Formel 1:Plötzlich Frontmann beim Schlusslicht

Formel 1: James Vowles tüftelte lange an den Strategien unter anderem von Lewis Hamilton. Nun übernimmt er die Verantwortung bei Williams.

James Vowles tüftelte lange an den Strategien unter anderem von Lewis Hamilton. Nun übernimmt er die Verantwortung bei Williams.

(Foto: Joe Portlock; via www.imago-images.de; imago/imago images / Motorsport Images)

James Vowles tüftelte bei Mercedes an der Strategie, die dem Team zahlreiche Titel brachte. Nun wechselt er zum notorisch erfolglosen Williams-Rennstall - und die Branche spekuliert.

Von Elmar Brümmer

Der neue Teamchef des Williams-Rennstalls wird sich in vielem von seinem Vorgänger unterscheiden. Der Neue, das ist James Vowles, bislang Strategiechef bei Mercedes. Der ist zwar durchaus verbindlich, aber anders als bei Jost Capito wird der Brite es kaum zu seinem Markenzeichen machen, den Formel-1-Freunden des Bezahlsenders Sky aus dem Fahrerlager ein schönes Rennen zu wünschen; stets verbunden mit der Bitte, doch die Daumen zu drücken. Es hat ja auch wenig genützt. Williams war das Schlusslicht der Konstrukteurswertung, Capito musste vor Weihnachten gehen. Vowles dagegen kommt von ganz oben, von Mercedes. Er ist als Chefstratege einer der geistigen Väter hinter sieben Fahrer- und acht Konstrukteurstiteln.

Für den 43-Jährigen handelt es sich trotzdem um eine Beförderung, keine Frage. Für seinen bisherigen Arbeitgeber ist es ebenso fraglos ein Verlust. Vielleicht, wie es in der Verschwörungsbranche schon heißt, aber auch nur ein Test. Mercedes-Teamchef Toto Wolff, 51, hatte vor ein paar Jahren mit einem Rückzug in seine Mitbesitzer-Rolle geliebäugelt. Technikdirektor James Allison aber wollte nicht nachrücken, Vowles schien die nächste logische Wahl. Tatsächlich hat der Ingenieur in letzter Zeit viele Management-Aufgaben übernommen.

Dass er jetzt ohne die übliche Sperre zum Konkurrenten wechseln darf, und rechtzeitig zu Beginn der Testfahrten am 20. Februar in die blaue Teamkleidung schlüpfen kann, zeugt von der besonderen Unternehmenskultur bei Mercedes. "Du kannst niemanden aufhalten, der aufsteigen kann. Wenn ein Vogel fliegen will, musst du ihn ziehen lassen", sagt Wolff. Der Österreicher selbst hatte seinen ersten Formel-1-Job an der Spitze von Williams, ehe der damalige Mercedes-Boss Dieter Zetsche ihn ins strauchelnde Werksteam holte. Warum Vowles jetzt nicht ausprobieren als Gesamtverantwortlichen, und ihn dann zurückholen - zumal Williams als Motorenkunde ohnehin zur Sterne-Familie gehört?

Eine andere, ernstzunehmende Kandidatin für den Job bei der Traditionsmarke Williams, deren letzter WM-Titel inzwischen ein Vierteljahrhundert zurückliegt, wäre Susie Wolff gewesen. Die ehemalige Rennfahrerin und Ehefrau von Toto Wolff, die als bislang letzte Frau an einem Formel-1-Wochenende im Einsatz war (2015 als Testfahrerin in einem Williams) hätte sich ob ihrer eigenen Vita als erfolgreiche Machthabende in der Formel E durchaus empfohlen. Aber diesen Konkurrenzkampf wollten die Wolffs dann wohl doch nicht. In der Williams-Rennfabrik in Grove, obwohl ein Hort konsequent rauer Männlichkeit, hätten sie auch mit einer Frau an der Spitze kein Problem gehabt, das kannten sie ja von Claire Williams. Die Tochter des Firmengründers war Ende 2020 durch Capito abgelöst worden.

Vowles Wechsel zeigt einen neuen Trend in der Formel 1

Dass dort jetzt erneut ein radikaler Management-Wechsel stattfindet, der Technikchef war auch verabschiedet worden, hängt auch mit den neuen Besitzern zusammen. Dorilton Capital ist eine private Investment-Firma aus den USA, die sich schon bei der Fahrerwahl durchgesetzt hatte. Die Investoren wollten einen US-Piloten, und fanden ihn in Logan Sargeant aus Fort Lauderdale. Capito hätte sich auch Mick Schumacher im Cockpit vorstellen können.

Die Berufung von James Vowles passt den Finanziers gut in den Kram, Stratege zu Strategen, verdeutlicht aber auch einen Trend in der Formel 1. Nach dem erfolgreichen Vorbild von Toto Wolff sind Teamchefs heute nicht mehr auf den Kommandostand an der Rennstrecke fixiert, sind mehr Unternehmensführer. Der Deutsche Andreas Seidl, der künftig die Audi-Zukunft beim Sauber-Rennstall vorbereitet, ist ein weiteres Beispiel dafür. Auch Red-Bull-Statthalter Christian Horner, der sich als Dienstältester an die Spitze hochgearbeitet hat, war von Dietrich Mateschitz einst noch unter ganz anderen Voraussetzungen eingestellt worden.

An Jenson Buttons WM-Titel war Vowles auch beteiligt

Taktiker Vowles verkörperte die konstruktive no blame Fehler-Kultur bei Mercedes perfekt. Seine Strategen irrten sich zwar selten, aber wenn, dann meldete er sich persönlich bei den Fahrern über Boxenfunk - und entschuldigte sich. Von der Stimme aus dem Off wird er nun zum Frontmann. Wie Underdogs erfolgreich sein können, erlebte er gleich zu Beginn seiner Grand-Prix-Karriere, als er sich für den Rennstall von Ross Brawn Strategien ausdachte, die Jenson Button 2009 zum Überraschungsweltmeister machten.

Bessere Lehrmeister als Brawn und Wolff gibt es kaum, aber natürlich wird er jetzt versuchen, einen eigenen Stil bei Williams zu etablieren: "Den Gedanken, ein Team zu leiten, trage ich bereits seit Jahren mit mir herum. Williams schenkt mir nun das Vertrauen. Ich werde das zurückzahlen. Dieses Team hat riesiges Potenzial", sagt er. Bange ist ihm nicht: "Es ist natürlich ein Sprung, aber kein großer. Ich wurde gut bei Mercedes darauf vorbereitet. Und Dorilton ist bereit, zu investieren. Wir werden sicher die Technikabteilung stärken müssen. Doch wichtigste Element, um Erfolg zu haben, sind die Menschen und die Kultur. Einer allein reißt es nicht raus." Was die Gerüchte angeht, baut er auch gleich vor: "Williams wird kein Mini-Mercedes. Ich werde auf meinen eigenen beiden Füßen stehen."

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