Formel 1:Vor dem Start stehen gelassen

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Kein Handschlag: Die Titelkandidaten Nico Rosberg (links) und Lewis Hamilton tun vor dem Formel-1-Finale viel, um sich nicht zu nahe zu kommen. (Foto: Valdrin Xhemaj/dpa)

Nico Rosberg und Lewis Hamilton waren einmal Freunde. Vor dem dritten Duell um den Formel-1-Titel geben sie sich höchst unterschiedlich - die Rollenverteilung ist klar.

Von René Hofmann, Abu Dhabi

Es ist wie bei einer Jagd. Die Späher liegen auf der Lauer im Fahrerlager an diesem sonnigen Tag. Plötzlich gibt einer Alarm: "Nico kommt!" Für die wartenden Kameraleute ist dies das Signal, ihr schweres Gerät in den Anschlag zu heben. Kurz darauf tritt Nico Rosberg ins Licht. Federnden Schrittes kommt er daher. Wenn er mit seinem Gang einen Eindruck hinterlassen will, dann ist es am ehesten ein dynamischer. Einer der Kameramänner ist so fokussiert auf seine Beute, dass er beim Rückwärtslaufen einen Randstein übersieht. Mit einigem Getöse stürzt er in ein Rabatte. Rosbergs PR-Mann springt hinzu, um ihm zurück auf die Füße zu helfen. Der Gestürzte aber bekommt das kaum mit. Rücklings am Boden hat er das Gesicht noch am Sucher. In dem Moment geben die Späher erneut Alarm: "Lewis kommt!" Der zweite Titelkandidat trägt eine Baseballkappe verkehrt herum sehr weit oben auf seinem Kopf. Lässig kommt er daher, und wenn sein Gang einen Eindruck hinterlassen soll, dann ist es am ehesten ein entspannter.

Die Aufregung ist immer gewaltig, wenn die Formel-1-Weltmeisterschaft entschieden wird. In solchen Momenten wird ja tatsächlich Geschichte geschrieben, auch wenn es nur ein bisschen Sportgeschichte sein mag. Lewis Hamilton und Nico Rosberg duellieren sich nun schon zum dritten Mal um die Formel-1-Krone. So lange haben sich auf diesem Niveau noch nie zwei Teamkollegen beharkt. Die Konstellation ist außergewöhnlich, und sie ist auch deshalb außergewöhnlich spannend, weil die beiden eine gemeinsame Geschichte haben, die weit über diese Zeit hinausreicht.

Schon als Heranwachsende traten die beiden gegeneinander an. Sie waren gut befreundet. Vor und nach dem Fahren kickten sie zwischen den Kurven Fußbälle hin und her oder balancierten auf Einrädern um die Wette. Lewis Hamilton hat das in Abu Dhabi gerade noch einmal erzählt. "Wir haben es beide geliebt, Pizza zu essen und ganze Schachteln voller Kelloggs Frosties", hat der Engländer verraten, "wir haben all diese verrückte Sachen gemacht und große Motorrad-Touren unternommen. Ich mache all das immer noch. Aber Nico hat sich verändert, er hat jetzt wirklich ausschließlich nur noch sich im Blick."

Auffällige Unterschiede vor dem Showdown

Sie sind miteinander groß geworden, und nun rangeln sie erneut um das Größte, was es in ihrem Sport zu gewinnen gibt. Nico Rosberg behauptet, die gemeinsame Vergangenheit bilde einen Sockel des Respekts. Ob das aber wirklich stimmt? Ist es wirklich leichter, jemandem zu unterliegen, den man lange und gut kennt?

Die beiden geben sich auffallend unterschiedlich vor diesem Showdown, der in Abu Dhabi stattfindet, auf einer künstlich geschaffenen Halbinsel in der Anflugschneise des Flughafens, unter einschwebenden Jets und hinter vielen, vielen Baukränen, die weitere Attraktionen in den Himmel ziehen, die Touristen ins Land locken sollen. Die Formel 1 ist Teil des Entertainment-Business, in dieser Kunstkulisse wird das besonders deutlich - und im direkten Gegenschnitt wird auch klar, wer von den beiden Protagonisten das wirklich verinnerlicht hat, wer sich beim Wachsen am meisten veränderte. Seit die beiden sich um den Titel balgen, vermeidet es ihr Mercedes-Team, sie gemeinsam öffentlich auftreten zu lassen. Vor diesem Finale aber gibt es da kein Entrinnen. Der Automobilweltverband hat ein Miteinander verfügt, erst in dem abgesperrten Quadrat vor den TV-Kameras, der im Fachjargon "Gatter" heißt, danach auf einer dunklen Bühne zu einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Im Gatter bauen sich die TV-Teams in Grüppchen auf. Die deutschen Sender stehen zusammen an einer Seite, die britischen auf der gegenüberliegenden. Dazwischen haben sich die lateinamerikanischen Stationen positioniert, an der vierten Seite stehen alle anderen. Rosberg und Hamilton wechseln nach ein paar Minuten zwischen den Grüppchen. Und wie das so ist: In einem Quadrat gibt es zwei mögliche Laufwege. Sie könnten quer wechseln, dann kämen sie aneinander vorbei. Oder reihum, dann vermeiden sie den direkten Kontakt. Die Frage ist vermutlich nicht WM-entscheidend, aber interessant ist es dann doch: zu beobachten, wie ein jeder sich in diesem Moment gibt.

Rosberg steht betont locker vor den Reportern. Es dauert nicht lange, bis er eine Hand auf die oberste Gatterstange legt. Leicht schräg steht er nun da, das rechte ist sein Stand-, das linke sein Spielbein; den Fuß, mit dem er im Rennwagen bremst, hat er auf die Spitze gestellt. Bei seinen Antworten lächelt er viel, so, als ließen sich mit Optimismus alle Zweifel verscheuchen. Rosberg ist im Vorteil. Mit zwölf Punkten Vorsprung zieht er in das Finale. Das bedeutet: Selbst wenn Hamilton gewinnt, reicht dem Rivalen ein dritter Platz. Der Vorteil bedeutet aber auch Druck: Rosberg kann selbst alles verspielen. Und sollte der Griff zum ganz großen Pokal erneut ins Leere gehen, dann werden vermutlich noch mehr sagen: Der Rosberg, der schafft es nie.

Hamilton steht ganz anders im Gatter. Gerade. Sein Oberkörper bleibt den Fragestellern stets direkt zugewandt. Standbein, Spielbein - damit ist nichts bei ihm. Anders als Rosberg trägt er eine kurze Hose, und so ist gut zu sehen, wie seine bemerkenswert dünnen Beine beide die ganze Zeit ruhig und fest in seinen Turnschuhen ankern. Dann kommt der Moment, in dem sie ihre Plätze tauschen. Ihre Wege kreuzen sich nicht. Es ist nicht so, dass die beiden sich unbedingt aus dem Weg gehen. Es ist eher so, dass die beiden schauen, dass sie sich nicht unbedingt über den Weg laufen. Ein jeder auf seiner Spur. Jenseits der Rennstrecke geht das. Aber auf der Piste? Ihr öffentliches Aufeinandertreffen anschließend verrät viel über die bisherige Vorfahrtsregelung.

Zum Auftakt werden die beiden Kombattanten gebeten, sich für die Fotografen doch kurz nebeneinander zu stellen und sich die Hände zu reichen. Den zweiten Teil der Aufforderung überhören beide. Und so stehen sie ein wenig beklommen da, Rosberg wacker lächelnd, Hamilton bemüht wenig lächelnd, zwei einstige Kumpel, die sich offensichtlich nicht mehr viel zu sagen haben. Hamilton beendet das Miteinander abrupt, in dem er sich einfach hinsetzt, obwohl die schnarrenden Geräusche der Auslöser verraten, dass die Fotografen noch lange nicht genug haben. Er lässt Rosberg einfach stehen. Auf dieser Bühne hat er das Sagen, schon dieses kurze Vorspiel deutet das an.

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Es ist nicht so, dass Lewis Hamilton Pressekonferenzen wirklich liebt. Erst im Oktober, beim Auftritt in Japan, beschäftigte er sich während der Fragerunde so ausgiebig mit seinem Mobiltelefon und den sozialen Medien, die er darüber bespielt, dass er sich nachher Respektlosigkeit vorhalten lassen musste. Seine Antwort darauf: ein Presseboykott. Es kann deshalb kein Zufall sein, dass es nun, vor dem letzten Hurra, so richtig aus ihm heraussprudelt.

Hamilton fesselt die Zuhörer mit seinen Geschichten

Die gemeinsamen Abenteuer mit Rosberg zur Kart-Zeit, sein Treffen mit Tennis-Größe Serena Williams, der Abschied von seinem einstigen Physiotherapeuten, der nach dem vergangenen Rennen vor zwei Wochen einem langen Leiden erlag - Hamilton erzählt und erzählt, und je mehr er erzählt, desto aufmerksamer lauscht ihm das Publikum und desto deutlicher rückt er Rosberg, der direkt neben ihm sitzt, in eine Nebenrolle.

Nico Rosberg hat in Abu Dhabi an diesem Tag nur eine Botschaft: "Ich bin hier, um zu gewinnen. Ich weiß, dass ich ein Auto habe, mit dem das möglich ist. Also konzentriere ich mich darauf." Diese Botschaft aber geht unter. Sie versinkt in Hamiltons Geschichten. Wie er mit dem Todkranken noch einmal musizierte. Wie er sich - wie Serena Williams - aus bescheidenen Verhältnissen gegen viele Widerstände an die Spitze eines Sports gearbeitet hat, in dem es zuvor noch nicht viele gab wie ihn. Wie er sich vor dem Finale vor zwei Jahren in Abu Dhabi fühlte, als sich das Titelduell schon einmal auf die Frage zuspitzte: er oder Rosberg. "In der Nacht vor dem Rennen habe ich keine Minute geschlafen", behauptet Hamilton.

Ob das wirklich stimmt? Gegeben hat er sich damals jedenfalls ganz anders. Aber wie wahr die Geschichten sind, ist in diesem Moment vielleicht auch egal. Vermutlich geht es Hamilton lediglich darum, Rosberg die Größenverhältnisse vor Augen zu führen, so wie er sie sieht: Er hat schon drei Titel gesammelt, Rosberg noch keinen. Er hat in diesem Jahr etliche Punkte durch technische Defekte verloren, Rosberg nur wenige. Egal, wie das Gegeneinander am Sonntag ausgeht, für Hamilton wird sicher keine Welt zusammenbrechen.

Wie er die Dinge sieht, hat er in einem einzigen schlichten Satz gesagt, vorhin, fast beiläufig im Gatter: "Auch wenn ich Zweiter werde, glaube ich nicht, dass ich der Zweite bin."

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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