Motorsport:Wie die Formel 1 faszinierend bleiben kann

Großer Preis von Ungarn - Rennen

Max Verstappen im Red Bull (l.) hat in den vier Rennen vor der Sommerpause gezeigt, dass er Mercedes Druck machen kann.

(Foto: dpa)

So eintönig der Saisonstart geriet, so spektakulär drehte sich das Blatt vor der Sommerpause. Mit welchem Gesicht wird die Rennserie im September zurückkehren?

Von Philipp Schneider

Am Rande eines Formel-1-Rennens wird nicht nur gefeiert, getrunken und gezeltet. Es wird auch unheimlich viel geredet. Allein die Zahl der Pressekonferenzen, die zwischen Donnerstag und Sonntag abgehalten werden, ist im Vergleich zu anderen Sportarten enorm. Hinzu kommen noch Termine, die Rennfahrer und Verantwortliche in kleinerer Runde wahrnehmen; es wird so viel geredet und gefilmt, dass eine irre Bemerkung in der Flut der Aussagen untergehen kann.

Ende Juni traf sich die Formel 1 an der Rennstrecke in Spielberg, in der Woche zuvor war sie ein Rennen in Frankreich gefahren. Wobei, Rennen? In Le Castellet hatte es den sechsten Doppelsieg von Mercedes im achten Grand-Prix des Jahres gegeben. Anstelle von Überholmanövern sahen die Zuschauer einen Autokorso, der sich von den Hochzeitsprozessionen nur insofern unterschied, als es keine weißen Schleifen oder Blumen gab. Und niemand hupte.

Als also die Teamchefs nach der mancherorts als langweiligste Rundfahrt in der Geschichte der Formel 1 bezeichneten Veranstaltung wieder zusammentrafen in Österreich, da war eine kollektive Verzweiflung greifbar. Der Teamchef eines kleineren Rennstalls - das plauderte Toto Wolff aus, der Boss von Mercedes - schlug vor, sogenannte Performance-Gewichte unter dem Sitz von Lewis Hamilton zu verstauen. Der Ausdruck ist irreführend, da sich Gewichte im Rennsport nicht vorteilhaft auswirken auf die Performance, sondern bremsen. Ein anderer Teamchef tat kund, erzählte Wolff, dass er die Idee klasse fände. Selbstredend wurde nicht verabredet, diesen Vorschlag in die Realität zu überführen. Die Einführung von Gewichtsplatten würde die DNA der in der Theorie auf Chancengleichheit angelegten Formel 1 so verändern, dass ihr bald auch noch die letzten Motorsportfreunde davonlaufen würden. Der Vorschlag zeigte vor allem die empfundene Ohnmacht der kleineren Teams.

Verstappen steht im Zentrum des Umschwungs

Auch andere Ideen wurden debattiert und wieder verworfen: eine Rückkehr zu den Reifen des Vorjahres, eine umgekehrte Startaufstellung, in der der schnellste Fahrer der Qualifikation nicht von vorne, sondern von hinten los rollt. Oder die Wiedereinführung von Tankstopps im Rennen. Es gab viele revolutionäre Ideen, doch sechs Wochen nach Spielberg zeichnet sich ab, dass die meisten von ihnen wieder in der Schublade verschwinden dürften.

Auf die Langeweile von Frankreich folgte die Hitze in Österreich. Mit der Hitze kam die Wende. Und mit der Wende kam der Aufstieg des Max Verstappen.

Der 21 Jahre alte Niederländer und sein Team von Red Bull stehen im Zentrum des Umschwungs, der die Formel 1 seit vier Grand Prix erfasst hat. Der Rennstall aus Österreich hatte zu Saisonbeginn am meisten unter der verordneten Vereinfachung der Flügelstruktur in der Formel 1 gelitten, hatte er doch aus seiner Aerodynamik zuvor stets einen Wettbewerbsvorteil gezogen. Seit Spielberg hat Red Bull den Flügel im Griff, Verstappen gewann dieses Rennen und auch jenes in Hockenheim. In Silverstone wurde er nur deshalb Fünfter, weil ihm Sebastian Vettel ins Heck rauschte. Und beim letzten Auftritt der Formel 1 vor der Sommerpause in Ungarn wurde er Zweiter, nachdem er zum ersten Mal in seiner Karriere die Pole-Position erobert hatte. Vier Rennen wurden gefahren, in denen die Formel 1 bewiesen hat, welche Kraft sie verbreiten kann, selbst wenn der Titelkampf entschieden zu sein scheint.

Wie steht es um die Formel 1 - vier grandiose Rennen nach der großen Langeweile?

In Spielberg und Silverstone lieferten sich Verstappen und der gleichaltrige Ferrari-Pilot Charles Leclerc die mitreißendsten Rad-an-Rad-Duelle seit es im Circus Maximus keine Vorstellungen mehr gibt. Bei der Rutschpartie in Hockenheim wurde deutlich, wie faszinierend die Formel 1 sein kann, sobald die schlauen Rennstrategen gezwungen sind, ihre kühlen Kalkulationen zu verwerfen, um sich mit dem Regenradar und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu befassen: Bleibt es nass? Wird es trocken? Und selbst wenn: Wird es trocken genug für Trockenreifen? Beim Rennen in Ungarn schließlich speiste sich die Faszination aus dem exakt gegenteiligen Effekt: Seinen Sieg hatte Hamilton zu großen Teilen dem Genie seines Chefstrategen James Vowles zu verdanken.

Sieben Runden lang diskutierte der 40 Jahre alte Engländer aus Felbridge mit den Datenexperten in Brackley, ob man Hamilton noch mal einen frischen Satz Reifen geben sollte, damit dieser trotz des zusätzlichen Stopps Verstappen noch einfangen kann. Vowles Berechnungen basierten auf einem tiefen Vertrauen in die Fahrkünste Hamiltons. Hätte der nicht mit einer fehlerfreien Darbietung 20 Sekunden in 20 Runden aufgeholt, auch Vowles Plan wäre fehlgeschlagen. Und als Hamilton zwischenzeitlich vier Runden lang nicht die geforderte Sekunde pro Umdrehung auf Verstappen aufholte, bediente sich der Kommandostand der Notlüge, dass alles nach Plan laufe. Ein derart komplexes Coaching, das zwischen Psychologie und Mathematik changiert, gibt es wohl in keiner anderen Sportart.

Und nun? Wie steht es um die Formel 1 - vier grandiose Rennen nach der großen Langeweile von Frankreich?

Die Formel 1 darf sich nicht verkünsteln

In Zeiten von Fahrverboten und jenen, in denen darüber nachgedacht wird, den Fleischkonsum teurer zu machen, um das Klima zu retten, steht das sinnbefreite Kreisen von Verbrennungsmotoren grundsätzlich in der Kritik. Diejenigen, die die Formel 1 ablehnen, preisen gerne die vollelektrifizierte Schwesterserie Formel E, die ihr Auftaktrennen ausgerechnet im Öl- und Folterstaat Saudi-Arabien veranstaltete und die ihrerseits abgelehnt wird von den Motorsportpuristen. Mit dem gar nicht so schlechten Argument, die in den Innenstädten aufgeführte Veranstaltung sei schlicht eine Marketing-Kniff der Automobilindustrie, um sich nach dem Dieselskandal einen grünen Anstrich zu geben. Keinesfalls wird es sich die Formel 1 leisten können, dauerhaft langweilig zu sein.

Ab dem Jahr 2021, wenn die nächste große Reform greift, muss sie sich Regeln geben, die es ermöglichen, dass mehr Autos um den Sieg fahren können als die sechs von Ferrari, Mercedes und Red Bull. Die Stellschrauben, an denen die Verantwortlichen drehen können, sind längst bekannt: Budget und Mannschaftsstärke der Top-Teams müssen begrenzt, Technik und Aerodynamik vereinfacht werden. Je größer die Chancengleichheit, desto erfrischender die Formel 1. Sie darf sich allerdings nicht verkünsteln. Wirklich niemand will sehen, wie Lewis Hamilton überholt wird, weil ihn Gewichtsplatten bremsen. Wenn eine Mannschaft über Monate und Jahre und auch im Vergleich zu Teams mit ähnlich großem Budget bessere Arbeit abliefert, hat sie es verdient, das schnellste Auto zu stellen. Die Formel 1, sagt Toto Wolff, sei eine "Meritokratie". Eine Gesellschaftsordnung also, in der jedes Mitglied seine verdiente Position einnimmt.

Manchmal kann das eben bedeuten, dass der beste Fahrer im besten Auto sitzt.

Zur SZ-Startseite

Verstappen vs Hamilton in der F1
:Am Limit und darüber hinaus

Der Zweikampf zwischen Hamilton und Verstappen in Ungarn gibt einen Vorgeschmack auf die Zukunft der Formel 1 - es steht ein Generationenwechsel an.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: