Formel 1:Da schleichen sie dahin, die roten Kutschen

Belgian Grand Prix

In jener Verfassung, in der sich beim Grand Prix in Belgien die roten Kutschen, ehemals Rennwagen, präsentierten, waren sie nur noch Verkehrshindernisse.

(Foto: Pool via REUTERS)

Während Hamilton das Rennwochenende dominiert und mit Bottas den nächsten Doppelsieg für Mercedes feiert, erlebt Ferrari eine weitere Schmach: Das Team kommt nicht über die Plätze 13 und 14 hinaus.

Von Philipp Schneider

16 Runden waren gefahren am Sonntag in Spa, als Sebastian Vettel seinen besten Freund in der Formel 1 erblickte. Vettels Freude dürfte sich in Grenzen gehalten haben: Kimi Räikkönen tauchte leider formatfüllend auf in seinem Rückspiegel - und das unerträgliche Leiden und Lahmen der Scuderia Ferrari in dieser Saison schoss endgültig über den Punkt hinaus, an dem sich noch von einer handelsüblichen Blamage hätte sprechen lassen. Räikkönen, viele Jahre lang Vettels Adjutant bei dessen Plan, die Weltmeisterschaft im Ferrari zu gewinnen, schob sich in diesem Moment recht mühelos vorbei an Vettel, vor auf Position zwölf. Wohlgemerkt im Alfa Romeo, einem Kundenfahrzeug der Scuderia, das seinen Motor aus Maranello bezieht - und das in besseren Zeiten überrundet wurde von Vettel. In jener Verfassung, in der sich beim Grand Prix in Belgien die roten Kutschen, ehemals Rennwagen, präsentierten, waren sie nur noch Verkehrshindernisse.

Als Lewis Hamilton gefolgt von seinem Teamkollegen Valtteri Bottas und Max Verstappen im Red Bull schließlich als Erster über die Ziellinie fuhr, da waren die Ferraris von Vettel und Charles Leclerc noch lange nicht im Ziel. "Ich weiß, nicht jeder will sehen, dass immer Mercedes vorne steht", sagte Hamilton, "aber für uns ist es egal, wie erfolgreich wir sind: Wir bleiben weiter demütig." Das hörten Vettel und Leclerc sicher gerne - nachdem sie als 13. und 14. ins Ziel gekrochen waren. Welch ein Fiasko! Allerdings eines, das sich angedeutet hatte. "Man kann viel Erkenntnis mitnehmen, aber die ist nicht positiv", sagte Vettel. "Alle Schwächen kamen zum Vorschein."

Schon im Samstagstraining hatte sich Vettel tatsächlich auf dem letzten Platz und Leclerc auf Position 17 wiedergefunden. Danach war zu befürchten gewesen, dass die Ferraris nicht einmal den ersten Teil der Qualifikation überstehen würden. Das gelang ihnen. Gerade so. Allerdings nur, weil sie sich bei ihren schnellsten Versuchen gerade noch rechtzeitig in den dichten Verkehr warfen, um so in den Genuss von Windschatten zu kommen.

Dass es auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Spa, ein Jahr, nachdem sie dort noch nebeneinander aus der ersten Reihe gestartet waren, für Vettel und Leclerc diesmal nur für die siebte Reihe genügte, beweist die unfassliche Wucht des Absturzes des Teams aus Maranello: 2019 gewann Leclerc an gleicher Stelle das Rennen, 2018 siegte Vettel.

2020 Belgian GP SPA-FRANCORCHAMPS, BELGIUM - AUGUST 30: Antonio Giovinazzi, Alfa Romeo Racing C39 collides with the bar

Kaputt mitten auf der Strecke: George Russell (rechts) und Antonio Giovinazzi sorgen für die Schrecksekunde des Rennens in Spa-Francorchamps.

(Foto: Zak Mauger/imago images)

Warum es an der Spitze des Teams noch immer nicht zu personellen Änderungen gekommen ist, bleibt rätselhaft. Das Festhalten an den Verantwortlichen lässt sich logisch wohl nur damit erklären, dass niemand gehen kann. Weil die Entscheidungen zur Entwicklung des offenbar nicht ganz regelkonformen Motors des Vorjahres und dessen notwendigem Rückbau zu dieser Saison gemeinschaftlich getroffen wurden.

Scharfe Kritik an Ferrari gab es von Mercedes-Teamchef Toto Wolff zu hören. Die Krise des einstigen Rivalen sei "schlecht für die ganze Formel 1", sagte er. Man müsse die Prioritäten in der jüngsten Zeit bei der Scuderia in Frage stellen und erörtern, woher das Leistungsloch komme. "Es geht um die Entscheidungen, die innerhalb des Teams von einigen Leuten getroffen wurden", sagte Wolff.

Zwei Siege fehlen Hamilton zur Bestmarke von Michael Schumacher

Lewis Hamilton ficht all dies nicht an. Nachdem er in der Qualifikation seinen Teamkollegen Bottas und den Dritten, Max Verstappen im Red Bull, mit mehr als einer halben Sekunde distanziert hatte, sprintete er munter los auf dem Weg zu dem 89. Rennsieg seiner Karriere. Zwei Siege fehlen ihm jetzt nur noch zur Bestmarke von Michael Schumacher.

Carlos Sainz konnte mit seinem McLaren gar nicht erst starten von Platz sieben: vor dem Start wurde ein Defekt in seiner Antriebseinheit diagnostiziert. Viel vorgenommen hatte sich Daniel Ricciardo in Parkbucht vier - der das Rennen auch als Vierter beendete und sich zusätzlich die schnellste Rennrunde schnappte. Renault hatte sich entschieden, seine Flügel in eine vergleichsweise auf Hochgeschwindigkeit und weniger Bodenhaftung abgestimmte Stellung zu bringen. Auch seine Reifenmischung war weicher als die der drei Piloten vor ihm. In Spa wird der Start in Kurve fünf entscheiden, am Ende der langen Bergfahrt ausgangs der Senke Eau Rouge, auf der sich Hinterherfahrer im Windschatten in Stellung bringen. Genau dort setzte Ricciardo an zum Überholmanöver - doch Verstappen hielt Kurs und blieb vor ihm.

Weiter hinten startete Leclerc geradezu sensationell, in der ersten Runde kämpfte er sich um gleich fünf Positionen nach vorne, fuhr vor auf Platz acht. Ihm hatte Ferrari die weichsten Pneus an den Wagen geschraubt, Vettel die mittelharten. Das brachte ihm einen Startvorteil ein. Schon eine Runde später allerdings musste Leclerc einen gewissen Pierre Gasly passieren lassen, der in seinem sogenannten Alpha Tauri auf der Geraden mehr Kraft entfalten konnte als Leclercs rote Kutsche. "Auf der Geraden muss ich zu sehr kämpfen", klagte er über Funk.

Formel 1: Hommage an einen Schauspieler: Lewis Hamilton ehrt nach dem Qualifying mit der Geste der verschränkten Arme Chadwick Boseman, den früh verstorbenen Hauptdarsteller aus dem Abenteuerfilm „Black Panther“.

Hommage an einen Schauspieler: Lewis Hamilton ehrt nach dem Qualifying mit der Geste der verschränkten Arme Chadwick Boseman, den früh verstorbenen Hauptdarsteller aus dem Abenteuerfilm „Black Panther“.

(Foto: FRANCOIS LENOIR/AFP)

Als nächstes entwickelten sich seine Reifen vom Vorteil zum Nachteil, nach acht Runden war Leclerc wieder dort angekommen, wo er losgerollt war: Platz zwölf, knapp vor Vettel.

An der Spitze klaffte schnell eine Lücke von drei Sekunden zwischen den Silberpfeilen und Verstappen, der das Tempo nicht mitgehen konnte; Hamilton wiederum ließ Bottas nicht in Überholnähe heranrücken. Und dann krachte es heftig!

Das Heck von Antonio Giovinazzis Alfa Romeo begann zu tanzen. Er flog ab, prallte rechts in die Bande. Dabei verlor sein Wagen ein Hinterrad, das den Williams von George Russell in die Bande auf der anderen Seite der Strecke drückte. Ein heftiger Unfall: Das Medical Car fuhr zur Unfallstelle, beide Fahrer kletterten aus eigenen Kräften aus den Cockpits. Auch das Safety Car rückte aus, in Schrittgeschwindigkeit fuhren die anderen Piloten durch ein Meer von Karbonteilen. Dann hielten sie an der Box und ließen sich mit wenigen Ausnahmen die härtesten Reifen an die Autos schrauben, die fast alle ins Ziel schleppten.

Und Vettel? Wurde immer weiter munter überholt

Nach 26 Runden wurde Leclerc schon wieder an die Box gerufen. "Was ist los? Warum müssen wir langsame Pit Stops machen?", erkundigte er sich frech. "Das erklären wird die später", lautete die Antwort. Offenbar musste nicht nur der Reifen gewechselt werden, sondern auch beim Luftdruck ausgebessert werden. Leclerc war nun als 17. ganz am Ende des Feldes.

Und Vettel? Wurde immer weiter munter überholt: Sergio Perez fuhr vorbei an ihm in einem Racing Point. Dann auch noch Pierre Gasly im Alpha Tauri.

An der Spitze hatten die Piloten gegen Rennende mit ihren stark strapazierten Reifen zu kämpfen. Hamilton verlor sogar kurz die Kontrolle, verbremste sich, musste einen Notausgang durchfahren. Den nächsten Doppelsieg der Silberpfeile verhinderte dies nicht mehr. Auch nicht die Tatsache, dass Bottas über Probleme im linken Bein klagte. Offenbar war dem Mercedes-Piloten der Bremsfuß eingeschlafen.

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