Als ein Drittel des Rennens vorbei war, lagen fast 14 Sekunden zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton. Letzterer war äußerst schnell unterwegs, sein Ziel war klar: vorbeiziehen, gewinnen. Aber dann meldete Yuki Tsunoda Probleme, er war zuvor schon am Streckenrand gestanden, an die Box gekommen, dann wieder raus - um in der 48. Runde auf einem Grünstreifen den Großen Preis der Niederlande doch vorzeitig zu beenden. Das virtuelle Safety Car rückte aus, was Verstappen half. Er konnte an die Box zum Reifenwechsel abbiegen, ohne Bedrängnis, Hamilton folgte ihm und gab seine Einschätzung per Funk bekannt: "Das virtuelle Safety Car hat uns ausgebremst."
Dann wurde aus dem virtuellen noch ein reales Safety Car, als Valtteri Bottas nach 55 Runden stehenblieb. Verstappen ging an die Box und ließ sich für die finalen Runden die weichste Mischung montieren, Hamilton blieb auf Medium und wusste: "Das wird schwer, den Typen hinter mir in Schach zu halten." Die Antwort folgte kurz, nachdem das Rennen nach 60 Umrundungen wieder freigegeben war: Verstappen zog in seinem Red Bull mühelos auf der Start-Ziel-Geraden an dem Mercedes vorbei - und sollte auf dem Circuit Park Zandvoort nicht mehr bezwungen werden.
Im 15. Saisonrennen holte der 24-Jährige Weltmeister seinen zehnten Sieg vor Mercedes-Pilot George Russell und Charles Leclerc im Ferrari, die Hamilton in der 64. bzw. 66. überholt hatten. Beide hatten nochmals einen Reifenwechsel vollzogen, während der siebenmalige Weltmeister draußen geblieben war. "Ich kann das nicht glauben, Leute! Ich bin so verdammt sauer!", funkte Hamilton - der den Grand Prix als Vierter beendete. Mick Schumacher wurde 13., Sebastian Vettel 14. Verstappen (310) führt die Gesamtwertung mit 109 Punkten Vorsprung auf Leclerc (201) an. "Sie haben alles auf uns geworfen, aber wir haben die richtigen Entscheidungen getroffen", sagte Verstappen auf der Ehrenrunde nach seinem souveränen Start-Ziel-Sieg vor mehr als 100 000 Zuschauern.
Ein Boxenstopp von Mick Schumacher dauert zehn Sekunden
Den Startplatz an der Sonne hatte er sich am Samstag auf den letzten Drücker geholt. Bis zur Abschlussrunde hatte Leclerc vornegelegen, dann zog Verstappen mit einem Mini-Vorsprung von 0,021 Sekunden vorbei - begleitet von den Jubelschreien seiner Fans, die den Kurs am Meer das ganze Wochenende über mit ihren Utensilien in Orange tünchten und den Grand Prix zu einer Party machten, wie es an kaum einem anderen Formel-1-Ort der Fall ist. "Es war unglaublich", sagte Verstappen nach seiner vierten Pole in diesem Jahr und seiner 17. insgesamt. Dritter wurde Leclercs Teamkollege Carlos Sainz, Hamilton Vierter.
Mick Schumacher hatte die achtbeste Zeit rausgeholt, was angesichts seiner ungewissen Zukunft in der Formel 1 nicht unwichtig ist. Sein Vertrag bei Haas läuft aus, Teamchef Günther Steiner betonte auch in Zandvoort, dass er keinen Grund zur Eile sehe. Fünf Cockpits sind für 2023 noch zu vergeben. Womit sich Sebastian Vettel nicht mehr beschäftigen wird, nach dieser Saison beendet er seine Karriere, am Sonntag startete er als 19.
Verstappen kam gut weg und zog direkt in die Mitte, um den ersten Angriff von Leclerc abzuwehren. Der Niederländer blieb an der Spitze, dahinter die beiden Ferrari. Hamilton wollte in der ersten Kurve eine weitere Farbe unter die ersten drei Wagen bringen. Bei seinem Überholversuch berührte sein linker Vorderreifen den Ferrari Sainz, kurz wurde es holprig für die beiden, aber an der Reihenfolge änderte sich vorne nichts. Wie an einer Schnur aufgereiht rasten die 20 Fahrer nach der ersten Runde über die Geraden an den Zuschauern vorbei. Vettel hatte nach zwei Runden zwei Plätze gut gemacht, Schumacher zwei Plätze verloren.
In der elften Runde eröffnete Vettel die Reifenwechsel, als Schumacher zwei Runden später abbog, ging der Boxenstopp schief und dauerte zehn Sekunden. "Der Wagenheber ist oben geblieben", erklärte Steiner. Das wurde aber noch übertroffen, von der in dieser Saison so oft unglücklich aussehenden Scuderia. Als Sainz in der 15. Runde frische Pneus wollte, stand er 12,7 Sekunden. Es fehlte, tatsächlich, ein Reifen - und wie auch immer das möglich war, fiel es dem zuständigen Mechaniker hinten links zunächst nicht auf. Während Sainz stand und wartete, fuhr der hinter ihm parkende Perez aus der Box heraus und dabei, ja, tatsächlich, über einen Schlagschrauber von Ferrari, der im Weg lag. Porca miseria! "Das war einfach ein Durcheinander, die Mechaniker waren nicht fertig und zu spät informiert worden", sagte Teamchef Mattia Binotto bei Sky.
Währenddessen meldete Verstappen: "Die Reifen sind nicht schlecht", während Leclerc durchgab: "Die Reifen sind nicht allzu gut", also bog auch Letzterer ab. Diesmal gelang der Stopp. Verstappen folgte ihm, das brachte die beiden Mercedes ganz nach vorne. Hamilton führte vor Russell, dahinter sortierten sich Verstappen, Leclerc, Perez und Sainz ein. Nach 27 von 72 Runden waren die Silberpfeile noch immer auf jenen Mediumreifen unterwegs, mit denen sie gestartet waren. Eine Umdrehung später konnte sich Russell damit nicht mehr gegen Verstappen wehren, der die Fährte von Hamilton aufnahm. Vergangene Saison hatte Verstappen den ersten Großen Preis der Niederlande seit 36 Jahren gewonnen, als erster Niederländer, er sah keinen Grund, warum nicht wieder er der Sieger sein sollte.
Er musste sich gar nicht auf ein Duell mit Hamilton einlassen, nach 30 Runden musste auch der siebenmalige Weltmeister an die Box. Nun führte Verstappen das Feld wieder an. Russell bog nach 32 Runden ab und fiel hinter seinen Teamkollegen. Auf den frischen Gummis flogen die Mercedes geradezu über die Strecke, Hamilton kam Perez immer näher, in der 36. Runde hatte er ihn und duellierte sich in der ersten Kurve mit ihm, Perez hielt sich einen Durchgang vor ihm, dann kam Hamilton an selbiger Stelle doch vorbei. Die ersten Fahrer waren zu diesem Zeitpunkt überrundet worden. Mercedes war schnell unterwegs, Hamilton hatte Verstappen fest anvisiert, näherte sich immer mehr an - und wer weiß, wie dieses Rennen ausgegangen wäre, wenn das Virtual und das reale Safety Car nicht auf die Strecke gekommen wären.