Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Monaco:Auge zu und durch

Sebastian Vettel muss sich in der Formel 1 kleinere Ziele setzen - zum Beispiel schneller zu sein als sein Teamkollege Lance Stroll. Doch dafür gibt sich der viermalige Weltmeister erstaunlich entspannt.

Von Anna Dreher, Monte Carlo

Irgendetwas war da. Und was auch immer es war, es störte Sebastian Vettel erheblich. "Meine Augen", sagte er, "es fühlt sich an, als würde mein Auge bluten, Mann." Nun wäre ein blutendes Auge grundsätzlich keine gute Sache, aber gerade lenkte Vettel noch dazu einen schnellen Rennwagen. Und das auf einer Strecke, die statt für eine weiträumige Auslaufzone für ihre engen Passagen bekannt ist. Vettel fuhr also über die Straßen von Monte Carlo, vorbei an Hochhäusern und dem Casino, am Hafen entlang - und konnte nur eingeschränkt sehen. "Wenn du jetzt in die Box kommen willst...", bot ihm sein Team per Funk an. Aber Vettel lehnte ab: "Nein, ist in Ordnung, ich mache weiter. Entweder bin ich einfach super emotional oder es steckt was in meinem Auge fest."

Mit seiner Routine manövrierte der viermalige Formel-1-Weltmeister seinen Aston Martin im Training am Donnerstag vor dem Großen Preis von Monaco noch souverän über den Stadtkurs. Auge zu und durch. 2020 war der prestigeträchtige Stopp im Fürstentum wegen der Corona-Pandemie aus dem Kalender gestrichen worden, nun dürfen sich täglich bis zu 7500 Zuschauer am Circuit tummeln. Statt überall leerer Sitzschalen beleben Fans das Areal und warten mit Foto- und Autogrammwünschen sehnlichst auf Fahrer wie Vettel.

Als der 33-Jährige zu dem Vorfall befragt wurde, zeigte er sich amüsiert: "Mein Auge hat nie geblutet, aber es fühlte sich etwa so an. Ich weiß nicht, was los war. Da waren nur Tränen und Tränen und ich habe die ganze Runde geblinzelt." Dann holte er eine weiße Augenklappe hervor und zog sie sich über sein linkes Sehorgan: "Das Team war sehr nett und hat mir das hier gemacht. Ich glaube, die behalte ich, die wird mich sicher halten für den Rest des Wochenendes."

Humor kann in sportlichen Krisen helfen, vor allem in solchen, die wohl nicht allzu schnell beendet sein werden. Und danach sieht es bei Vettel gerade aus. 2021 sollte alles besser werden nach seinem verkorksten sechsten Jahr bei Ferrari, das er als Dreizehnter beendete. Schlechter war der Heppenheimer nur bei seinem Debüt 2007 gewesen, als er jedoch keine vollständige Saison absolvierte. Aston Martin, das 2020 noch als Racing Point antrat, verpasste vergangenes Jahr knapp Platz drei der Konstrukteurs-WM hinter Mercedes, Red Bull und McLaren. Im Cockpit bei diesem Team zu sitzen, wirkte verheißungsvoll. Doch nun läuft es äußerst holprig, Regeländerungen bereiten dem AMR21 Probleme. Es fehlt an Geschwindigkeit, das Heck ist unruhig. Nach vier von 23 WM-Läufen belegt der Rennstall Rang sieben, nur Alfa Romeo, Williams und Haas, wo Mick Schumacher fährt, sind schlechter.

Und was für Vettel dabei besonders bitter ist: die mageren fünf Punkte - Klassenprimus Mercedes kommt auf 141 - hat nicht er eingefahren, sondern der elf Jahre jüngere und nicht als Jahrhunderttalent geltende Lance Stroll. Im Ranking ist dieser Elfter, während Vettel auf Rang 16 liegt. Zudem führt der Kanadier im internen Qualifying-Duell mit 3:1. Im Motorsport geht es ja immer auch darum, die Nase vor dem Team-Kollegen zu behalten. Und nun ist ein Pilot, der eigentlich nicht der Maßstab für den erfahrenen Vettel mit 53 Rennsiegen und 57 Pole-Positions sein sollte, tatsächlich zur Messlatte geworden. Am Donnerstag immerhin war er schneller als Stroll.

Teamwechsel sind schwierig, sich an ein neues Auto zu gewöhnen braucht Zeit. Das merken bisweilen auch Fernando Alonso bei Alpine, Daniel Ricciardo bei McLaren und Sergio Perez bei Red Bull. Aber Vettel sprach beim Auftakt in Bahrain ja sogar davon, dass "viele Dinge" gegen ihn arbeiten würden und er sich nicht zu Hause fühle in seinem Wagen.

Die Strecke von Monte Carlo ist extrem eng und verzeiht kaum Fehler

Nach dem Grand Prix in Barcelona vor zwei Wochen sagte er, dass das Team sich schwertue, einen Schritt nach vorne zu machen, sich die Updates am Auto aber wie eine Verbesserung angefühlt hätten. Unter anderem wurde der Unterboden überarbeitet, Aston Martin ist auf der Suche nach mehr Grip. Die Stimmung sei gut, erzählte Vettel, auch wenn die Ergebnisse noch nicht passten.

Bei dem am Sonntag (15 Uhr, Sky) anstehenden Klassiker, den der Deutsche 2011 im Red Bull und 2017 im Ferrari gewonnen hat, kommt es besonders auf Vertrauen ins eigene Können und Auto an - und an letzterem mangelt es Vettel noch. Die Strecke von Monte Carlo ist extrem eng und verzeiht nur selten Fehler. Zudem ist das Überholen schwierig, es kommt also besonders auf einen möglichst weit vorne angesiedelten Startplatz an. Doch Vettel zeigte sich optimistisch: "Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht dort sind, wo wir sein wollen. Wir nehmen diese Challenge aber an. Wir versuchen, kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen und dann können wir an den großen Zielen arbeiten."

Groß bedeutet: viele Punkte, Siege, Titel. Teambesitzer Lawrence Stroll, der Vater von Lance, und Teamchef Otmar Szafnauer waren in Sachen Ambitionen für 2021 durchaus offensiv aufgetreten. In spätestens fünf Jahren, hieß es, soll am Ende der Saison ein Aston Martin die meisten Zähler gesammelt haben. Wie lange es wohl dauern wird, bis die gesteckten Ziele erreicht werden? Bis sie von Sebastian Vettel erreicht werden? Können sie überhaupt erreicht werden?

In Monaco wirkte er nicht nur zuversichtlich, sondern auch entspannt. Am Donnerstag radelte er zur Strecke, am Mittwoch erzählte er zum Einstieg in seine Pressekonferenz mit Max Verstappen sogar vergnügt einen Witz, bevor die erste Frage gestellt wurde: "Da ist dieses Streichholz, das einen Berg hochläuft, total verschwitzt, weil es so erschöpft ist. Und als es fast oben angekommen ist, läuft ein Igel an ihm vorbei. Und das Streichholz sagt: Ach, hätte ich nur gewusst, dass es einen Bus gibt, dann hätte ich den Bus genommen."

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