Formel 1:Augen auf und durch

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Zweimal wurde Ralf Schumacher die Indy-Steilwand zum Verhängnis - jetzt sieht er sie wieder.

Elmar Brümmer

Mit Angst können Rennfahrer immer dann am besten umgehen, wenn sie diese umgehen. Kürzlich wurde Juan Pablo Montoya gefragt, wovor er sich in seinem Leben am meisten gefürchtet habe. Er antwortete: "Davor, meine Connie zu heiraten."

Bei der Umfrage plauderte Rubens Barrichello über einen Bungee-Massensprung, und Michael Schumacher erzählte von Bedrückungen in großen Menschenansammlungen. Ralf Schumacher gab nur an, dass er in engen Räumen ein leichtes Unwohlsein verspüre.

Der Gefahr ist er in der riesigen Betonschüssel von Indianapolis am Wochenende beim Großen Preis der USA sicher nicht ausgesetzt. Wenn es Befürchtungen gibt, sind sie gezielter: Sie gelten Turn 13, der Unglückskurve.

Das Unausweichliche für Ralf Schumacher, der zweimal in den vergangenen beiden Jahren beim Großen Preis der USA jeweils spektakulär verunglückte, ist vor der Rückkehr der Formel 1 nach Indianapolis die Neu-Interpretation eines Sprichwortes: "Zwar sind aller guten Dinge drei, aber das wollen wir in diesem Fall nicht hoffen."

Der Toyota-Pilot, der an diesem Freitag beim Trainingsauftakt im Mittleren Westen seinen 31. Geburtstag feiert, versucht die Angst, zumindest verbal, sofort zu tilgen, wenn das Gespräch auf die Rückkehr ins Höchstgeschwindigkeitsoval kommt: "Angst? Auf keinen Fall. Wir haben ja jetzt einen anderen Reifenhersteller. Da sollte das funktionieren."

Im Winter wechselte Toyota von Michelin zu Bridgestone. Formel-1-Fahrer tendieren dazu, alles zunächst mal physikalisch zu betrachten, und die so gewonnene Sicherheit dann auf die Psyche zu übertragen.

Autos wie Flipperkugeln

Turn 13, die Steilkurve, zeigt ihre Tücke dann, wenn die Autos aus dem Kurvengeschlängel im Inneren der gigantischen Motorsportarena wie Flipperkugeln in eine Umlaufbahn zurück Richtung Zielgerade geschossen werden.

Auf dem Abschnitt wird das Gaspedal 20Sekunden lang durchgedrückt - die längste Vollgaspassage der Saison. In dem lang gezogenen Bogen werden die sonst praktisch nie angegriffenen Außenseiten der Reifen beansprucht, was eine besondere Konstruktion erfordert.

Mit Tempo 300 verlor Ralf Schumacher beim US-Grand-Prix vor zwei Jahren die Kontrolle über seinen BMW-Williams, knallte rückwärts in die Betonbegrenzung und kreiselte auf die Mitte der Piste zurück, wo er minutenlang allein Wrack saß.

Dass der linke Hinterreifen geplatzt war, erfuhr er hinterher aus Erzählungen. Die erste Diagnose der Ärzte - "Rückenprellungen" - war verharmlosend. Später stellte sich ein doppelter Wirbelbruch heraus, der sechs Rennen Pause bedeutete.

Im vergangenen Jahr versagten an gleicher Stelle wieder die Pneus, diesmal schon beim Training.

Ein plötzlicher Plattfuß, das Tempo lag noch um zehn km/h höher als beim Crash 2004. Die Betonmauer war inzwischen als Sicherheitsbande ausgepolstert worden.

Der Unfall verlief zwar für den Piloten glimpflich, war aber der Auslöser für den Rückzug aller Michelin-Teams und den späteren Grand-Prix mit sechs Autos. Die Erinnerungen sind langsam zurückgekommen, haben sich aber offenbar nicht als Zweifel beim doppelten Unfallopfer festgesetzt.

Indianapolis ist nicht unbedingt sein Lieblingsrennen, die Zielflagge hat er hier noch nie gesehen. Von den Unfällen aber sei nun wirklich nichts zurückgeblieben.

"Im Großen und Ganzen ist alles in Ordnung. An den einen Crash kann ich mich gar nicht mehr erinnern, und der im letzten Jahr war ja nicht sooo schlimm", sagt Ralf Schumacher.

Im Wegstecken zeigt er Routine: "Für mich war das nie eine Überwindung. Es ist einem klar, dass so etwas passieren kann. Als ich wieder gesund war, wollte ich sofort wieder fahren. Ich habe mich wieder ins Auto gesetzt und dann war es so wie immer."

"Zum Erschrecken keine Zeit"

Die Schrecksekunde, die viele Unfallfahrer noch lange plagt, hat bei ihm offenbar gar nicht stattgefunden: "Zum Erschrecken hatte ich keine Zeit. Es konnte doch keiner wissen, dass die Reifen nicht halten."

Die Entscheidung, dass nach seinem Unfall Michelin alle Reifen zurückzog, hält er für richtig: "Es ging ja gar nicht anders, und das war relativ früh klar."

Als Versuchskaninchen sieht er sich auch im Rückblick nicht: "Aus durchaus verständlichen Gründen musste man das genauer analysieren und hat sich etwas Zeit dafür gelassen."

Die heftigen Reaktionen der Fans, als nur die sechs mit Bridgestone bereiften Autos angetreten sind, schiebt Ralf Schumacher auf ein Kommunikationsproblem: "Das war eine Überreaktion einiger, die der Formel 1 geschadet haben. Das war einfach absolut sinnlos. Die Unfälle und die Reifenschäden - es war einfach nicht machbar zu fahren."

Die Frage, warum Michelin vor Jahresfrist keinen sicheren Pneu liefern konnte, ob aufgrund eines Fehlers oder eines übertriebenen Ehrgeizes, lässt sich nicht mehr beantworten. Der Formel 1 steht, das zumindest haben die Indianapolis-Unfälle beschleunigt, spätestens 2008 der Einheitslieferant ins Haus.

"Es wird sicherlich besser werden", glaubt Ralf Schumacher, "wenn die Konkurrenz fehlt, muss der Reifenhersteller nicht mehr ans Limit gehen. Man kann den Reifen sicherer gestalten. Das ist für alle Beteiligten ein Vorteil."

Aber der Verdrängungswettbewerb im Kopf, der geht unvermindert weiter.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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