Formel 1:Die Psycho-Weltmeisterschaft hat begonnen

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Orange statt Oranje: In der Verstappen-Hochburg Zandvoort liegt Lando Norris an der Spitze. (Foto: Simon Wohlfahrt/AFP)

Nachdem Lando Norris Max Verstappen bei dessen Heimrennen deklassiert hat, gehen die Wahrscheinlichkeitsrechnungen los. Der Brite spürt die Überlegenheit seines Autos – doch im Titelkampf kommt es auch auf gute Nerven an.

Von Elmar Brümmer, Zandvoort

Fast 23 Sekunden Vorsprung nach 72 Runden, Machtdemonstrationen dieser Art sind in der Formel 1 als beste Max-Verstappen-Manier bekannt gewesen. Tatsächlich hat der Titelverteidiger nur beim Saisonstart in Bahrain einen derart bequemen Vorsprung verwalten können. In Zandvoort, auf seinem eigenen Terrain, hat der Niederländer nun erleben müssen, wie sich diese Überlegenheit für den Nächstbesten anfühlt. Lando Norris segelte zum zweiten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere, obwohl er den Start einmal mehr verhunzt hatte. Aber die Überlegenheit seines McLaren-Rennwagens ließ den Briten ruhig bleiben, er legte sich Verstappen rundenlang zurecht, um seinen Kumpel und Rivalen dann vor den Haupttribünen zu demütigen. Und im allerletzten Umlauf setzte der Brite mit der schnellsten Rennrunde noch eins drauf. Das war die eigentliche Kampfansage.

Jetzt geht es los mit den Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Kann Max Verstappen die 70 Punkte Vorsprung bis zum Finale über die Runden bringen? Helmut Marko, der ewig gut gelaunte Rennstallberater von Red Bull, gibt sich aus Motivationsgründen pessimistisch: „Neunmal Zweiter werden, das reicht nicht. Das Resultat von Zandvoort ist alarmierend.“

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Beim Heimrennen von Max Verstappen setzt sich Lando Norris mit großem Abstand vor dem Weltmeister durch. Während McLaren sich weiter als Titelkonkurrent positioniert, gehen die Probleme für Red Bull weiter.

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Andrea Stella, Teamchef von McLaren, verweist auf die Saison 2013. Damals war er Ingenieur bei Ferraris Titelkandidaten Fernando Alonso. Nach der Sommerpause aber gewann Sebastian Vettel im Red Bull alle neun Rennen und seinen vierten Titel. Vor dem nächsten Grand Prix am Wochenende in Monza wird klar, dass es nicht nur eine Frage der Technik sein wird, die diesen Titelkampf entscheidet – es geht auch um den Glauben daran, das Unwahrscheinliche schaffen zu können. Die Psycho-Weltmeisterschaft hat begonnen.

Die Probleme mit seinem Dienstwagen lokalisiert Verstappen vernichtend so: „Vorn und hinten.“

Fünf Rennen in Serie ohne Sieg, dafür hat Max Verstappen sogar noch relativ gute Laune. Was für ein Sinneswandel: der Über-Ehrgeizling kann sich inzwischen sogar über zweite Plätze freuen. Dass die neue Bescheidenheit an Meditation und Yoga liegen könnte, hat er wohl nur im Scherz gemeint. Platz zwei in Zandvoort, das war sportliche Schadensbegrenzung, zum wiederholten Mal.

„Es war einfach ein schlechtes Wochenende. Allerdings waren die Rennen davor auch schon nicht fantastisch, das ist etwas beunruhigend“, sagte Verstappen. „Aber wir wissen, dass wir nicht in Panik verfallen brauchen.“ Das Transparent vom „Super-Max“ flatterte am Sonntag traurig im Küstenwind, ein Fahrer ist immer nur so gut, wie es sein Auto zulässt. Das merkwürdige Problem mit seinem Dienstwagen, das Verstappen seit einiger Zeit so plagt, lokalisiert er vernichtend so: „Vorn und hinten.“ Dieser Sonntag hat sicher nicht dazu beigetragen, ihn wieder in Balance zu bringen: „Manchmal sind die Dinge in der Formel 1 sehr kompliziert.“

Vater Jos bewertet die derzeitige Situation als ernst, das Team müsse wieder in die Spur gebracht werden. Max könne mit so einem Auto nicht zufrieden sein, er selbst ist es als ständiger Begleiter seines Sohnes offenkundig nicht. „Es ist an der Zeit – wenn es nicht schon zu spät ist – sich zu hinterfragen. Die guten Leute verlassen das Team“, sagte der frühere Formel-1-Pilot der Bild. „Ich bin sehr unzufrieden mit dem, was passiert.“

Red-Bull-Teamchef Christian Horner muss eingestehen: „McLaren ist für uns momentan nicht erreichbar.“

Das Duell Red Bull Racing gegen McLaren ist nicht nur die Auseinandersetzung Verstappen gegen Norris. In der Konstrukteurs-Wertung ist die Angelegenheit noch viel zugespitzter, die Titelverteidiger haben nur noch 30 Zähler Vorsprung. McLaren-Teamchef Andrea Stella, ein so leiser wie konsequenter Techniker, wagt sich erstmals aus der Deckung: „Wir fokussieren uns jetzt darauf, dass der Titel in beiden Wertungen möglich ist. Damit wir möglichst auf jeder Strecke siegfähig sind, werden wir weiter neue Fahrzeugteile bringen. Wenn wir unsere Leistung so halten können, dürfen wir von beiden Titeln träumen.“

Max Verstappen müht sich nicht darum, die Fassade zu wahren: Der Niederländer ist frustriert in Zandvoort. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Mag der Fahrertitel auch den größten Ruhm bringen, so füllt die Konstrukteurswertung die Kassen – der Unterschied zwischen den Plätzen beträgt manchmal zweistellige Millionensummen. Red Bull ist nicht nur in der Bonus-Frage unter Zugzwang, wie Teamchef Christian Horner eingestehen muss: „McLaren ist für uns momentan nicht erreichbar. Wenn sie das Tempo halten können, wird es eng. Und der Sieg wird Lando Norris noch mehr Selbstvertrauen geben.“

Schon vor dem zweiten Grand-Prix-Sieg des 24-Jährigen hatte Stella das Gerede darüber satt, dass sein Schützling zu instabil und noch nicht reif für den Titel sei. Der Italiener, der schon mit Michael Schumacher gearbeitet hat, konterte: „Lando hat das Potenzial zum Weltmeister, er zeigt schon jetzt Leistungen, die man in der Vergangenheit bei einigen der großen Champions gesehen hat.“

Zum vierten Mal verschenkt Norris beim Start die Führung – aber diesmal bleibt er ganz cool

Wenn da nur nicht die Nerven wären. Die Pole-Position zum vierten Mal in dieser Saison gleich beim Start zu verlieren, das wird zum Trauma. In der Sommerpause aber hat Norris stark an seiner Psyche gearbeitet: „Erstaunlicherweise war ich, nachdem ich nur als Zweiter in die erste Kurve gegangen bin, völlig ruhig.“ Da spürt einer die Überlegenheit seines Autos, dementsprechend konnte er zu einem für Red Bull demütigenden Sieg davonsegeln. Das schmutzige Orange schlägt das leuchtende Oranje, und Norris redet sich ob der Ähnlichkeit der Farben ein, dass die Fahnen der niederländischen Fans vor allem ihm galten. Auch der Spaß zeugt von einer veränderten Anspruchshaltung.

Lando Norris weiß um seine Chance, aber er weiß nicht genau, was er mit der Frage anfangen soll, wie ihn die neue Situation verändere, und ob er jetzt noch mehr aus sich herausholen müsse: „Ich kämpfe seit dem ersten Rennen des Jahres um den Titel, da hat sich nichts verändert. Ich muss es weiterhin besser machen. Auch wenn ich das ganze Jahr hart gearbeitet habe, liege ich immer noch 70 Punkte hinter Max“, sagte er. „Es wäre also ziemlich dumm, im Moment an irgendetwas anderes zu denken. Ich mache so weiter wie bisher.“ Vorbeugend fügte er an, dass ihm die Frage nach seinen Titelchancen nun nicht jedes einzelne Wochenende gestellt werden müsse. Eine Hoffnung, die sich garantiert nicht erfüllen dürfte.

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