Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Vettels Schaum

Alles entschieden? Noch lange nicht: Der WM-Titel für den besten Piloten ist zwar futsch. Aber Ferrari gibt zwei Rennen vor Saisonende weiter Vollgas im Duell mit Mercedes. Noch offen ist, wer die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft gewinnt.

Von Philipp Schneider

Mitte März saß Toto Wolff in einer Hotellobby am Stuttgarter Flughafen. Selbstredend saß Wolff an einem Flughafen; die Wahrscheinlichkeit, dass ein Treffen mit Toto Wolff an einem Flughafen stattfindet, ist enorm hoch. Der Motorsportchef von Mercedes ist berufsbedingt das halbe Jahr lang in der Luft, die Formel 1 fährt inzwischen in Metropolen auf der ganzen Welt, in Melbourne, Austin, Monte Carlo, und unterjährig noch in dem einen oder anderen Schurkenstaat. Es fehlt Wolff sicher nicht mehr viel, dann hat sein Flugmeilenkonto jenes legendäre Niveau von Hans-Dietrich Genscher in den Achtzigern erreicht. Über den damaligen Außenminister der Bundesrepublik erzählte man sich wegen seiner nimmermüden Pendeldiplomatie einst einen blöden Witz: Treffen sich zwei Flugzeuge über dem Atlantik, in beiden sitzt Genscher. So ähnlich ist das heute mit Toto Wolff.

Mitte März sprach Wolff über die eine Woche später startende Welttournee von Mercedes und Lewis Hamilton. Er redete über dies und das, vor allem aber kam er immer wieder auf eine These zurück, die ihm sehr wichtig war. In der Saison 2018, sagte Wolff, werde es entscheidend sein, dass sich seine Mannschaft in sämtlichen Bereichen noch steigern könne. Der Rennfahrer Hamilton genauso wie die Mechaniker in der Box. Ja, sagte Wolff, selbst der Pressesprecher könne noch besser werden. Der Pressesprecher von Mercedes heißt Bradley Lord, weswegen er sich in kleineren Presserunden auch schon mal Lord Bradley nennen darf. Lord saß neben Wolff und blickte amüsiert hinüber zu seinem Chef. Der meinte das ernst.

Den Rekord hält Ferrari: sechs Titel gewann das Team in Serie

Besser werden? Nach der vierten Fahrerweltmeisterschaft und der vierten Konstrukteursweltmeisterschaft nacheinander? Wozu?

Oh ja, das sei schon nötig, erklärte Wolff. Für die fünfte Fahrerweltmeisterschaft und die fünfte Konstrukteursweltmeisterschaft in Serie.

Und nun, acht Monate später, biegen Wolff und sein Team tatsächlich auf die Zielgerade ein. Hamilton ist schon wieder Weltmeister. Mercedes steht kurz davor.

Auch wenn für Ferrari und Sebastian Vettel, die vor dem Großen Preis von Brasilien an diesem Sonntag bei 86 noch zu vergebenden Punkten 55 Zähler Rückstand auf Mercedes haben, in den zwei letzten Rennen des Jahres noch ein Coup gelingen könnte. Zur Ehrenrettung einer sowohl am Lenkrad als auch in der Strategieabteilung verkorksten Saison bei der Scuderia. "Wir werden versuchen, Mercedes vom Thron zu stoßen, um ihnen einen Vorgeschmack auf das nächste Jahr zu geben", hat Vettel nun in São Paulo angekündigt. Eine Ansage, die für Vettel-Verhältnisse mit erstaunlich viel Schaum vor dem Mund vorgetragen wurde.

Es hat in der Formel 1 immer wieder Phasen gegeben, in denen ein Team die Rennserie nach Belieben dominierte. McLaren gewann den Konstrukteurstitel viermal nacheinander (1988-1991). Genau wie Red Bull und Vettel (2010-2013). Williams (1992-1994) und Ferrari (1975-1977) waren je dreimal in Serie nicht zu besiegen. Und über all diesen Rekorden thront noch immer die Glanzzeit der Scuderia in der Ära des Rennfahrers Michael Schumacher, der zwischen 2000 und 2004 dafür sorgte, dass die wichtigste Vitrine in Maranello immer dichter befüllt wurde. Und weil Ferrari auch schon das beste Team stellte, als Mika Häkkinen 1999 im McLaren-Mercedes Weltmeister wurde, liegt der von Hamilton und Wolff zu jagende Rekord: bei Ferraris sechs Titeln in Serie.

Kein Wunder, dass bei der Scuderia der Tonfall rauer wird. Maurizio Arrivabene, der fast so lange Chef bei Ferrari ist, wie Mercedes nicht mehr verloren hat, versuchte kürzlich mit schrägen Aussagen, die eigenen Leute für die kommende Saison zu motivieren. "Ein Team, das funktioniert, braucht nur Verstärkungen, keine Revolution", sagte Arrivabene. Er persönlich habe "stets an Evolution statt Revolution geglaubt". Und wer sich nun fragte, weswegen dieses funktionierende Team nicht vorne liegt im Wettbewerb mit Mercedes, der erhielt auch eine Antwort: "Vettel hat Fehler gemacht und in einem geringeren Ausmaß das Team." So muss Arrivabene das wohl sehen. Denn das Team verantwortet im Gegensatz zum Fahrer: Maurizio Arrivabene.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018
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