Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Der große Poker um Max Verstappen

  • Die Wechsel-Fantasien im Fahrerlager sind angeheizt: Geht Max Verstappen zu Mercedes oder Ferrari?
  • Bei Mercedes könnte er langfristig Abo-Weltmeister Lewis Hamilton ersetzen.
  • Doch auch Red-Bull-Chef Christian Horner macht Politik.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Zehn Titel, glaubt Jenson Button, der Formel-1-Weltmeister von 2009, könne Lewis Hamilton in seiner Karriere gewinnen. Also doppelt so viele wie er momentan schon geholt hat. Einzige Voraussetzung dafür, so wird der ehemalige Hamilton-Teamkollege vor dem Großen Preis von Großbritannien zitiert: "Er darf nicht zu Ferrari gehen. Das wäre wohl das Ende."

Momentan ist der Mercedes-Pilot als Einziger der Top-Fahrer über 2020 hinaus gebunden, und damit ein Fixpunkt im Vertragspoker, der auch vom beginnenden Generationswechsel in der Königsklasse bestimmt wird. Hamilton, 34, und Sebastian Vettel, 32, duellieren sich in der fünften Saison in Silber und Rot, mit sehr einseitiger Gewinnspanne für den Briten. Seit 2015 ist auch Max Verstappen in der Formel 1, obwohl er erst 21 Jahre alt ist.

Der Niederländer überraschte beim vergangenen Rennwochenende in Österreich gleich doppelt: Mit seinem ersten Saisonsieg und dem Detail, dass der als kugelsicher geltende Vertrag mit seinem Ausbildungsbetrieb Red Bull Racing eine Ausstiegsklausel enthält. Das war der Zündfunken, um die Wechselfantasien im Fahrerlager anzuheizen. Die sogenannte silly season hat begonnen, früh wie selten.

Hamilton sagt nicht, wie lange er noch fahren will

Die Jagd auf das Jahrtausendtalent Verstappen ist eröffnet, alle spielen mit, und sei es nur, um das Konzernteam zu destabilisieren. Verstappens Ausstiegsmöglichkeit ist an einen bestimmten Platz gekoppelt, den er bis zur Sommerpause erreicht haben muss, man geht davon aus, dass es sich um WM-Gesamtrang drei handelt. Den hat er sich durch seinen dramatischen Sieg in Spielberg gerade gesichert.

Sein Teamchef Christian Horner, einer der gewieftesten Verhandler der Branche, ist dennoch gewarnt. Das drückt sich schon durch die vermeintliche Lässigkeit aus, die er an den Tag zu legen versucht. Die Zukunft seines Schützlings hänge doch nicht von Statistiken ab, sondern von der Perspektive. Die kann man allerdings unterschiedlich einschätzen: Horner setzt auf weitere Entwicklungsschübe von Honda und schwört auf die aerodynamischen Tricks von Konstrukteursguru Adrian Newey. Neutrale Beobachter sehen darin ein Risiko: Die Japaner könnten länger brauchen, um an die Spitze zu kommen, die Geduld von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz dürfte bald erschöpft sein. Verstappen wäre dann außen vor.

Weshalb er einen Wechsel zu Mercedes in Betracht ziehen könnte, auch perspektivisch: zunächst als Rivale, dann als Nachfolger von Abo-Weltmeister Hamilton. Von dem glaubt Mercedes-Meistermacher Toto Wolff, dass er bei gleichleibendem Energielevel noch vier bis fünf Jahre weiterfahren könne. Die Veranstalter in Silverstone, die gerade für fünf Jahre verlängert haben, würden sich freuen.

Hamilton selbst gibt sich skeptischer: "2024? Lieber Gott, das hört sich noch nach einem langen Weg an. Wer weiß, wo ich bis dahin bin?" Generell gelte: "Ich kann weitermachen, bis es mir keinen Spaß mehr macht." Wolff, der vor seinem Wechsel zu Mercedes auch eine Rennfahrervermittlung betrieben hat, stand schon vor zwei Jahren enger mit den Verstappens in Kontakt, Vater Jos ist die treibende Kraft hinter der Karriere.

Gegenspieler Christian Horner weiß, wie er Politik machen kann. Gerade hat er behauptet, dass "Max Verstappen der beste Fahrer der Formel 1 ist, weil er nicht im besten Auto sitzt". Ein klarer Affront gegenüber dem über jeden Zweifel erhabenen Hamilton. Horner spricht über eine Entwicklung, die der Formel 1 guttun würde: "Es ist doch nur natürlich, dass die nächste Generation drängt. Der Sport schreit doch förmlich nach mehr Typen wie ihm. Lewis hat die Erfahrung, das beste Auto, Mercedes ist eine gut geölte Maschinerie. Aber Max ist stark im Kommen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beide wäre toll."

Um gleich wieder nachzulegen: "Im gleichen Auto wäre Max besser." Der 34 Jahre alte Titelverteidiger lässt sich nicht provozieren: "Ich vergleiche mich mit niemandem, das brauche ich nicht. Deshalb reagiere ich auch nicht auf so etwas." Bei Mercedes läuft zum Jahresende der Vertrag von Valtteri Bottas aus, der zuverlässig schnell, aber wohl auf Dauer kein Reißer ist. Optionen scheinen willkommen zu sein.

Oder wechselt Verstappen zu Ferrari - und Vettel zurück zu Red Bull?

Eine Alternative wäre für Verstappen auch Ferrari, wo Sebastian Vettel bei seinem fünften zähen Anlauf auf den ersten Titel in Rot bereits vor dem zehnten WM-Lauf müde ist, die immergleichen Fragen nach der Verbesserung des Rennwagens mit dem immergleichen Argument zu beantworten, dass es noch nicht so weit sei, Zeit brauche. Wie lange sich der 32 Jahre alte Heppenheimer bei der Scuderia, in der Formel 1 überhaupt noch gibt, hängt stark vom Reglement für 2021 ab.

Er fordert "aufregende Autos, aufregende Rennen", und sagt den interpretierbaren Satz: "Die Zeit tickt." Akute Rücktrittsgedanken weist er trotz des an seinem Nummer-Eins-Status rüttelnden Ferrari-Partners Charles Leclerc, 21, immer wieder zurück. Doch die Situation erinnert fatal an sein letztes Red-Bull-Jahr 2014, als der viermalige Weltmeister das Team im Frust verlassen hatte, weil es nicht mehr richtig lief.

Die Ironie der Wechselgerüchte: Bei Red Bull ist Vettel wieder, wie auch der bei Renault unglückliche Nico Hülkenberg, als Nachfolger für den Franzosen Pierre Gasly im Gespräch. Eilig versichert Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, dass er mit Vettel plane, dessen Vertrag noch bis Ende 2020 läuft: "Ich sehe seinen Willen. Sein Traum und sein einziges Ziel ist es weiterhin, mit Ferrari zu siegen." Erfüllt sich das nicht, könnte Max Verstappen auch in Maranello zum Thema werden. Falls er es nicht ohnehin schon längst ist.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2019/ebc
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