Süddeutsche Zeitung

Wechsel zu Aston Martin:Vettels Chance zur Revanche

Sebastian Vettel fährt in der kommenden Saison für Aston Martin, mit dem neuen Arbeitgeber könnte er Ferrari dann sogar abhängen. Das Timing der Verkündung ist durchaus ironisch.

Von Philipp Schneider

Das Timing ist nicht ohne Ironie. Dem Vernehmen nach aber ist es tatsächlich Zufall und keine Revanche für die Nichtverlängerung seines Vertrages und das lahmende Auto, das sie ihm in dieser Saison unter den Sitz geschraubt haben. Sebastian Vettel hat sich nicht etwa vorgenommen, die Party seines Arbeitgebers zu stören, die Ferrari am Sonntag auf seiner Hausstrecke in Mugello feiern möchte, anlässlich des 1000. Grand Prix seiner Geschichte.

Aber ein bisschen lustig ist es dann schon, dass Vettel seinen Wechsel zu Aston Martin ab der kommenden Saison ausgerechnet drei Tage vor dem großen Jubiläum bekannt gibt, für das sich Ferrari hübsch macht und regelrecht aufdonnert: Die Autos werden für den "Grand Prix der Toskana" eigens in Burgunderrot umlackiert, das bereits beim Renndebüt 1950 am Ferrari 125 zu sehen war. Mick Schumacher, Sohn des Rekordweltmeisters, dreht mal wieder Werberunden im Ferrari F2004, mit dem sein Vater vor 16 Jahren seinen siebten und letzten Weltmeistertitel gewann. Und doch reden jetzt alle über den Mann, der Ferrari verlässt: Sebastian Vettel.

Seit Donnerstag um neun Uhr früh steht endlich fest, womit seit Juli gerechnet worden ist: Vettel beendet nicht seine Rennfahrerkarriere. Er fährt noch eine Weile weiter in der Formel 1. Und anlässlich seines Wechsels zu dem Rennstall, der in dieser Saison noch Racing Point heißt, gab es salbungsvolle Worte seines künftigen Arbeitgebers.

"Ich kann mir keinen besseren Fahrer vorstellen, der uns auf dem Weg in diese neue Ära helfen könnte", lässt sich Teamchef Otmar Szafnauer zitieren. "An einem Samstag- oder Sonntagnachmittag ist Sebastian einer der Besten auf der Welt." Und Vettel segnete auf der offiziellen Bekanntmachung folgendes Versprechen ab: "Ich trage noch so viel Liebe für die Formel 1 in mir, und meine einzige Motivation ist es, an der Spitze des Feldes zu fahren."

Vettel kann froh sein, wenn er mit dem Ferrari die Ziellinie erreicht

Diese Liebe zur Formel 1 wurde zuletzt auf eine harte Probe gestellt bei Ferrari. Denn an der Spitze fahren lässt es sich nicht mit dem roten Wagen, dem sie den hochtrabenden Jubiläumsnamen SF1000 verliehen haben. Vettel wäre schon froh, wenn er am Sonntag die Ziellinie erreicht. Am vergangenen Sonntag, beim Rennen in Monza, explodierten bei Höchstgeschwindigkeit seine Bremsen. Flammen schlugen aus seinem Heck. "Am Dienstag bin ich im Simulator - der hält wenigstens", ätzte Vettel danach.

Der Rennstall aus Maranello erhält in dieser Saison die Quittung für seine Motor-Tricksereien des Vorjahres, mit denen er sich am Rande der Legalität bewegte. Nachdem der Weltverband Fia Anfang des Jahres neue Richtlinien zum Benzinfluss im Motor herausgab, tuckert der Ferrari saft- und kraftlos am Ende des Feldes.

Vettel glaubt an strahlende Zukunft

Nach seinem Abschied von Ferrari wird Vettel beim englischen Rennstall den Mexikaner Sergio Pérez ersetzen, der am Vorabend seinen Abschied nach sieben Jahren verkündet hatte. Pérez hatte noch einen über die Saison hinaus gültigen Vertrag. Dass er mit ordentlich Handgeld erst zur Auflösung des Kontrakts überredet werden musste, dürfte maßgeblich der Grund gewesen sein dafür, dass sich Vettels Vertragsunterzeichnung so gezogen hat. "Ich bin froh, dass ich diese Nachricht endlich mitteilen kann", sagte Vettel, "und extrem stolz, dass ich ein Aston-Martin-Pilot werde. Das ist ein neues Abenteuer mit einem wirklich legendären Hersteller."

Dieser neue Hersteller ist letztlich nichts anderes als der alte Hersteller mit einem neuen Aufkleber. Aston Martin war zuletzt 1960 mit eigenen Autos in der Formel 1 am Start. Unter dem Aufkleber sind weiterhin die alten Strukturen von Racing Point zu finden. Eines Rennstalls aus Silverstone, der seinen Antrieb weiterhin von Mercedes bezieht. Vettel zeigte sich beeindruckt von Racing Points starken Resultaten in der aktuellen Saison, in der das Team zeitweise zweitstärkste Kraft hinter Mercedes war: "Und ich glaube, dass die Zukunft noch heller strahlt."

Racing Points Schnelligkeit gründet auf dem Motor und einer effizienten Methode, mit wenig Geld viel Schnelligkeit zu generieren: Racing Points Ingenieure haben in dieser Saison den Weltmeister-Mercedes des Vorjahres schamlos nachgebaut. Manche Teile müssen die Rennställe allerdings, selbst wenn sie Kunden von Mercedes oder Ferrari sind, laut Reglement selbst entwickeln. Anfang August war die Kommission des Automobil-Weltverbandes zu dem Schluss gelangt, dass die hinteren Bremsbelüftungen des RP20 illegal vom Motorenpartner Mercedes kopiert worden waren. Racing Point akzeptierte einen Abzug von 15 Punkten in der Konstrukteursweltmeisterschaft sowie eine Geldstrafe von 400 000 Euro.

Formel 1 steuert auf eine nicht unwahrscheinliche Pointe zu

Mit dem Wechsel steigt Vettel nach seinem Karrierestart bei BMW und Toro Rosso erstmals seit 2009 nicht mehr in den Rennwagen eines sogenannten Spitzenteams. Racing Point hat weniger Ressourcen zur Verfügung als Ferrari, Mercedes oder Red Bull. Aston Martins Rückkehr in die Formel 1 geht allerdings auch einher mit einer gewaltigen Finanzspritze für das in den vergangenen Jahren chronisch klamme Team. Teameigner ist der kanadische Milliardär Lawrence Stroll, dieser war im April im Zuge einer Kapitalerhöhung auch zum geschäftsführenden Aufsichtsrat bei Aston Martin aufgerückt. Sein Sohn Lance Stroll, 21, besetzt das zweite Cockpit und galt aus nachvollziehbaren Gründen unkündbar. Für Vettel musste daher Pérez weichen.

Mit einem viermaligen Weltmeister im Aston Martin steuert die Formel 1 auf eine nicht unwahrscheinliche Pointe zu: Weil die große Technikreform der Rennserie wegen der Pandemie um ein Jahr auf 2022 verschoben wurde, dürfte das Kräfteverhältnis der Teams in der kommenden Saison ähnlich sein wie gegenwärtig. Und wenn die Ferraris dann weiter nur lahmen und brennen, wird Vettel die Chance sicher ganz gerne nutzen, seinen ehemaligen Arbeitgeber so alt aussehen zu lassen wie die mehr als 1000 Rennen, die er dann auf dem Buckel hat.

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