Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:Der Fluch des Mick Schumacher

In Singapur kämpft der deutsche Pilot weiter gegen den Konjunktiv. Charles Leclerc erspart sich eine Panikattacke. Und Max Verstappen macht ungewöhnliche Fehler. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Sergio Perez

Der Mann, für den Red-Bull-Teamchef Christian Horner seine Spanischkenntnisse auf ein "Vamos!" erweitert hat, ist einer für die Straße: Nach dem Sieg im Mai in Monte Carlo triumphierte Sergio Perez im rutschigen Stop-and-go von Singapur zum zweiten Mal in diesem Jahr. Damit rettete er nicht nur die Ehre seines Teams vor Ferrari und verbesserte die Titelchancen des strauchelnden Kollegen Max Verstappen, er verschaffte auch sich selbst etwas Ruhe. Die Medien würden alles aufbauschen, beschwerte er sich, vielleicht auch, weil er bloß ein Mexikaner sei: "Wenn ich zwei Rennen in Folge mal nicht auf dem Podium stehe, soll ich plötzlich meine schlechteste Saison haben und Red Bull müsse mich entlassen." Tatsächlich ist das Rennjahr des 32-Jährigen ein Auf und Ab auf hohem Niveau, und fast hätte sich das nach dem Siegesfeuerwerk auf dem Marina Bay Street Circuit noch fortgesetzt. Erst zweieinhalb Stunden nach der Zieldurchfahrt war sein vierter Karriereerfolg gesichert, bis dahin tagten die Kommissare wegen zweier Vergehen hinter dem Safety-Car. Einmal wurde er dafür verwarnt, einmal bekam er fünf Strafsekunden - das reichte bei einem Vorsprung von 7,5 Sekunden auf Leclerc aber trotzdem gerade so. Vamos!

Max Verstappen

Die Kosten-Nutzen-Rechnung eines Weltmeisters in spe ist schnell aufgemacht. "Siebter werden ist besser als Achter, aber dafür bin ich sicher nicht hier", sagte Max Verstappen, der vor Singapur elf von 15 Rennen der Saison gewonnen hatte, die letzten fünf davon in Serie. Es war unwahrscheinlich gewesen, dass er schon am Äquator vorzeitig seinen Titel verteidigt, aber durchaus möglich. Vielleicht wäre es auch so gekommen, hätte sich sein Team nicht bei der Kalkulation des Sprits für die entscheidende Qualifikationsrunde verrechnet. So aber waren ungewöhnliche Fehler auch bei der Aufholjagd des Niederländers von Rang acht aus zu beobachten. Am Start brachte er die Kupplung nicht richtig in Gang, später unterlief ihm ein spektakulärer Verbremser nach einer Bodenwelle, aber er kämpfte sich immer wieder zurück. So richtig nervös muss er auch nicht werden: Nach dem kommenden Wochenende muss er 112 Punkte Vorsprung auf den nächsten Verfolger haben, dann wäre er vier Rennen vor Saisonschluss schon durch. Am sichersten wären ein Sieg samt schnellster Runde. Genau dafür fliegt er nach Suzuka.

Charles Leclerc

Neun Pole-Positionen, nur zwei davon in einen Sieg verwandelt: In Singapur blieb der Monegasse seinem Muster treu, schon am Start zog Sergio Perez am Ferrari vorbei. Aber besser ging es einfach nicht, und seine Scuderia hatte sowohl im Qualifying als auch im Nachtrennen die richtige Strategie gewählt. Nach gut der Hälfte der Distanz war der 24-Jährige der Erste aus der Spitzengruppe, der die Trockenreifen aufzog. Tatsächlich konnte Leclerc dem vorausfahrenden Red-Bull-Rennwagen ganz gut folgen, dann aber machte der Mexikaner vor ihm richtig Dampf - er hatte von der drohenden Zeitstrafe gehört. Ein einziges Mal war Leclerc richtig dran, aber er ersparte sich die Panikattacke: "Ich habe auf eine bessere Gelegenheit gewartet. Leider kam die nicht." Das könnte schon so etwas wie sein Saisonfazit sein, und das für seinen drittplatzierten Teamkollegen Carlos Sainz Junior gleich mit.

Lewis Hamilton

Die Sache mit dem verbotenen Nasenstecker beiseite gelassen, das ist Kinderkram für übereifrige Funktionäre. Das Ding mit der Fahrzeugnase ist viel interessanter, denn es ist selten, dass ein Mercedes so in den Barrieren steckt. Einer von zwei Fehlern des Rekordweltmeisters im Sauna-Grand-Prix, eine ungewöhnliche Quote für ihn. Die samstägliche Leistung, als er nur knapp an der Pole-Position vorbeigeschrammt war, und der neunte Platz in einem verkorksten Rennen, das wollte auch für ihn selbst nicht so richtig zusammenpassen. Wenn einer wie er Sätze mit "eigentlich" beginnt, dann braucht man nicht weiter zuhören, denn eigentlich darf das beim Anspruch des Champions und seines Teams nicht sein. Regen und Bodenwellen, multipliziert mit den grundsätzlichen Hüpfbewegungen des Autos, das war eine fatale Kombination. "Zu sagen, dass dieses Wochenende ein Auf und Ab war, wäre eine Untertreibung", sagt Hamilton. Er hätte das auch in einem Wort sagen können, aber das müsste an dieser Stelle überpiept werden.

Mick Schumacher

Als einziger aller Singapur-Rookies durchgekommen zu sein, das wäre ein Sternchen hinter dem 13. Platz von Mick Schumacher. Aber die Formel 1 funktioniert leider auch bei den netten Jungs nicht wie das Buch vom Nikolaus. Dreizehnter, das heißt auch Vorletzter im Ziel. Hinter ihm nur George Russell im Silberpfeil, mit dem er kollidiert war und sich einen Plattfuß eingefahren hatte. Es ist der Schumi-Fluch des Rennjahres: Oft, wenn er auf einem guten Kurs liegt, geht irgendwas schief. Besonders ärgerlich ist das gerade jetzt, da er um ein Cockpit bei seinem derzeitigen Arbeitgeber oder bei Williams kämpft, also um sein Überleben in der Königsklasse. Platz sechs wäre drin gewesen, glaubt der 23-Jährige: "Die Chance war da. Unserem Auto liegt das Nasse." Teamchef Günther Steiner stimmt zu: "Wir haben gezeigt, was möglich gewesen wäre." Das Rennen gegen den Konjunktiv geht weiter.

Fernando Alonso

Ein Bild, wie es gern auf Familienzusammenkünften gemacht wird, alle gruppieren sich um den Ältesten. So taten es auch 19 Formel-1-Fahrer vor dem Start des Großen Preises von Singapur, als sie den Renn-Urahn Fernando Alonso in die Mitte nahmen. Das Schild vor dem Spanier beendete dann auch die heftigen Debatten, wie viele Rennen der 41-Jährige nun bestritten hat in seinen zwei Jahrzehnten Königsklasse. Da es ausgerechnet in diesem zahlenhörigen Sport kein offizielles Statistikbuch gibt, wurde über die Zahlen 350 und 351 gestritten. Je nachdem, ob Pannen am Start mitzählen oder nicht. Aber das Schild wies hinten eindeutig eine Null aus, damit wäre das geklärt. Seinen Jubiläums-Grand-Prix konnte der Marathonmann der Formel 1 dann weitestgehend hinter dem Fangzaun, neben einem Streckenposten kauernd, verfolgen. Vom aussichtsreichen Platz fünf gestartet, versagte ihm der Renault-Motor nach einem Drittel der Distanz so abrupt den Dienst, als habe jemand eine Kerze ausgeblasen.

Alexander Albon

Es gehört schon etwas dazu, drei Wochen nach einer Blinddarmoperation und einem Atemstillstand wieder in einem Rennwagen zu sitzen, und das beim härtesten Rennen des Jahres, bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit und 50 Grad Hitze im Cockpit. Drei Kilogramm verlieren die Formel-1-Piloten während der zwei Rennstunden an Flüssigkeit. Der britisch-thailändische Pilot im Williams hatte zuvor schon anderthalb Kilo weniger auf die Waage gebracht als gewöhnlich, auch Muskelmasse verloren. "Aber ich habe nie geplant, hier nicht zu fahren", sagte er. Startplatz 18 war ein erster Rückschlag, der Dreher in der ersten Runde und ein Mauerkuss kurz vor der Rennhälfte beendeten seine rasende Reha vorzeitig. Der 26-Jährige war ehrlich mit sich selbst: "Da war kein Problem am Auto. Es war einfach ein Fahrfehler."

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