Strafe gegen Sebastian Vettel:35 Minuten bei den Kommissaren

F1 Grand Prix of France - Practice

Ferrari-Pilot Sebastian Vettel.

(Foto: Getty Images)
  • Kurz vor dem Rennen in Frankreich debattiert die Formel 1 noch immer über Sebastian Vettels Strafe aus Kanada.
  • Sein Team spricht von "überwältigenden Beweisen, die zeigen, dass Sebastian nicht gegen die Regeln verstoßen hat".
  • Doch die Rennkommissare bestätigen das Urteil.

Von Philipp Schneider

Im Januar war Max Verstappen in Marrakesch. Nicht freiwillig, sondern weil er dazu verurteilt worden war. Verstappen wurde in Marokko sozusagen doppelt bestraft: Erstens musste er einen Tag mit den Rennkommissaren der Formel 1 verbringen, die dort ihre alljährliche Bildungsveranstaltung veranstalteten. Zweitens fand dieser Lehrgang auch noch am Rande eines Rennens der Formel E statt, jener vollelektrifizierten Schwesterveranstaltung der Formel 1, die durch die Abwesenheit von Motorengeräuschen besticht und so die sogenannten echten Racer wie Verstappen mitunter irritiert.

Wenige Wochen zuvor war Verstappen nach der Zieldurchfahrt in Brasilien auf seinen Rennfahrerkollegen Esteban Ocon zugestürmt, der ihn zuvor mit einem Fahrfehler um den Sieg gebracht hatte. Ocon wartete gerade brav vor der Waage, als Verstappen ihn umschubste. So heftig, dass Ocon fast umfiel. Die Kommissare des Automobilweltverbandes Fia erkannten darin einen "absichtlichen physischen Kontakt" und verurteilten Verstappen, der in ihren Augen dem Ansehen des Motorsports geschadet hatte, zu der Bildungsreise nach Marrakesch.

Der kurze Einblick, den Verstappen in die Arbeit der Kommissare erlangte, genügte offenbar, um ihn für die Kompliziertheit ihres Jobs zu sensibilisieren. "Die Stewards wissen, was passiert, aber manchmal können sie keine andere Strafe verhängen, weil es genau so im Regelbuch steht", sagte er nun in Le Castellet - wo Sebastian Vettel und Ferrari im achten Rennen der Saison den achten Versuch unternehmen, endlich mal wieder zu gewinnen.

"Wir wollen, dass sie die Akte wieder öffnen"

Verstappen sprach nicht über sich. Er redete über Vettel. So wie die ganze Formel 1 noch immer über Vettel redet und dessen Wut über die umstrittene Aberkennung seines Sieges beim vergangenen Kanada Grand-Prix. Die Journalisten erkundigten sich immer wieder nach seinem Verbremser in Montréal und dessen Folgen.

Als Führender war Vettel dort von der Strecke abgekommen und über die Wiese gerumpelt. Bei seiner Rückkehr auf den Asphalt geriet sein Ferrari schließlich auf die Ideallinie von Verfolger Lewis Hamilton. Der musste bremsen, um einen Kontakt der Wagen zu vermeiden. Die Kommissare entschieden sich mit Hinweis auf die Regel, dass eine Rückkehr auf die Piste ungefährlich sein müsse für alle Beteiligten - und addierten fünf Sekunden zu Vettels Zeit, was ihn den Sieg kostete. Dass ihnen offenbar nichts anderes übrig blieb, als auf die Regel zu verweisen, das störte viele von Vettels Rennfahrerkollegen - auch den frisch entflammten Rennkommissarfreund Max Verstappen.

Frage an Vettel: Wie er die Situation elf Tage nach dem Vorfall bewerte? "Wie nach dem Rennen." Ob er seine Reaktionen hernach bereue, als er etwa das vor Hamiltons Auto abgestellte Siegerschildchen mit dem für seinen zweitplatzierten Ferrari vorgesehenen vertauschte? "Nein!"

Vettel wollte etwas anderes. "Wir wollen, dass sie die Akte wieder öffnen", sagte er, nachdem er gleich zwei Überraschungen mit nach Frankreich gebracht hatte. Einen Vollbart. Und die schöne Botschaft, dass er die Rennpause nach dem Wutrennen genutzt hatte, um Hanna Sprater standesamtlich zu ehelichen; seine Freundin, die er noch aus Schulzeiten kennt, worüber selbstredend zunächst die Bild berichtet hatte. Die Akte Montréal also.

Vettel hat dem Ansehen des Motorsports nicht geschadet

Geöffnet wurde sie am Freitag um 14.15 Uhr. Dann nämlich erschien Ferraris Sportdirektor Laurent Mekies zur Anhörung vor den Kommissaren. Um den Fall neu aufzurollen. Mekies hatte neue Beweise versprochen. Das musste er sogar. Da gegen eine Schiedsrichterentscheidung keine Berufung ein gelegt werden kann, musste Ferrari eine Revision anstreben. Und möglich ist diese nur, wenn "signifikante und relevante" neue Beweise zu dem Fall präsentiert werden können. "Nach dem Rennen von Montréal haben wir eine große Zahl neuer Daten gesammelt. Es sind überwältigende Beweise, die zeigen, dass Sebastian nicht gegen die Regeln verstoßen hat", sprach Mekies - dann verschwand er im Raum der Kommissare. Für 35 Minuten.

Aber es half ja nichts: Das Material enthalte eben "keine signifikanten und relevanten neuen Elemente", urteilten die Kommissare.

Die Angst vor dem Präzedenzfall

Zu den vermeintlich überwältigenden Beweisen, die Mekies vorlegte, zählte unter anderem ein Video der On-Board-Kamera, die auf Vettels Helm gerichtet ist.

Diese Beweise sollten die Kommissare offenbar davon überzeugen, dass Vettel nicht auf eine Weise auf die Piste zurückgekehrt war, zu der es eine weniger gefährliche Alternative gegeben hätte. Da er nach seinem Ausritt unbestritten direkt vor Hamiltons Wagen aufgetaucht war, konnte Ferraris Argumentation nur darauf abzielen, dass Vettel gar nichts anderes übrig blieb, als dort aufzutauchen, wo er auftauchte. Die Kommissare hatten schon in Kanada Zugriff auf die GPS-Daten der Autos. Sie wussten also, ob Vettel auf dem Rasen abgebremst oder beschleunigt hatte.

"Man gibt automatisch Gas, um das Heck zu stabilisieren", erklärte Vettel in Frankreich. Er habe "alles dafür getan, auf der Strecke zu bleiben". Tatsächlich lässt sich kaum argumentieren, Vettels Rückkehr auf die Strecke wäre sicherer ausgefallen, hätte er stattdessen hart abgebremst auf dem rutschigen Grünstreifen. Allein, was wäre die Folge gewesen, hätten die Kommissare ihr Urteil kassiert? Wäre so nicht ein Präzedenzfall geschaffen und die Teams ermutigt worden, künftig jedes Urteil zu hinterfragen?

Möglicherweise ging es Vettel und der Scuderia bei der angestrebten Revision ums Prinzip. Ist es nicht wirklich bedauerlich, dass den Kommissaren zur Beurteilung von Rennsituationen allein das Reglement bleibt? Dass sie keinerlei Möglichkeit haben, ihr Urteil den jeweils speziellen Umständen der Rennsituationen anzupassen? 62 Punkte Rückstand hat Vettel bereits auf Hamilton nach sieben Rennen. Da wird ein viermaliger Weltmeister doch wohl mal an das Gesamtbild der Formel 1 denken dürfen! Dem Ansehen des Motorsports geschadet hat Vettel gewiss nicht.

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