Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven in der Formel 1:Hamilton fehlt eine Runde

Der Brite macht sich Vorwürfe, Max Verstappen hat die bessere Taktik und bekommt den Pokal vom Basketball-Riesen Shaquille O'Neal, Nico Hülkenberg wechselt in die Indy-Car-Serie. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes in Texas.

Von Elmar Brümmer, Austin

Max Verstappen

Der Niederländer ist vermutlich der einzige im ganzen Fahrerlager, vielleicht überhaupt in der Formel 1, der der Netflix-Serie Drive to survive nichts abgewinnen kann. Für die vierte Staffel, die gerade abgedreht wird, will er nicht mehr zur Verfügung stehen. Dem Niederländer wird zu sehr dramatisiert: "Ich verstehe, dass es getan werden muss, um die Popularität in Amerika zu steigern, aber ich möchte nicht Teil davon sein. Ich will Fakten und Dinge, die wirklich passieren." Das wäre ein Ding, wenn er Champion würde und dann auf der Streaming-Plattform nur Nebendarsteller wäre. Mit seiner neunten Pole-Position der Saison und seinem achten Sieg hat er mitten im Mercedes-Revier sich eine gute Ausgangslage für die entscheidenden fünf Rennen geschaffen. In einer Manier, die stark an die als Hammertime berühmten Auftritte seines Widersachers Lewis Hamilton erinnerten. Rechtzeitig zum Showdown besinnt sich der 24-Jährige wieder auf seine fahrerischen Fähigkeiten, die in Austin sowohl in kalkulierte Aggressivität als auch in großer Verteidigungsleistung lagen. Jetzt bloß nicht nachlassen, sich nicht mehr provozieren lassen. "Der Schlüssel sind die Details", sagt der Red-Bull-Pilot, der zuvor noch nie in den USA gewonnen hatte und diesmal von Basketball-Legende Shaquille O'Neal den Pokal überreicht bekam. (Foto)

Lewis Hamilton

Der Rekordsieger von Austin war früh wieder auf seiner Umlaufbahn, nachdem er sich von Max Verstappen auf der wilden Jagd bergauf nach dem Start nicht hatte verdrängen lassen, und von Startplatz zwei aus als Erster in den heftigen Linksknick gehen konnte. Danach gab er alles, aber halten oder einholen konnte er den Red-Bull-Honda dann doch nicht mehr. Bis auf eine Sekunde war der Brite kurz vor Schluss dank kluger Taktik und einer ebenso makellosen Fahrweise wie der von Sieger Verstappen wieder an den Spitzenreiter herangekommen. Ein weiterer Umlauf, und er wäre vielleicht vorbeigewesen. Kann passieren, wenn plötzlich ein zweiter Mann auch wie von einem anderen Planeten fährt. Ein Finish wie dieses hat es in der Formel 1 schon lange nicht mehr gegeben. Alte Gesetzmäßigkeiten werden über den Haufen gefahren, die Tagesform entscheidet. Hamilton hat sich beim Team entschuldigt, dass es nicht geklappt hat mit dem kalkulierten Überholmanöver, aber den Selbstvorwurf braucht es nicht, wenn einer alles gibt - und das andere Auto einfach einen Tick besser ist.

Sergio Perez

Mannschaftsspieler zu sein, dass hat der Mexikaner in der Formel 1 erst lernen müssen. Nach dem Umstieg zu Red Bull Racing hat er brav kopiert, was sein Teamkollege Max Verstappen vorgemacht hat. Aber irgendwie hat das nicht richtig klappen wollen. Der 31-Jährige, aus Überzeugung eher ein PS-Macho, hat dann irgendwann entschieden, doch seinen eigenen Weg zu gehen. In letzter Zeit bekommt er die Synchronisation zwischen Ego und Teamwork immer besser hin. Der Lohn war für ihn: Ein dritter Platz in Austin, der das 200. Podium für den Getränke-Rennstall markiert. Perez hatte nach einem Problem mit dem Trinksystem im Auto schon nach der ersten Runde keinen Schluck Wasser mehr zur Verfügung, was auf der heißen texanischen Piste eine echte Qual ist. Aber er hat sich durchgekämpft, den Druck auf Hamilton aufrechterhalten. Fast wäre es ihm in der Qualifikation sogar gelungen, Verstappen von der Pole-Position zu verdrängen. Was gut fürs eigene Ansehen und den anstehenden Großen Preis von Mexiko gewesen wäre, aber wiederum schlecht für sein Standing im Team. Das ist nach Worten von Teamchef Christian Horner besser denn je: "Phänomenal, was Checo gezeigt hat."

Mick Schumacher

Wunderbar ließe sich jetzt wieder der Abstand Schumachers zu seinem Haas-Teamkollegen Nikita Mazepin erwähnen, aber der wäre diesmal zu demütigend für den Russen. Belassen wir es bei der Aussage des jungen Deutschen, dass sein 17. Formel-1-Rennen "viel Spaß" gemacht habe. In Texas ist er ja so etwas wie der local hero gewesen - fährt für einen US-Rennstall, die Familie besitzt eine Ranch im Lone-Star-Bundesstaat. "Die Strecke hat viel Energie", sagte er über den Circuit of the Americas, und meinte vermutlich den Asphalt wie die großartige Kulisse. Ein goldener Helm war seine Hommage an die Gastgeber, und ein paar sportliche Nuggets konnte er auch schürfen über die 56 Runden. "Ganz gute Kämpfe" habe er auch gehabt, aus diesen Auseinandersetzungen mit Piloten in weit besseren Autos als seinem zieht er mehr Befriedigung als dem 16. Platz. Einmal kurz vor Schluss stand er ein wenig dem heranrasenden Spitzen-Duo im Weg, aber wo hätte er auch hinsollen. Er hat Platz gemacht, so schnell es ging.

Austin

Die Verhandlungen über ein zehntes Formel-1-Jahr in Austin stehen kurz bevor, aber den Veranstaltern ist nicht bange nach diesem Wochenende. Welches Argument würde gegen einen Austragungsort sprechen, der an drei Tagen 400.000 Besucher anlockt, 140.000 davon allein am Renntag? Es war fast so, als habe es die Pandemie nie gegeben. Nein, es war sogar besser. Eine große Party, von der sich sogar die Rennfahrer sichtlich beeindruckt zeigten. Bei der Ehrenrunde vor dem Start auf einem Lkw, sonst eher lästigem Pflichtprogramm, applaudierten die Piloten dem Publikum - tosender Beifall kam zurück. Die Stimmung schaukelte sich hoch, was man in den USA gern als good vibes bezeichnet. Genau das kann die Formel 1 gut gebrauchen, im Rahmen ihrer nordamerikanischen Expansion ohnehin. "Das Wichtigste ist, dass unser Sport in den USA wächst", weiß Sebastian Vettel. Dafür haben die Fahrer selbst die heftigen Nackenschläge, die die Bodenwelle auf der Berg- und Talbahn verursachen, in Kauf genommen.

Sebastian Vettel

Wie hatte er sich abgemüht in der Qualifikation, obwohl doch schon vorher klar war, dass er nach einem Motorwechsel an seinem Aston Martin-Mercedes zurück ans Ende des Feldes müsste. Stimmt schon, nur eben nicht ganz ans Ende, da er sich vor den ebenfalls zurückversetzen Kollegen George Russell und Fernando Alonso platzieren konnte. Kleine Schritte, um einen großen Ehrgeiz nicht zu verkümmern lassen. Die prompt im Rennen belohnt werden: am Ende war der Heppenheimer der Fahrer mit den meisten Überholmanövern und wurde dafür mit einem Ehrenpunkt belohnt. Gemessen daran, dass er 2013 als letzter Red-Bull-Pilot vor Verstappen in Austin gewinnen konnte, ist das natürlich nichts. Aber jedes Rennen in einer ohnehin verkorksten Saison ist ein guter Test für das, was sich 2022 entwickeln soll. Weshalb Vettel durchaus zufrieden sein darf. Er hat im Team mal wieder klar gemacht, was seine Erfahrung wert ist. Auch wenn Sky-Kommentator Ralf Schumacher gern über den Rennstall lästert: "Man kann eben über Nacht aus einer Kuh keinen Tiger machen."

Nico Hülkenberg

Eher beiläufig war zu erfahren, dass Nico Hülkenberg, bis vor kurzem noch einer von zwei deutschen Formel-1-Stammfahrern, seine Karriere in der Königsklasse für beendet erklärt hat. Zwar ist der Emmericher, der es in 179 Grand-Prix-Rennen nie aufs Podium geschafft hat, immer noch als Edelreservist gefragt. Aber das ist dem 34-Jährigen zu wenig. Er sucht Renn-Praxis. Die könnte mittelfristig wieder bei den 24 Stunden von Le Mans liegen, die er schon mit Porsche gewonnen hat. Kurzfristig aber sucht er den Thrill in der nordamerikanischen IndyCar-Serie. Vom Fahrerlager in Austin ging es zu Testfahren für den US-Ableger von McLaren im Barber Motorsports Park in Alabama. Hulk würde im Übersee-Pendant zur Formel 1 auf alte Bekannte treffen: der Schwede Marcus Ericsson (früher Sauber) und der Franzose Romain Grosjean (Haas) haben den Sprung schon erfolgreich gewagt.

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