diesem Jahr. Weil sein Ferrari noch nie so schnell war wie in dieser Saison. Weil es der Scuderia zum ersten Mal seit 2014, dem Beginn der Hybrid-Ära in der Formel 1, gelungen ist, ein Auto zu konstruieren, das dem Mercedes überlegen ist. Es hat mehr Kraft. Und es geht auch schonender mit den Reifen um. Vettel weiß das. Er weiß, dass er zwar noch 17 Punkte Rückstand hat auf seinen Rivalen Lewis Hamilton, sich aber trotzdem alle an diese Saison erinnern werden als jene, in der Hamilton entweder Weltmeister wurde in einem unterlegenen Auto, oder Zweiter. Vettel weiß, dass es an ihm liegt, ob er den ersten Titel für die Scuderia seit Räikkönen 2007 erstreitet. Das Rennen in Spa am vergangenen Sonntag, als Vettel nach dem Start mit seinem Ferrari an Hamilton vorbeigeflogen war, "als wäre ich gar nicht da", wie Hamilton anmerkte, hat das bewiesen. Und je häufiger er auf die erstaunliche Kraft des SF71H angesprochen wird, desto komplizierter wird es für ihn, sich rhetorisch aus der Umklammerung zu winden.

Formel 1 bleibt in Deutschland

Auch im kommenden Jahr wird auf dem Hockenheimring ein Formel-1-Rennen stattfinden. Die Veranstalter einigten sich nach langwierigen Verhandlungen mit der Rennserie auf einen neuen Vertrag für 2019. In dem am Freitag veröffentlichten Kalender mit 21 Rennen ist der Grand Prix für den 28. Juli angesetzt. "Wir sind hocherfreut. Deutschland ist ein sehr wichtiges Land für die Formel 1", sagte Chase Carey, Geschäftsführer beim Rennserienbesitzer Liberty Media, in Monza. Lange drohte eine weitere Auflage des Rennens am Geld zu scheitern. Zuletzt senkte die Formel 1 jedoch die geforderten Antrittsgebühren von angeblich mehr als 21 Millionen Euro und machte so eine Einigung möglich. Entscheidend war zudem die Bereitschaft von Autobauer Mercedes, als Titelsponsor des Grand Prix aufzutreten. "Es war wichtig für uns sicherzustellen, dass unser Heimrennen im kommenden Jahr stattfindet", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Die Verhandlungen seien "vertrauensvoll, konstruktiv und lösungsorientiert" gewesen, sagte Hockenheimring-Geschäftsführer Georg Seiler. dpa

"Ich weiß nicht", sagt Vettel. "Am Ende waren wir weniger dominant als alle glauben." Sicher, das Rennen habe gezeigt, dass sich Ferrari mit der dritten und letzten Ausbaustufe des Motors noch einmal gesteigert habe, aber das bedeute nicht, dass seine Technik auch auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke in Monza überlegen sei. Maurizio Arrivabene, Vettels Teamchef, eigentlich ein Freund von leisen Tönen und nicht von brüllenden Ansagen, sieht das anders. "Mercedes ist diese Rückschläge nicht gewöhnt. Jetzt ist die Zeit, sie ihnen zu verpassen", sagt Arrivabene.

Hamilton und Mercedes-Teamchef Toto Wolff sind schlau genug, die Erwartungen an Vettel noch zu erhöhen, indem sie sich kleiner machen als nötig. "Das Pendel hat ein bisschen in ihre Richtung ausgeschlagen", sagt Hamilton. "Wir waren einfach nicht schnell genug, um Vettel in Gefahr zu bringen", sagt Wolff. In diese Richtung weisen die von Mercedes angestellten Gedankenspiele, in der Schlussphase der Saison auf Teamorder umzustellen. Dann müsste Valtteri Bottas Hamilton assistieren. Vettel wiederum wüsste den unvergleichlichen Räikkönen an seiner Seite. Der Schweiger aus Espoo ist gut drauf. Jetzt, nachdem er seine Lebensbeichte zu Papier bringen ließ.

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