Max Verstappen in der Formel 1:„Dann bist du nur noch ein Roboter“

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Max Verstappen hat derzeit eine Menge Probleme in der Formel 1 - geht ihm sogar der WM-Titel verloren? (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Weltmeister Max Verstappen kennt seine Ausnahmestellung und will sich von Mohammed Ben Sulayem, Chef des Automobilweltverbands Fia, nicht entmündigen lassen. Angeblich nähme er auch einen Rücktritt in Kauf.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Nein, dagegen kann der oberste Sprachpolizist der Formel 1, Mohammed Ben Sulayem, der Präsident des Automobilweltverbands (Fia) nun wirklich nichts einwenden. Lando Norris, Max Verstappen und Oscar Piastri sitzen im Cool-down-Room, der seinen Namen in Singapur zu Recht trägt, und vertreiben sich die Zeit bis zur Siegerehrung mit Videogucken. Auf dem Bildschirm laufen die Szenen, in denen Norris seinen überlegenen dritten Grand-Prix-Sieg fast noch durch Flüchtigkeitsfehler verloren hätte. Verstappen fiebert mit seinem Kumpel mit.

Es ist ein Kanon von „Aaahs“ und „Ohhs“. Dem Briten ist es ein bisschen peinlich, aber keiner benutzt jenen englischen Kraftausdruck, der ansonsten zum festen Repertoire gehört und häufig mehr Erschrockenheit als eine Beleidigung ausdrückt. So, wie sie nun tatsächlich für einen Augenblick war, soll sie sein, die heile Formel 1: von angemessener Sprachwahl beim Kampf am Limit geprägt, sportlich spannend und von echten Typen ausgeübt. Wer das grundsätzlich will, der muss allerdings die KI bemühen und sich ein paar Deep-Fake-Rennfahrer konstruieren. 

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Der Titelkampf, in dem Norris als der härteste Rivale gerade wieder sieben Punkte abgeknabbert hat und in dem der Vorsprung sechs Rennen vor Saisonende auf 52 Zähler geschrumpft ist, ist anstrengend genug. Max Verstappen aber stürzte sich nach seinem zweiten Platz beim Großen Preis von Singapur jetzt auch noch in einen Macht- und Freiheitskampf. Sein Gegner ist – nach einem Maulkorberlass – der Automobilweltverband. Wie ernst es Verstappen tatsächlich ist, zeigt eine verklausulierte Rücktrittsandrohung. Die Formel 1 kann diese Kontroverse gut gebrauchen, sie lebt schon immer von solchen Auseinandersetzungen.

Das Vergehen: Beschädigung der Werte der Fia. Die Strafe: Verstappen soll Sozialdienst leisten

In den offiziellen Medienrunden nach dem 18. WM-Lauf war von Max Verstappen weder am Samstag noch am Sonntag viel zu erfahren. Er antwortete nur, weil er antworten musste – blieb aber einsilbig. Es war ein fast stummer Protest gegen den Umstand, dass er vor dem Grand Prix das erste Opfer einer neuen Kampagne von Fia-Präsident Mohammed Ben Sulayem geworden war. Der Emirati stört sich an der Wortwahl der Rennfahrer, das gelegentliche Fluchen im Boxenfunk, er vermisst die Vorbildfunktion. In einem britischen Fachportal hatte er Sprachpolizist gespielt: „Rapper benutzen das F-Wort mehrmals in der Minute. Aber wir sind keine Rapper.“

Verstappen war danach in der Analyse seines schwächelnden Red-Bull-Rennwagens eben jenes englische F-Wort herausgerutscht. Eine Belanglosigkeit. Die Rennkommissare jedoch bemühten für den Gebrauch des Kraftausdrucks den Paragrafen 12.2.1k des Sportgesetzes: Beschädigung der Werte der Fia und des Ansehens des Motorsports.

Da es sich um eine offizielle Interviewrunde gehandelt hatte, bekam Verstappen zur Strafe bislang nicht näher definierte Sozialstunden aufgebrummt. Das empörte nicht nur ihn, sondern die gesamte Fahrergemeinschaft. Der siebenmalige Weltmeister Lewis Hamilton nannte den Vorfall einen „Witz“ und empfahl Verstappen, die Stunden nicht abzuleisten: „Ich würde es gewiss nicht tun.“

Herr der Autos oder Herr des Worts? Mohammed Ben Sulayem, Präsident des Welt-Automobilverbandes Fia, tritt als Sprachzensor auf. (Foto: Erwin Scheriau/dpa)

Zum wiederholten Mal versucht Ben Sulayem derzeit, sich Respekt in der Formel 1 zu verschaffen. Bisher ging das meist nach hinten los. Auch diesmal klingt das Ganze nach einer Farce, weil die Funksprüche häufig informativ, vor allem aber unterhaltend sind. Und wenn Zensur, dann müssten zuallererst die Fernsehanstalten in die Pflicht genommen werden. Da die Funksprüche zeitversetzt ausgestrahlt werden, sind die mutmaßlich anstößigen Wörter aber ohnehin überpiept. Kinder können an jeder deutschen Straßenkreuzung ungeschützt mehr Flüche aufschnappen.

„Was sind wir, Fünf- oder Sechsjährige?

Verstappen appellierte daher gleich an den Moderator: „Was sind wir, Fünf- oder Sechsjährige? Auch in anderen Sportarten wird geflucht, wenn die Menschen unter Adrenalin stehen. Nur wird es da erst gar nicht übertragen.“ Zuletzt in Baku hatte er bereits das Richtmikrofon eines Netflix-Teams zur Seite gedreht, das eine locker zusammenstehende Rennfahrerrunde belauschen wollte. Die Doku-Serie „Drive to survive“ lebt von solchen Mitschnitten. Erneut balanciert die Formel 1 auf dem schmalen Grat zwischen Sport und Show, wie schon 2021 beim skandalisierten Finale, als die Diskussionen mit dem Rennleiter live übertragen wurden und sich so gehöriger Druck aufbaute. Nach dem Fehlurteil damals dachte Lewis Hamilton wochenlang über einen Rücktritt nach.

An diesem Punkt scheint Verstappen jetzt auch angelangt zu sein. Seine Wut ist nicht nur den Anstrengungen in der Nacht und den damit verbundenen Emotionen geschuldet. Er fühlt sich ungerecht behandelt und sucht deshalb bewusst die Machtprobe.

Außerhalb des Fia-Hoheitsbereiches, im Fahrerlager unter dem Riesenrad, verknüpfte der 26-Jährige sein persönliches Schicksal mit den Eingriffen in die Redefreiheit: „Ich befinde mich jetzt in einer Phase meiner Karriere, in der man sich nicht ständig mit albernen Dingen herumschlagen will. Das ist wirklich anstrengend. Und für mich ist das keine Art, den Sport weiter auszuüben. Soviel ist sicher.“

Der Red-Bull-Pilot, der zum vierten Mal in Serie Weltmeister werden kann, hat schon früher betont, nicht ewig weiterfahren zu wollen, nur um Rekorde zu brechen – Vertrag bis Ende 2028 hin oder her. Die Ereignisse von Singapur haben offenbar zu tiefer Nachdenklichkeit geführt: „Wenn es genug ist, ist es genug. Die Formel 1 wird auch ohne mich weitergehen, damit habe ich kein Problem.“ Das klingt bedrohlich. Es ist aber vor allem ein gezielter Hinweis an die Funktionäre und auch an das Formel-1-Management, den Fahrern ihre Freiheit zu lassen.

Das Jahrhunderttalent Verstappen kennt seine Ausnahmestellung und will sie in diesem Fall nutzen. Nicht nur für die Redefreiheit, sondern auch zum Schutz des eigenen Charakters: „Wenn Du nicht mehr sagen kannst, was Du willst, dann ist es besser, den Mund zu halten. Aber dann bist du nur noch ein Roboter. Emotionen zeigen gehört einfach zum Rennfahren dazu.“ Auch in Zukunft.

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