Formel 1:Warten auf die Kettenreaktion

Bevor das Rennen in Spa zur Nebensache wird, gewinnen die Ferrari-Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc das Qualifying.

Von Anna Dreher, Spa-Francorchamps

Formel 1: Auch wenn sich Vettel zunächst in Zurückhaltung übte, das Qualifying am Samstag bestätigt, dass der Kurs in den Ardennen den Ferraisti liegt: Zum zweiten Mal in dieser Saison starten beide Ferrari aus der ersten Reihe.

Auch wenn sich Vettel zunächst in Zurückhaltung übte, das Qualifying am Samstag bestätigt, dass der Kurs in den Ardennen den Ferraisti liegt: Zum zweiten Mal in dieser Saison starten beide Ferrari aus der ersten Reihe.

(Foto: Francisco Seco/AP)

Am Freitag ahnte noch niemand, was für ein tragischer Unfall auf dem Circuit de Spa-Francorchamps dieses Wochenende überschatten würde. Bei dem am Samstagabend nach einer dramatischen Kollision kurz nach dem Start des Formel-2-Rennens der 22-jährige Franzose Anthoine Hubert verstarb. Und der US-Amerikaner Juan-Manuel Correa, 20, schwer verletzt in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Über seinen genauen Zustand wurde bis Samstag Nacht nichts bekannt.

Am Freitag lief bei der Formel 1 alles noch nach dem gewöhnlichen Protokoll, mit Gesprächsrunden, in denen Themen eine große Relevanz beigemessen wurde, die nur einen Tag später angesichts dessen, was passiert war, unglaublich irrelevant zu sein schienen. Welche Bedeutung hat schon der sportliche Wettkampf, wenn ein, noch dazu sehr junger Mensch, gerade sein Leben verloren hat und ein weiterer darum kämpft?

Am Freitag aber drehte sich Sebastian Vettel noch ganz unbekümmert auf einem Drehstuhl im Motorhome von Ferrari. Vor dem Großen Preis von Belgien und es gab Redebedarf. Die Journalisten waren bereit, Fragen zu stellen und Vettel war bereit, Antworten zu geben. Aber erst einmal musste er grinsen ein bisschen ungläubig, vor allem aber amüsiert. Hörte das denn gar nicht mehr auf? Dieser laute, durchaus unangenehm klingende Ton? Eine Mischung aus metallischem Kreischen und Stottern, die aus den Lautsprechern des kleinen Presseraums im Motorhome von Ferrari dröhnte. Keiner wusste so richtig, was die Ursache war, aber es kam immer wieder.

In einer Formel-1-Saison, die für den viermaligen Weltmeister und das italienische Traditionsteam so gar nicht läuft, wie sie sich das vorgestellt hatten, funktionierte nach der vierwöchigen Sommerpause also selbst vor der Pressekonferenz die Technik nicht. Aber als schließlich die Mikrofone ausgetauscht, Entschuldigungen ausgesprochen und die Tonprobleme behoben waren, hörte Vettel auf zu grinsen und begann zu sprechen. Über den Grand Prix in Spa diesen Sonntag (15.10 Uhr, RTL) und in Monza kommende Woche, das große Heimspiel der Scuderia. Über seine Gedanken zum bisherigen Saisonverlauf und die mögliche Wende in der Weltmeisterschaft, die sein großer Konkurrent Lewis Hamilton mit 250 Punkten nach acht Siegen in zwölf Rennen deutlich anführt.

Vettels ungute Erinnerungen an seinen Sieg 2018

"Wir alle brauchen bessere Ideen und bessere Lösungen, um schneller zu sein", sagte Vettel über sich und sein Team. "Es tut weh, aber es ist nicht unmöglich, die Lücke zu schließen. Manchmal können kleine Dinge einen großen Unterschied ausmachen und eine Kettenreaktion starten. Wir haben einen sehr starken Willen, unsere Sache gut zu machen." Nun dürfte es aber ohnehin weniger an mangelnder Motivation gelegen haben, sondern mehr am Setup des SF90, Fahrfehlern wie in Silverstone - als Vettel sich im Zweikampf mit Max Verstappen verschätzte und diesem ins Heck fuhr - und der erdrückenden Dominanz von Mercedes, dass Vettels dreizehntes bisher ein Katastrophenjahr in der Formel 1 für ihn ist: Kein Sieg, nur eine einzige Pole Position, weit entfernt vom großen Traum, dem ersten WM-Titel im roten Rennoverall.

Kommt sie also mit dem Großen Preis von Belgien am Sonntag: die Wende? Jene Strecke, auf der Vettel 2018 in der ersten Runde so schnell an Hamilton vorbeirauschte, dass dieser danach beklagte: "Er hat mich überholt, als wäre ich gar nicht da!" Und wo Vettel dann so souverän gewann, dass damals alle dachten, nun werde er auf jeden Fall Weltmeister werden - und seitdem nicht mehr wieder ganz oben auf dem Podium stand. Grundsätzlich liegen die 7,004 Kilometer des Hochgeschwindigkeitskurses in den Ardennen Ferrari. Und auch wenn sich Vettel zunächst in Zurückhaltung übte, das Qualifying am Samstag bestätigte es: Zum zweiten Mal in dieser Saison starten beide Ferrari aus der ersten Reihe.

"Es hat etwas länger gedauert, bis ich das Auto in den Griff bekommen habe", sagt Vettel.

Vettels Teamkollege Charles Leclerc, 21, holte in einem auch wegen Positionskämpfen vor der letzten schnellen Runde teils chaotischen Durchgang bei einem Vorsprung von sieben Zehnteln überlegen die Bestzeit. Für den Monegassen ist es die dritte Pole Position in diesem Jahr. Vettel musste sich dem dieses Wochenende dominierenden Leclerc geschlagen geben, blieb aber zuversichtlich. "Es hat etwas länger gedauert, bis ich das Auto in den Griff bekommen habe", sagte Vettel. "Aber es hat sich ganz gut angefühlt, das ist das Wichtigste. Ich glaube, wir haben eine gute Geschwindigkeit." Hinter ihm reihen sich am Sonntag die Mercedes von Hamilton und Valtteri Bottas ein. Der Niederländer Verstappen im Red Bull wurde Fünfter. Der Emmericher Nico Hülkenberg, der seit dieser Woche auf der Suche nach einem neuen Cockpit für die kommende Saison ist, wird von Platz zwölf starten.

Um seine Bilanz aufzubessern, bleiben Vettel inklusive Spa noch neun Grand Prix. Jeweils kann Vettel für Sieg und die schnellste Runde maximal 26 Punkte ergattern. Er ist hinter Hamilton und Bottas (188, zwei Siege) sowie Verstappen (180, zwei Siege) mit 156 Zählern Vierter. Und die anderen werden nicht plötzlich aufhören, ihr Punktekonto zu füllen. Aber Vettel, unglücklich mit der ersten Saisonhälfte nach all den Enttäuschungen, hat einen anderen Blick entwickelt, als sich das vorzuhalten, was die Statistik vorgibt. "Ich betrachte dieses Jahr nicht als eines ohne Sieg", sagte der Heppenheimer. Er habe immer das Maximum für Ferrari rausgeholt - mehr sei nicht drin gewesen bisher. Die Rennen in Bahrain (Motorschaden Leclerc), Kanada (Zeitstrafe Vettel) und Österreich (Leclerc von Verstappen kurz vor Schluss überholt) hätten von einem Ferrari gewonnen werden können. "Es ist möglich, die Lücke zu schließen", sagte Vettel. "Mercedes gilt es zu schlagen. Und das ist es, wonach wir streben."

Aber all das verblasste angesichts der Ereignisse, die bald danach in Spa folgten.

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