Als noch etwa 20 von insgesamt 70 Runden beim Großen Preis von Ungarn zu fahren waren, begannen bei McLaren die Funkdrähte zu glühen. Oscar Piastri war hinter seinen Teamkollegen Lando Norris auf Platz zwei gerutscht, weil dieser kurz zuvor durch einen früheren Boxenstopp einen Vorteil erhalten hatte. Nun sollten die beiden wieder tauschen, der Fairness halber und, um die vom Team provozierte Situation wieder auszugleichen. Aber welcher Formel-1-Fahrer mit Weltmeister-Ambitionen gibt schon freiwillig einen Sieg her?
Also diskutierte Norris hin und her. Der Brite hatte schließlich erst 3,5 Sekunden und dann mehr als sechs Sekunden Vorsprung auf seinen Garagennachbar rausgefahren. Er sah es gar nicht ein, vom Gaspedal zu gehen. „Ja, sagt ihm halt, er soll aufholen“, lautete seine trotzige Botschaft. Das kam gar nicht gut an: Man gewinne eine WM nicht alleine, es brauche ein Team, lautete die Replik aus der Box: „Du wirst Oscar brauchen, du wirst das Team brauchen.“ Immer wieder wurde Norris aufgefordert, Folge zu leisten. Bis er schließlich zwei Runden vor dem Ende nachgab – und Piastri auf der Geraden so offensichtlich, wie es nur ging, vorbeiließ.
Nico Hülkenberg in der Formel 1:Der Aufsteiger des Halbjahres
Haas ist der kleinste Rennstall in der Formel 1 – und trotzdem besser als manch größerer Konkurrent. Das liegt vor allem an Routinier Nico Hülkenberg, der seinen Ruf als Problemlöser bestätigt und sein nächstes Engagement schon sicher hat.
Ein geschenkter Sieg? Ansichtssache. „Das ist sehr, sehr besonders“, sagte Piastri freudestrahlend, für den 23-jährigen Australier ist es der erste Erfolg in der Königsklasse. Und für McLaren der erste Doppelerfolg seit Monza 2021. Dritter im 13. Rennen der Saison wurde Lewis Hamilton im Mercedes und stand damit zum 200. Mal auf dem Podium. Weltmeister Max Verstappen kam nach einem Rennen zum Vergessen als Fünfter ins Ziel. In der Gesamtwertung hat er immer noch 76 Punkte mehr als Norris, aber es war nun der dritte Grand Prix in Serie, den der erfolgsverwöhnte Red-Bull-Pilot nicht gewinnen konnte. „Alles haben wir schlecht gemacht“, klagte er nach dem Rennen. Der einzige deutsche Stammfahrer Nico Hülkenberg belegte Rang 13.
Noch länger als Platz eins und zwei im Ziel war es für McLaren her, dass beide Autos von Platz eins und zwei gestartet waren: Genau 4226 Tage waren vergangen seit dem Großen Preis von Brasilien 2012. In Ungarn trennten Norris und Piastri gerade einmal 22 Tausendstelsekunden nach der Qualifikation. Verstappen hatte nur 46 Tausendstelsekunden Rückstand auf Norris. Wirklich optimistisch stimmte ihn das angesichts seiner aktuell eher schwierigen Beziehung zu seinem Dienstwagen allerdings nicht. Wie er die Konkurrenz schlagen wolle? „Ich weiß es nicht“, lautete die Antwort, und am Sonntag sollte sich bald herausstellen, dass mehr Wahrheit in diesem Satz steckte, als Verstappen lieb gewesen sein dürfte – wenngleich es zu Beginn anders wirkte.
Verstappen lässt Norris wieder vorbei, ehe die Kommissare einschreiten
Norris kam zwar gut weg, die Pole Position verlor er dennoch. Um seinen Teamkollegen von einem Manöver abzuhalten, lenkte Norris nach den ersten Metern nach rechts. Das eröffnete Verstappen Möglichkeiten. Und als sei das hier ein fröhliches Schaufahren, bogen die beiden McLaren und der Red Bull in einer Dreierreihe in die erste Kurve. Aber die Formation änderte sich schnell, Piastri konnte sich über die Innenseite der Kurve an die Spitze absetzen, während Verstappen links von der Strecke abkam.
Zurück auf dem Kurs ordnete er sich vor Norris wieder ein. Doch nun flogen die Funksprüche zwischen den Fahrern und den Teams und zwischen den Teams und den Rennkommissaren. „Ich wurde abgedrängt!“, gab Verstappen an sein Team durch. Die gewonnene Position wollte er keinesfalls zurückgeben. In der vierten Runde tat er es doch, um einer Strafe vorzubeugen. Prompt kam die Meldung vom Automobil-Weltverband Fia: Haken dran. „Also kann man Leute einfach von der Strecke drängen? Sagt der Fia, dass wir das ganze Rennen so fahren werden“, echauffierte sich der 26-Jährige. Doch er tat gut daran, sich nicht weiter damit zu beschäftigen, denn das beste Auto stellt gerade nicht Red Bull, sondern McLaren – Verstappen war der Jäger, nicht wie sonst üblich der Gejagte.
Lewis Hamilton, der beim Start eine Position auf Platz vier hatte gutmachen können, bog von den führenden Fahrern in der 16. Runde als Erster zum Wechsel auf die harte Reifenmischung ab. Darauf reagierte die Konkurrenz. Norris folgte zwei Runden später, nach 19 Durchgängen schließlich auch Piastri. Das brachte Verstappen an die Spitze, aber er meldete Probleme: „Ich kann nicht bremsen, ich komme nicht in die Kurven. Vorne und hinten, es ist wirklich schrecklich!“ In der 22. Runde kam auch er an die Box. Damit war die zwischenzeitlich veränderte Reihenfolge an der Spitze wieder hergestellt: Piastri vor Norris, dahinter Hamilton vor Verstappen.
Der Titelverteidiger war in der 35. Runde eigentlich schon an Hamilton vorbei – bis ihm sein eigenes Auto erneut in die Quere kam. Am für sein Manöver entscheidenden Kurvenausgang folgte der RB20 seinen Anweisungen nicht. „Dieses Ding lenkt einfach verdammt nochmal nicht ein!“, grantelte Verstappen per Funk. „Das ist unglaublich!“ Das enge Duell der beiden setzte sich fort, Verstappen kam näher, Hamilton verteidigte seine Position – bis er in der 41. Runde frische Pneus anbringen ließ.
Nun war Verstappen wieder Dritter und war äußert schnell unterwegs, dass er nicht auch an die Box gerufen wurde, war seiner Ansicht nach jedoch die völlig falsche Strategie: „Es ist wirklich beeindruckend, wie wir uns mein Rennen ruinieren!“ Nachdem auch er zum Reifenwechsel abbiegen durfte, kam er als Fünfter zurück auf die Strecke. Der Eindruck der jüngeren Rennen setzte sich damit fort, dass nämlich die generelle Dominanz der Bullen abgenommen hat.
Die nächste Zornesbotschaft folgte bald: „Ihr habt mir diese beschissene Strategie vorgegeben! Ich versuche, zu retten, was zu retten ist!“ Am Ende kollidierten die Autos von Verstappen und Hamilton noch, der Red Bull hob ab. Beide konnten weiterfahren, aber dadurch schob sich Charles Leclerc im Ferrari vor Verstappen. Als der Niederländer wieder schimpfte, reichte es seinem Renningenieur: „Du bist kindisch.“ Viel Redebedarf also bis zum Großen Preis von Belgien kommenden Sonntag, dem letzten vor der Sommerpause. Bei Red Bull – und bei McLaren.