So kann es auch laufen: Das erste Rennen der Formel-1-Saison war kein besonders großer Erfolg, nur 15 Autos am Start, nur elf im Ziel, Sieger Lewis Hamilton meilenweit voraus. Die ganze Welt sprach nach der Vorstellung darüber, wie schlecht die Show in Melbourne gewesen war. Und worüber sprachen die Gastgeber? Darüber, ob sie den Vertrag für das Formel-1-Gastspiel vorzeitig verlängern sollten. Und das, obwohl der aktuelle Kontrakt noch bis 2020 gilt.
Aber der Bundesstaat Victoria ist nicht der einzige Interessent. In New South Wales wird bald gewählt. Und der aktuelle Gouverneur verspricht für den Fall seiner Wiederwahl ein Formel-1-Rennen, das über die berühmte Harbour Bridge in Sydney führen soll. Und das, obwohl dort kaum Zuschauer Platz hätten. Obwohl die Autos mit Schikanen gewaltig gebremst werden müssten, damit sie nicht abheben.
Und obwohl die Veranstaltung in Melbourne in den 20 Jahren, seitdem es sie gibt, fast nie ohne staatliche Unterstützung auskam. Gut 43 Millionen Euro ließ sich Victoria das Rennen im vergangenen Jahr kosten. Die Summe wurde unter dem Posten "Tourismuswerbung" verbucht und mit den Aber-Millionen von Blicken begründet, die alleine das Schild mit dem Stadtnamen über der Start-und-Ziel-Geraden auf sich zog. Kosten und Nutzen - down under geht die Rechnung noch auf.
Hockenheim und Nürburgring ersatzlos gestrichen
In Deutschland ist das nicht mehr der Fall. Seit Freitagabend ist es amtlich: In diesem Jahr wird es keinen Großen Preis von Deutschland geben. Auf einer Sitzung in Genf strich der Motorsport-Weltrat des Internationalen Automobilverbands FIA die für den 19. Juli geplante Veranstaltung ersatzlos aus dem Kalender. Weder der Nürburgring, der als Austragungsort vorgesehen war, noch der Hockenheimring, der als Ersatz im Gespräch war, einigten sich mit Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone.
Zwischen 1995 und 2006 hatte es jedes Jahr zwei Rennen in Deutschland gegeben. Und nun: zum ersten Mal seit 1960 keines. Die Reaktionen der unmittelbar Betroffenen fielen eindeutig und gleichzeitig fatalistisch aus: "Schade, um nicht zu sagen scheiße", fiel Force-India-Fahrer Nico Hülkenberg ein. Sebastian Vettel im Ferrari, Nico Rosberg als einer der WM-Favoriten im überlegenen Mercedes - all das reicht offenbar nicht mehr, um genügend Interesse zu kreieren.
"Das ist nur traurig", findet Niki Lauda, als Aufsichtsrat-Chef des Mercedes-Teams und RTL-Experte gleich zweifach involviert. "Wir hoffen stark, dass dieser Ausfall einmalig bleibt", sagt Manfred Loppe, der Sportchef des Privatsenders, der den Sport hierzulande groß gemacht hat. Das aber ist keineswegs sicher.
Zum ersten Mal seit 1960 gibt es kein Rennen in Deutschland. Bernie Ecclestone (r.) mit Formel-1-Vertretern am Hockenheimring im Jahr 1981.
"Das ist nur traurig", findet Niki Lauda. Im Bild sein brennender Ferrari beim Grand Prix auf dem Nürburgring 1976.
Zwischen 1995 und 2006 hatte es jedes Jahr zwei Rennen in Deutschland gegeben. Fernando Alonso nach seinem Sieg in Hockenheim 2005.
Sebastian Vettel auf dem Hockenheimring, wo das Rennen 2012 gastierte. Seit 2008 wechselten sich beide Orte mit der Veranstaltung ab.
Rennprofi Michael Schumacher 2000 mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder und dem früheren Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (M.).
Unter dem Eindruck des Schumacher-Booms wurden beide Rennstrecken groß ausgebaut. Am Nürburgring entstand gar eine "Erlebniswelt".
Größere Tribünen, riesige Arenen: Nun wird dieser Größenwahn zu einer Last. Das Interesse ist stark gesunken - die Veranstalter machten Verluste.
Und so könnte die Königsklasse des Rennsports längerfristig einen Bogen um das Land machen, in dem das Automobil erfunden wurde.
Seit 2008 wechseln sich der Nürburg- und der Hockenheimring mit der Ausrichtung der Veranstaltung ab. Nach der Absage ist der Eifelkurs erst einmal raus. Hockenheim hält das Gastrecht noch zweimal - 2016 und 2018 -, aber ob es dieses auch einlöst, ist fraglich. Der Bürgermeister hat seiner Stadt versprochen, ihr nicht weiter Verluste aus dem Formel-1- Geschäft aufbürden zu wollen.
Im vergangenen Jahr, als am Renntag offiziell nur 52 000 zahlungswillige Zuschauer erschienen, betrugen diese Verluste 2,5 Millionen Euro. Die Königsklasse des Rennsports - sie könnte längerfristig einen Bogen um das Land machen, in dem das Automobil erfunden wurde.
Woran das liegt? Die Ursachenforschung führt in solchen Fällen gerne zu Bernie Ecclestone, dem Mann, der die Formel 1 zu dem formte, was sie heute ist: ein globaler Zirkus, der seine Zelte dort errichtet, wo das meiste zu holen ist. Ecclestone gilt als skrupellos, als raffgierig, als unerbittlich. Oft ist er das auch. Aber er ist es keineswegs immer. Beim Aus für den Deutschland-Grand-Prix spielte Ecclestone den bösen Buben und beschimpfte das Publikum als "lausig". Aber wäre er wirklich skrupellos raffgierig - die Lichter wären schon früher ausgegangen.
In den vergangenen Jahren kam Ecclestone sowohl den Veranstaltern am Nürburg- wie auch am Hockenheimring entgegen. Er ging mit ins Risiko. Dafür reduzierte er die Antrittsgage für seinen Zirkus. 2010 ging das in Hockenheim noch einmal auf. Als am Renntag 65 300 Zuschauer erschienen, blieb den Veranstaltern ein Überschuss von 140 000 Euro. Unter den ursprünglich mit Ecclestone ausgehandelten Bedingungen wäre ihnen in jenem Jahr ein Minus von 7,2 Millionen Euro entstanden.
Lange waren sowohl der Nürburg- wie auch der Hockenheimring bereit, derlei Verluste hinzunehmen, weil die Formel 1 einen Imagegewinn brachte, der sich prächtig vermarkten ließ. Die Strecken werden keineswegs nur für Grand-Prix-Sport genutzt. Sie sind auch Test- und Event-Gelände. 2010 war auf dem Hockenheimring an mehr als 300 Tagen Betrieb. Um "25 bis 30 Prozent", so schätzte der damalige Geschäftsführer, hätte er die Mietpreise ohne die Formel 1 senken müssen.
Von dieser Zugwirkung ist wenig geblieben. Man sei durchaus bereit gewesen, auch 2015 "einen vertretbaren Verlust hinzunehmen", ließen die Nürburgring-Betreiber wissen. Um das Heimrennen zu retten, offerierte sogar Mercedes einen "signifikanten Betrag". Doch es half alles nicht. Das Interesse ist inzwischen offenbar unter jede Schmerzgrenze gesunken.
Die F1 könnte schon bald im Pay-TV versinken
Ein Kernproblem: Beide Rennstrecken wurden unter dem Eindruck des Schumacher-Booms groß umgebaut. Mehr als 60 Millionen Euro wurden in Hockenheim in eine neue Streckenführung und größere Tribünen investiert. Am Nürburgring entstand gar eine ganze "Erlebniswelt" - für mehr als 300 Millionen Euro.
Die Arenen sind derart überdimensioniert, dass sie selbst in den Jahren, als Lidl die "Schumilette" feilbot und mancher Baumarkt die Deutschland-Fahne gleich im Doppelpack mit der Ferrari-Flagge, kaum zu füllen gewesen wären. Dieser Größenwahn wird nun zu einer Last, die nicht mehr zu schultern ist. Auch, weil das gesellschaftliche Klima sich verändert hat. Statt kühner Visionen ist Augenmaß gefragt.
Gut möglich, dass das Aus für den Deutschland-Grand-Prix nicht der letzte Schlag ist, den die Motorsport-Aficionados hierzulande in diesem Jahr hinnehmen müssen. Der nächste dräut bereits: Ende des Jahres läuft der RTL-Vertrag aus. 2014 sank der Marktanteil der Formel-1-Übertragungen auf weniger als 30 Prozent. Den Saisonauftakt in Melbourne verfolgten nun lediglich 1,72 Millionen Zuschauer, ein Jahr zuvor hatten noch mehr als 3,1 Millionen eingeschaltet.
Ein Rückgang, der sich mit der um eine Stunde auf 6 Uhr vorgezogenen Startzeit nur teilweise erklären lässt. Der Trend bietet Vermarkter Bernie Ecclestone an sich wenig Gelegenheit, das zu tun, was er bei Verhandlungen stets anstrebt: immer mehr zu fordern. Bleibt er sich treu, könnte die Formel 1 im Pay-TV verschwinden - wie es in England bei vielen Rennen schon der Fall ist. Das wäre dann das endgültige Ende der Formel 1 als Massenphänomen im Schumacher-Land.