Sieben Kurven der Formel 1:Vettel sieht eine Lücke, wo keine ist

Unfallopfer Max Verstappen erlebt Bullenreiten auf hessischen Art, der Ferrari-Pilot ruiniert sich das eigene Rennen. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

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Lewis Hamilton

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Quelle: AP

Dreimal saß der Titelverteidiger in Silverstone auf dem Podium, dreimal musste er sich vor allem dazu äußern, dass er über die Formel-1-Gemeinde hinaus angeblich wenig Rückhalt in der britischen Bevölkerung habe. Beim ersten Mal konterte er die rassistische Konnotation noch mit dem Vorschlag, er könne sich ja einen Bart und Augenbrauen wie Volksheld Nigel Mansell ankleben. Beim zweiten Mal, als er sich kurz nach dem Qualifying für seine steuerliche Residenz in Monte Carlo rechtfertigen sollte, sprang ihm Kollege Valtteri Bottas bei: "Wir alle wohnen in Monaco!" Hamilton sah sich genötigt, einmal mehr zu sagen: "Mein Herz schlägt hier, ich bin ultimativ britisch. Aber jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung."

Beim dritten Mal, als er dann schon Rekordsieger des Großen Preises von Großbritannien war, den Union Jack aus dem Cockpit flattern ließ und die Flagge als Umhang auf dem Podest trug, blieb er immer noch geduldig, sprach vom "größten Moment im Leben eines Athleten, zuhause zu gewinnen" und hielt mit Tränen in den Augen eine weitere flammende Rede auf das positive Denken: "Ich weiß, dass heute meine Lehrer zusehen, und bis an meine letzten Tage will ich ihnen beweisen, dass sie falsch lagen. Ich werde immer an meine eigenen Fähigkeiten glauben." Die haben ihm gerade Grand-Prix-Sieg Nummer 80 beschert.

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Sebastian Vettel

Formula One F1- British Grand Prix

Quelle: REUTERS

100 Punkte Rückstand auf Lewis Hamilton, das ist die Last, die der Ferrari-Pilot mit zum Heimspiel nach Hockenheim nimmt - wo vor einem Jahr seine Misere mit seinem im Regen verschenkten Sieg begonnen hatte. Es ist nicht der Fehler in der 38. Runde allein, mit dem er Max Verstappen im Kampf um Platz drei abräumte, der ihm Sorgen macht. Vettel hat sich einfach beim Spurwechsel und beim Bremsen verschätzt: "Geht auf meine Kappe. Ich sah eine Lücke, wo dann keine mehr war." Dafür hat er sich nach dem Rennen sofort beim Unfallopfer entschuldigt. Seine beiden Strafpunkte und die Zehn-Sekunden-Zeitstrafe spielten keine Rolle, das eigene Rennen hatte er sich eh ruiniert.

Generell kommt der Heppenheimer immer noch nicht richtig mit seinem roten Dienstwagen zurecht, der nicht zu seinem Fahrstil passt. Vor allem die nervöse Hinterachse wirkt sich die Leistung des Fahrers aus. Gebeten, seine bisherige Saison in einem Wort zu beschreiben, lässt er sich das Wort "Sch....." nicht in den Mund legen. Er grinst nur und sagt: "Schwierig."

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Frank Williams

F1 Grand Prix of Great Britain - Practice

Quelle: Getty Images

Ein halbes Jahrhundert ist Frank Williams jetzt Teamchef seines Formel-1-Rennstalls, auch wenn der Mann, den sie den "Rollstuhl-General" nennen, das Tagesgeschäft an Tochter Claire übergeben hat. Doch zum Jubiläum ist er noch einmal nach Silverstone gekommen, jene Rennstrecke, auf der er vor 40 Jahren seinen ersten Sieg feiern konnte. Er erinnert sich an die Anfänge in einer alten Teppichfabrik, an seinen tragischen Autounfall 1986, an 16 WM-Titel. Der 77-Jährige zieht eine versöhnliche Bilanz einer schicksalsträchtigen Karriere übr 824 Rennen: "Ich habe meine Frau verloren, ich habe meine Fahrer sterben sehen. Aber die Formel 1 ist trotzdem sehr gut zu mir gewesen."

Den größten Spaß des Wochenendes bescherten ihm weniger seine am Ende des Feldes klebenden Piloten George Russell und Robert Kubica, sondern der Motoren-Partner: Lewis Hamilton chauffierte den Sir auf ein paar schnelle Runden mit einem Mercedes-Cabrio um den Kurs von Silverstone. Williams wirkte dabei begeistert wie ein Siebzehnjähriger.

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Max Verstappen

F1 Grand Prix of Great Britain

Quelle: Getty Images

Das Duell zweier Jahrtausendtalente hatte er schon für sich entschieden, nicht zuletzt durch ein haariges Rad-an-Rad-Duell in der Boxengasse - das nur fortsetzte, was auf der Piste vorher getobt hatte. Knallhart, aber auch extrem fair. Der Niederländer ist zusammen mit Charles Leclerc derjenigen, der das größte Fahrvermögen und die höchste Aggressivität hat, das Renn-Establishment zu erschüttern. Auch an Ferraris bisheriger Nummer eins Sebastian Vettel konnte er vorbei ziehen, obwohl der Red-Bull-Honda immer noch einen PS-Nachteil gegenüber dem roten Auto hat. Als er sich nach dem Manöver schon in Sicherheit wähnen konnte, bekam er einen Schlag von hinten, der seinen Rennwagen abheben und ins Kiesbett kreiseln ließ: Bullenreiten auf hessische Art.

Vettel hatte sich verbremst und den Kontrahenten angeschoben. Dafür entschuldigte sich der Unfallverursacher sofort, aber Verstappen konnte mit dem angeschlagenen Wagen nur noch Fünfter werden. Auch diese Leistung bestärkt seinen Teamchef Christian Horner in der Ansicht, dass der 21-Jährige der beste Mann im Feld sei, besser noch als Hamilton. Das Lob ist auch pure Berechnung: Es geht darum, Verstappen von Wechselgelüsten zur Konkurrenz abzuhalten.

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Charles Leclerc

F1 Grand Prix of Great Britain

Quelle: Getty Images

Es ist sein viertes Podium in Serie, bis auf drei Pünktchen ist der Monegasse jetzt an Sebastian Vettel herangekommen, und daraus schöpft der 21-Jährige natürlich die Hoffnung, dass Ferrari die kategorische Nummer-Eins-Regelung zu Gunsten des Heppenheimers lockert, vielleicht sogar ganz aufgibt: "Zu Beginn der Saison hat Sebastian mehr profitiert, aber es wird immer alles zum Wohle des Teams entschieden." Es ist ein Duell der Generationen, dass das in Maranello ausgefahren wird, und Teamchef Mattia Binotto kann nicht absehen, wie es sich in der zweiten Saisonhälfte noch entwickeln wird.

Leclerc ist einer, der schnell lernt. Dass ihn Max Verstappen kurz vor Schluss in Spielberg von der Strecke gedrängt hat und mit dem Sieg belohnt worden war, hat er als Lehre begriffen. Die Konsequenz: "Das hat mir die Augen geöffnet, wie weit man gehen darf. Ich bin härter gefahren als sonst." Auch deshalb ging es diesmal umgekehrt aus. Die Briten ernannten ihn zum "Fahrer des Tages", damit konnte sich der Ferrari-Junior anfreunden: "Meine Karriere dauert noch nicht so lange, aber es ist das Rennen, bei dem ich am meisten Spaß hatte. Für die Formel 1 ist es großartig, wenn wir am Limit kämpfen können."

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Chase Carey

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Quelle: AFP

Mit Silverstone nicht zu verlängern, das wäre nach dem dramatischsten Rennen der bisherigen Formel-1-Saison ein Kardinalfehler, und viele davon können sich die Vermarkter von Liberty Media nicht mehr leisten. So kann sich der US-Amerikaner zufrieden schätzen, etwas für die Tradition und die Moderne zugleich getan zu haben. Die Rekordkulisse von 140.000 Zuschauern und der Rennverlauf tun der Königsklasse gut, und etwas mehr Geld als bisher nimmt der Unterhaltungskonzern aus Mittelengland auch mit.

Trotzdem könnte der 65 Jahre alte Manager bald von Bord gehen, die Anlaufverluste für die Neuausrichtung der Serie erfreuen die Investoren nicht. Der Mann mit dem imposanten Schnauzbart selbst ist mindestens so unzufrieden über den Stillstand in den Verhandlungen mit den Teams über ein für alle vernünftiges Reglement, und schon wird offen über die Nachfolge diskutiert. Favorit ist Mercedes-Teamchef Toto Wolff, 47 Jahre alt, gefolgt vom Red-Bull-Statthalter Christian Horner, 45.

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Charlie Whiting

Charlie Whiting

Quelle: dpa

Zwei Tage vor dem Saisonstart in Melbourne war Formel-1-Renndirektor Charlie Whiting nach einer Lungenembolie in seinem Hotelzimmer gestorben. Der Brite, der 66 Jahre alt geworden war, wurde vom British Racing Drivers Club noch einmal für sein Lebenswerk im Motorsport geehrt. Für die Rennfahrer sprach Sebastian Vettel, und er offenbarte dabei viel aus dem Seelenleben der Piloten. Wie man die Zeit vergesse, wenn man im Cockpit sitze: "Es fühlt sich wie Fliegen an. Für uns gibt es kein größeres Gefühl, das wir erleben können. Aber das hat seinen Preis. Das Risiko, das wir eingehen, ist es wert einzugehen, um dieses Gefühl wieder und wieder erleben zu können."

Damit fand er den Bezugspunkt zu dem Funktionär, der über die Technik wachte: "Mit keinem anderen Auto als einem Formel-1-Wagen kann man schneller fahren, um die Zeit zu jagen. Es ist auch die Königsklasse dank Dir. Du hast diese Jagd für unsere Generationen sicherer gemacht. Du warst nicht unser Schutzengel, da Engel nur gelegentlich auftauchen. Nein, Du warst unser Wächter, ein echter Racer." Racer, das ist das größte Kompliment in dieser Branche. Whitings Sohn Justin, 12, übernahm dann die Aufgabe, die sein Vater 23 Jahre lang ausgeübt hatte: Er startete das Rennen.

© SZ.de/ebc
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