Formel 1:Werwolf Vettel stellt die Machtfrage

F1 Grand Prix of China - Practice

Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel hat sich der Stallorder widersetzt - und muss keine Konsequenzen fürchten.

(Foto: Getty Images)

Sebastian Vettel verstieß gegen die Anweisungen seines Formel-1-Teams und kam ungestraft davon. Künftig soll er sich mit Teamkollege Mark Webber weitgehend frei duellieren dürfen. Eine gefährliche Konstellation - denn die Konkurrenten lauern schon auf Fehler.

Von Elmar Brümmer, Shanghai

Wenigstens einer im Formel- 1-Fahrerlager glaubt noch, dass sich die Egos zweier derart auf Konfrontation gebürsteten Rennfahrer wie Sebastian Vettel und Mark Webber, mit dem simplen Appell an die Vernunft steuern lassen. Schön also, dass es jemanden wie Christian Edward Johnston Horner gibt, der in seiner Eigenschaft als Red-Bull-Teamchef behauptet: "Selbst wenn sie die Entscheidung selbst in die Hände genommen haben, halte ich es für eine gesunde Rivalität." So gesund, dass der Rennstall peinlich genau darauf bedacht ist, dass an jedem Wochenende die Reihenfolge getauscht wird, wer als erstes im Qualifying auf die Strecke fahren darf und wer als erster beim Briefing mit den Ingenieuren sprechen darf. Horners schwierigste Mission ist die des Gleichstellungsbeauftragten. Fortan mehr denn je.

Beim Großen Preis von Malaysia vor drei Wochen hatte Vettel nach dem letzten Boxenstopp entgegen der Absprachen Webber attackiert. Aus Angst, die Reifen könnten nicht halten, hatte Horner die Ingenieure beider Fahrer anweisen lassen: Schongang einlegen! Vettel hatte das überhört, Webber den Sieg gestohlen und am Donnerstag dieser Woche frech erklärt: Im Prinzip würde er das jederzeit wieder so tun. Für die Missachtung der Stallorder hat Vettel sich vor der Belegschaft der Rennwagenfabrik in Milton Keynes zwar entschuldigt. Eine Strafe aber kassierte er nicht. Stattdessen soll es bei Red Bull nun generell keine Teamorder mehr geben, was die Frage aufwirft: Wie geht es weiter?

Horner, 39, wirkt zurückhaltend, als er das am Freitag am Shanghai International Circuit erklären soll, auf dem am Sonntag um 9 Uhr deutscher Zeit (live in RTL) das dritte Saisonrennen gestartet wird. Im Vergleich zu Vettels entschlossenem Auftritt an gleicher Stelle am Tag zuvor wirkt er sogar zaghaft. Nach dem Zwist auf der Piste stellt sich die Machtfrage im Weltmeister-Rennstall: Wer hat eigentlich das Sagen? Die Frage hat das Zeug, die WM-Führenden aus der Balance zu bringen.

Wenn zwei aus einem Stall sich streiten, freut sich ein Dritter

Der bekennende Egoist und Vettel-Gegenspieler Fernando Alonso wittert bereits die Chance zum Angriff: "Jeder im Team hat eine Position, die muss er respektieren", sagt der Ferrari-Fahrer aus Spanien, "Iker Casillas ist bei Real Madrid als Torwart angestellt und kann auch nicht einfach Stürmer spielen, wenn er dazu Lust hat." McLaren-Pilot Jenson Button sagt: "Wir wollen alle gewinnen. Aber wenn man den Befehl bekommt, die Position zu halten, und man vor dem Rennen weiß, dass das die Regel ist, dann muss man eben vor dem Rennen den Mund aufmachen und nicht erst im Rennen das Gegenteil tun."

Button glaubt: "So etwas wie in Malaysia verschwindet nicht aus den Köpfen, das kann zum Problem werden. Statt sich um die anderen Gegner zu kümmern, muss man sich Sorgen machen, was der eigene Teamkollege tut." Wenn zwei aus einem Stall sich streiten, freut sich gelegentlich ein Dritter. 2007 war das so, als Lewis Hamilton und Fernando Alonso einen respektlosen Stallkrieg bei McLaren inszenierten. Damals staubte Kimi Räikkönen für Ferrari den Titel ab.

Vettel hat sein Revier nun markiert. Der Brite John Watson, einst selbst Rennfahrer, schrieb in einer Kolumne über den Wandel des lange so freundlichen 25-Jährigen zum Radikalen: "Als ob Bambi zum Werwolf geworden ist." Red-Bull-Teamchef Horner aber gibt sich Mühe zu relativieren: "Sebastian hat seine Position klar gemacht, aber ich glaube nicht, dass er damit meine untergraben hat. Er hat nicht einen Moment gedacht, dass er das Team führt. Er weiß, warum er bei uns angestellt ist. Und mehr als alle anderen weiß er, wem er seinen Erfolg zu verdanken hat." Selbst für Vettels Muskelspiel bringt Horner mit dem Abstand von drei Wochen offiziell ein gewisses Verständnis auf: "Seb hätte wohl nicht so großen Erfolg, wenn er immer unterwürfig gewesen wäre."

Keine Fernsteuerung mehr vom Kommandostand

Nach einem Rapport beim Konzern-Regenten Dietrich Mateschitz in Salzburg, der prinzipiell gegen die imageschädliche Stallorder ist, durfte Horner populär verkünden: Keine Fernsteuerung mehr vom Kommandostand aus! Das klingt nach echter Freiheitsliebe - wenn man ein paar kleine, aber entscheidende Wörtchen überhört. Denn die freie Fahrt gilt laut Horner nur "gegen Ende des Rennens". Was bedeutet: Weder der schon öfter beschlossene Nichtangriffspakt in der heiklen Startphase ist davon betroffen, noch sind es die spontanen Strategieänderungen, die sich das Team vorbehält - und die in Malaysia zum Knatsch führten. "Wir erwarten, dass sich die beiden an die Informationen halten, die wir ihnen geben", sagt Horner über Vettel und Webber.

Der Teamchef hat ausführlich versucht, Teambesitzer Mateschitz die Eigenheit der Formel 1 klarzumachen: "Dietrich ist ein Purist, er will, dass alle Red-Bull-Athleten gegeneinander antreten. Aber Red Bull Racing ist eben auch ein Team. Und deshalb kommt es zu Konflikten zwischen dem Wunsch der Fahrer und den Interessen des Teams", so Horner.

Vettel hat in dieser Woche wacker behauptet, er könne keinen Spalt im Team erkennen. Ein solcher wäre gefährlich für das Vorhaben, Einzel- und Konstrukteurstitel zu verteidigen. Doch die Diversifikation in einen englisch- und einen deutschsprachigen Teil der Mannschaft ist offenkundig doch weit fortgeschritten. Souffliert von den britischen Medien, die Vettel als arrogant geißeln und Horner Führungsschwäche attestieren: "Er wurde zu Dr. Frankenstein, der das Monster, das er selbst geschaffen hat, nicht mehr kontrollieren kann", schrieb die Times nach dem Ärger in Malaysia.

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