Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Täuschen und Tarnen in Barcelona

Lesezeit: 3 min

Hat sich Mercedes verzockt? Bei den abschließenden Tests vor dem Start der Saison ist Sebastian Vettels Ferrari dominant - der seines ehrgeizigen Teamkollegen Leclerc allerdings auch.

Von Philipp Schneider, Barcelona/München

Der Circuit de Catalunya in Spanien ist vermutlich die geheimnisumwittertste Rennstrecke im Kalender der Formel 1. Nicht etwa, weil der in Montmeló nördlich von Barcelona gelegene Kurs über eine avantgardistische Architektur, verborgene Besprechungsräume oder unterirdischen Schnickschnack verfügen würde, den es anderswo nicht auch gäbe. Vielmehr deshalb, weil es keinen anderen Ort gibt, an dem die Renningenieure der Teams so sehr ins Grübeln geraten über ihre selbst entwickelten Autos und die Technik der Anderen. Zweimal machen die Teams traditionell Halt in Barcelona: Bei den abschließenden Tests vor dem Saisonauftakt in Melbourne (in diesem Jahr am 17. März) und anlässlich des Auftakts der Europatournee der Rennserie.

Beim ersten Besuch in Katalonien präsentieren die Teams ihre neuen Rennwagen, Unterböden, Leitbleche, Front- und Heckflügel. Damit drehen sie zwei Wochen lang Runden. Und wenn sie dann nach den Rennen in Australien, Bahrain, China und Aserbaidschan zurückkehren nach Spanien, dann schrauben sie gerne neue Unterböden, Leitbleche, Front- und Heckflügel an ihre Autos, von denen sie glauben, dass sie die Renner noch schneller machen. Schon die kleinste Abweichung von diesem Ablauf deuten die Konkurrenten wie die römischen Auguren den Vogelflug. Und die Öffentlichkeit studiert die Zeiten: Wie schnell ist Sebastian Vettels Ferrari? Wie schnell ist Lewis Hamilton Mercedes? Es wollen ja alle wissen: Wer wird denn nun Weltmeister in diesem Jahr?

Entsprechend enorm war das Staunen zu Beginn der zweiten Testwoche in Barcelona, als Mercedes plötzlich einen rundum erneuerten Rennwagen auf die Rennstrecke rollen ließ. Der alte, der Mercedes von vergangener Woche, war deutlich langsamer gewesen als der Ferrari. Den Neuen hatten die Ingenieure unter anderem einer auffälligen Nasenoperation unterzogen. Die Nase war nun nicht mehr elegant und schmal, sondern sah aus, als hätte sie jemand plattgesessen; sie ähnelte dem Schnabel einer Ente. Entwickelt hatten die Ingenieure die neue Front selbstredend nicht über Nacht, um auf die Rasanz des neuen Ferraris zu reagieren, sondern in den vergangenen Monaten. War dies also in Wahrheit jene Front, mit der Hamilton in Australien auf Zeitenjagd gehen wird?

Nicht nur testen, sondern täuschen und tarnen, darum geht es bei den Winterübungen in Barcelona. Auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass sich die Ingenieure von Mercedes, die ein völlig anderes Aerodynamik-Konzept verfolgen als Ferrari, diesmal verzockt haben. Vergangene Woche freute sich Vettel über den "vielleicht besten Trainingsauftakt überhaupt". "Gut für ihn", konterte Hamilton trocken. Dann wies er dezent darauf hin, dass Vettels Ferrari auch bei den Testfahrten im Vorjahr sehr ordentlich gerollt sei. Weltmeister wurde bekanntlich er, Hamilton.

Dass Ferrari auch in der zweiten Woche die schnellsten Zeiten vorlegte, darf allerdings mindestens als Indiz gewertet werden, dass sie bei der Scuderia sehr ordentlich gearbeitet haben. Obwohl der Rennstall in der entscheidenden Entwicklungsphase die Führung ausgetauscht hatte und den ehemaligen Technikchef Mattia Binotto zum Nachfolger von Maurizio Arrivabene ernannte. "Auf Ferrari fehlt uns im Moment eine halbe Sekunde", sagte Hamilton am Freitag, nachdem Vettel auch am letzten Testtag - noch dazu zwei Tage nach einem heftigen Crash, für den die Ingenieure eine beschädigte Felge verantwortlich machten - reihenweise Bestzeiten vorgelegt hatte. Allerdings sei es ja so, sagte Hamilton: "Es gibt keine Punkte für die Bestzeit bei Testfahrten. Wichtig ist, wie schnell wir in Melbourne sein können."

Vettel hat in diesen Tagen in Spanien nicht nur sein Auto testen dürfen, sondern auch seinen neuen Teamkollegen Charles Leclerc. Der führte am Tag nach Vettels Unfall, wegen dem Ferrari reichlich Testzeit verlor, weil der demolierte Rennwagen erst repariert werden musste, die Bestenliste an. "Das Auto fühlt sich gut an", sagte der 21-Jährige, der vor der Saison von Sauber kam und Kimi Räikkönens Cockpit übernahm. Das klang hübsch unverfänglich. Also ganz anders als jener selbstbewusste Satz, den Leclerc außerdem fallen ließ: "Ein Ferrari wird den Auftakt in Melbourne gewinnen." Die Betonung lag auf dem Wörtchen ein. Er dachte womöglich bei einem Ferrari an seinen Ferrari.

Vorsorglich hat der neue Teamchef eine Strategie verkündet, die Arrivabene so deutlich nie formulierte: Der zweite Fahrer soll Vettel unterstützen. "Wenn es in den ersten Rennen zu kritischen Situationen kommen sollte, dann hat Sebastian Priorität", sagte Binotto. Damit ließ er selbstredend offen, wer Priorität haben wird, sollte Leclerc auf unkritische Weise die ersten Rennen gewinnen.

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SZ vom 02.03.2019
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