Fernando Alonso in der Formel 1:Einsame Spitze in Singapur

Fernando Alonso in der Formel 1: Kürzlich in Monza: Fernando Alonso lässt sich bei der Fahrerparade über die Strecke kutschieren und hat sichtlich Spaß dabei.

Kürzlich in Monza: Fernando Alonso lässt sich bei der Fahrerparade über die Strecke kutschieren und hat sichtlich Spaß dabei.

(Foto: Dan Mullan/Getty Images)

Die Fans lieben und verehren ihn - und er selbst genießt seinen Beruf auch nach 21 Jahren noch: Pilot Fernando Alonso feiert seinen 351. Start in der Königsklasse. Über einen besonderen Rekord, bei dem es nicht bleiben soll.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Um die Jahrtausendwende, die Formel 1 war noch fest in deutscher Fahrerhand, bekam die motorsportliche Boomtown Kerpen eine Dauerausstellung namens "Die Welt der Schumachers". Doch wehe, ein Berichterstatter wagte von einem Museum zu schreiben, die Schumis waren schließlich noch aktiv. Fernando Alonso, der 2001 in einem Minardi debütierte, hat mit der eigenen epochalen Einordnung deutlich weniger Probleme. In der Nähe seiner Heimatstadt Oviedo hat er längst das Museo y Circuito Fernando Alonso eröffnet - und die Vitrinen dort bekommen laufend Nachschub.

Gerade erst hat der Spanier, inzwischen 41, nochmal das Team gewechselt und einen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben. Und der Große Preis von Singapur am Sonntag markiert einen Höhepunkt in Alonsos Karriere: Es ist sein 351. Start in der Königsklasse, damit ist er der alleinige Marathonmann.

Niemand ist dann mehr Rennen gefahren als er, und so schnell wird ihn auch keiner einholen. Von den aktiven Piloten liegt lediglich Lewis Hamilton jenseits der 300er Marke. Max Verstappen, 25, der am Sonntag schon vorzeitig Weltmeister werden könnte, will vielleicht schon im Alter von 30 Jahren Schluss machen, um noch mehr vom Leben zu haben. Alonso dagegen hat seine halbe Lebenszeit dafür gebraucht, endlich eine der bedeutenden Rekordkategorien der Formel 1 anzuführen, doch sein Ehrgeiz versiegt damit keineswegs. Er selbst sieht die Bestmarke eher als Zwischenstation an: "Ich werde mit Sicherheit 400 Rennen erreichen. Damit zeige ich meine Leidenschaft für den Sport und meine Disziplin, auf hohem Niveau zu fahren."

"Meine Instinkte sind intakt wie eh und je", sagt Alonso über sich selbst, auch mit 41 Jahren

Kimi Räikkönen, dem bisherigen Spitzenmann, der im Dezember 2021 mit 42 aufgehört hat und damit bei 350 Einsätzen stehen geblieben ist, waren diese Tabellen herzlich egal. Fernando Alonso tut auch relativ uninteressiert, aber richtig glaubhaft ist das nicht. Er hadert immer noch damit, dass er es bei seinem Talent auf nicht mehr als zwei WM-Titel gebracht hat, die hat er aber immerhin 2005 und 2006 gegen Michael Schumacher gewonnen. Anschließend saß er zu häufig zur falschen Zeit im falschen Auto, auch der Eigensinn stand ihm oft im Weg.

Fernando Alonso in der Formel 1: Seht her, ich bin Weltmeister: Fernando Alonso jubelt 2005 in São Paulo.

Seht her, ich bin Weltmeister: Fernando Alonso jubelt 2005 in São Paulo.

(Foto: Gero Breloer/dpa)

In der Ego-Wertung war Alonso schon immer einsame Spitze. Sein Selbstbewusstsein ist selbst seit neun sieglosen Jahren immer noch riesig und braucht dementsprechend auch deutlich mehr Pflege. Als ihm der ehemalige britische Rennfahrer Johnny Herbert 2016 vor den Sky-Mikrofonen bereits den Rücktritt nahegelegt hatte, schneite Alonso wenig später in eine Live-Sendung hinein und belehrte den Durchschnittspiloten: "Du weißt doch gar nicht, was es heißt, ein Champion zu sein."

Bei Aston Martin, wo er als Nachfolger von Sebastian Vettel die Mittelfeldtruppe in naher Zukunft nach oben treiben soll, sind sie gewarnt. Sportdirektor Mike Krack sagt zu der spektakulären Transaktion von Anfang August: "Fernando hat diese einzigartige Kombination aus Schnelligkeit, Hunger, Motivation und Erfahrung. Es wird vielleicht schwieriger als jetzt, wenn das Auto, das wir liefern, nicht gut genug ist. Aber wir haben die Vor- und Nachteile diskutiert, sein Speed ist das Entscheidende." Der ehemalige BMW-Mann staunt vor allem über das ungeheure Verlangen, das der Routinier immer noch mitbringt.

Das Kompliment kommt Alonsos Selbsteinschätzung nahe. "Meine Instinkte sind intakt wie eh und je", sagt er, das war auch bei der Transferaktion gut zu erkennen. Nachdem Vettel donnerstags vor dem Rennen in Budapest seinen Rücktritt angekündigt hatte, verhandelte Alonso über Nacht mit Aston-Martin-Boss Lawrence Stroll und verkündete montags seinen Wechsel. Ausgestattet mit dem, was ihm sein bisheriger Arbeitgeber Alpine verweigert hatte: einer kräftigen Gehaltserhöhung und einem Vertrag über mehrere Jahre.

Die Fans lieben Alonso insbesondere für sein radikales Zweikampfverhalten

Dass er in Singapur seinen Rekord zelebrieren kann, ist eine weitere Pointe in seiner Karriere. 2008 bei der Premiere des Nachtrennens hatten die Renault-Strategen Alonso früh zu einem Boxenstopp hereingeholt und später den Teamkollegen Nelson Piquet junior angewiesen, absichtlich in die Mauer zu fahren. Mit vollem Tank und frischen Reifen hatte Alonso nach der Safety-Car-Phase leichtes Spiel. Es war der umstrittenste seiner 32 Siege, aber im Gegensatz zu seinem Mentor Flavio Briatore gilt der Fahrer bis heute als unschuldig. Anders als während der Dauerfehde im Jahr zuvor bei McLaren-Mercedes, da bekam der Rookie Lewis Hamilton Alonsos Meinung nach zu viel britische Nestwärme, deshalb wurde es schmutzig: Blockaden in der Boxengasse, Spionagevorwürfe, Bestechungsversuche bei Mechanikern. In dem Chaos verpassten beide Fahrer den möglichen Titel, das Team musste zudem eine 100-Millionen-Strafe für den von Alonso aufgedeckten Skandal bezahlen.

All die Kontroversen, all die Kontraste seiner Persönlichkeit tragen zu der besonderen Aura bei, die Fernando Alonso umgibt. Mit dem Alpine-Renault müht er sich im Mittelfeld, kämpft um jedes WM-Pünktchen aber so, als würde es um den dritten Titel gehen. Mit jedem Angriff oder Verteidigungsmanöver scheint er zeigen zu wollen: Seht her, ich kann's noch immer. Die Fans lieben ihn für das radikale Zweikampfverhalten, für sein ungeheures Fahrgefühl. Verehrt wird er aber auch für seine Funksprüche, die mal komisch, oft grimmig, aber meistens unverschämt sind. Erst kürzlich in Spa hat er nach einem Crash mit Lewis Hamilton den Briten als "Idioten" beschimpft, der nur schnell fahren könne, wenn er im besten Auto sitze und die Rennen anführe.

Psychospielchen, die gut fürs Image sind. Aber nur Kondition und Können werden darüber bestimmen, ob und wie Fernando Alonso die anvisierten 400 Rennen erreicht. So lange er dabei schnell genug bleibt, stellt sich auch die Frage nach dem Generationenkonflikt nicht. Seine Absichtserklärung hat der derzeitige WM-Neunte bereits bekräftigt: "Ich möchte Rennen fahren, nicht einfach nur Runden."

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