Formel 1:Streit um Vettels Flügel

Die Formel-1-WM geht in die heiße Phase: Da birgt die Frage, ob biegsame Spoiler erlaubt sind, Brisanz. Einige Rivalen wittern bei Sebastian Vettel Schummelei.

René Hofmann

Es geht bei der Frage nur um einen Zentimeter, aber der kann die Formel-1-WM entscheiden. Beim Großen Preis von Belgien, der am Wochenende in Spa-Francorchamps stattfindet, wird der Automobilweltverband Fia ein neues Verfahren anwenden, um zu überprüfen, wie stark sich die Flügel an den Rennwagen verbiegen. Biegsame Aerodynamikteile sind verboten, weil sie gefährlich werden können.

Sebastian Vettel

Das umstrittene Objekt: Am Rennwagen-Modell RB6, das Sebastian Vettel bewegt, kommt der Frontflügel dem Asphalt oft auffallend nahe. Dies bringt einen aerodynamischen Vorteil. Einige Rivalen wittern Schummelei.

(Foto: dpa)

Bisher galt: Die Flügel, die vorne an den Autos hängen, dürfen sich, wenn sie mit einem Gewicht von 50 Kilogramm belastet werden, maximal zehn Millimeter dem Boden nähern. Um das zu prüfen, stellten die Regelhüter bei den Rennen ein entsprechendes Gewicht auf die Flügel und maßen nach, was geschah. In Spa werden sie nun mit einem doppelt so schweren Gewicht kommen. Die neue Regel lautet: 100 Kilogramm dürfen den Flügel maximal zwei Zentimeter näher zum Boden bringen.

Im ersten Moment klingt das nach einem ziemlich unbedeutenden Detail der technisch hochkomplexen Sportart. Aber das täuscht. Die Geschichte birgt Brisanz - und sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie bei dem Spektakel mit allen möglichen Mitteln um den Erfolg gerungen wird. Je näher ein Frontflügel dem Asphalt kommt, umso weniger Windwiderstand bietet ein Auto und umso schneller lässt es sich in aller Regel bewegen. Auffallend gut in diesem Detail waren in den zwölf Rennen, die in dieser Saison bisher ausgetragen wurden, die Wagen von Red Bull, die Sebastian Vettel und Mark Webber steuern. Entworfen hat sie der Brite Adrian Newey.

Klare Definition gefordert

Der 51-Jährige behauptet, er müsse wegen des neuen Testmethode nichts am Frontflügel ändern: "Das wird unserer Ansicht nach nicht nötig sein." Einen generell strikteren Ansatz beim Thema flexible Flügel fordert dagegen McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. "Die Fia muss diesen Bereich absolut klar definieren. Wenn keine Klarheit herrscht, dann können wir selbst auch schon sehr bald erfinderisch und kreativ werden", kündigt der 52-Jährige an. McLaren gegen Red Bull - auf dieses Duell lässt sich der Streit verkürzen.

Der Rennstall, der dem Österreicher Dietrich Mateschitz gehört, besaß in diesem Jahr oft ein überlegenes Auto. In zwölf Rennen fuhren Vettel oder Webber zum schnellsten Startplatz. In den WM-Klassements ist diese Überlegenheit aber nicht zu lesen. Bei den Konstrukteuren folgt McLaren mit 304 zu 312 Punkten dichtauf, bei den Fahrern heißt es: 1: Webber 161 Zähler, 2. Lewis Hamilton/McLaren 157, 3. Vettel 151, 4. Jenson Button/McLaren 147. Gelingt es der Mannschaft, die Silber trägt, das Team, das zwei Bullen im Logo führt, im finalen Saisondrittel aus dem Tritt zu bringen, würde das die eigenen WM-Chancen drastisch verbessern.

Gerüchte, dass sich mancher Front- flügel bei voller Fahrt unter dem Druck des Windes auffallend der Straße nähert, gab es bereits länger. Die meisten Teams engagieren Fotografen, um die Produkte der Konkurrenz mit Teleobjektiven ganz genau zu verfolgen. So richtig Fahrt nahm das Thema der vielleicht zu flexiblen Flügel aber erst auf, als Bilder an die Öffentlichkeit kamen, die verschiedene Autos beim selben Rennen an der selben Stelle der Rennstrecke zeigten und bei denen selbst Laien auffiel, dass sowohl die Red Bulls als auch die Ferraris auffallend tiefgelegt daherkamen.

Vorangetrieben wurde die Geschichte im Blog eines Fotografen, der als guter Bekannter eines McLaren-Sprechers gilt. Die Fia maß daraufhin zweimal nach - und fand nichts Verbotenes. Im ersten Drittel der Saison hatte es schon ein ähnliches Spielchen gegeben. Damals hatte die argwöhnische Konkurrenz gemutmaßt, die Autos von Vettel und Webber könnten nur dank eines Tricks am Samstag in der Qualifikation mit wenig Benzin im Tank genauso nah am Asphalt kleben wie am Sonntag zum Rennstart, wenn weitaus mehr Benzin den Renner in die Federn drückt. Auch damals hatten die Regelhüter nichts gefunden. Die Verteidigungsrede von Red-Bull-Obertechniker Adrian Newey lautet - vereinfacht - so: Wir haben einfach ein ganz besonderes Auto, das sich dank der speziellen Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse anders einstellen lässt als die meisten anderen. Die Rivalen wollen das so nicht so recht glauben.

"Wenn flexible Flügel erlaubt bleiben, müssen sie alle bauen. Das gibt dann den nächsten Entwicklungswettlauf, wie wir ihn im vergangenen Jahr beim Doppeldiffusor erlebt haben", prophezeit der Chef eines ambitionierten Teams aus dem Verfolgerfeld. Im vergangenen Jahr hatte das Team BrawnGP sowohl den Fahrer- als auch der Konstrukteurstitel gewonnen, weil Teamchef Ross Brawn eine Reglementslücke erkannt hatte und als erster einen doppelten Boden in den Diffusor im Heck seiner Rennwagen einbaute, der für mehr Anpressdruck sorgte. Der Automobilweltverband verbot das Prinzip nicht. Alle Teams bauten es nach. Doch da war Brawn-Fahrer Jenson Button schon nicht mehr einzuholen.

Im Jahr 2006 war ein ähnlicher Streit anders ausgegangen. Damals verbot der Automobilweltverband nach einigem Hin und Her mitten in der Meisterschaft die Massedämpfer, die Renault entwickelt hatte und die bewirkten, dass sich die Autos der französischen Firma nach der Fahrt über Randsteine oder Bodenwellen schnell wieder beruhigten. Vor allem Ferrari hatte gegen die Teile Lobbyarbeit betrieben. Auch damals gab es nämlich ein Duell, es hieß: Fernando Alonso gegen Michael Schumacher. Der Spanier gewann es.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: