Motorsport:Silverstone bildet die Ausnahme in der Formel 1

Großer Preis von Großbritannien

Lewis Hamilton jubelt in Silverstone.

(Foto: dpa)

Zutritt zur Formel 1 hat, wer zahlt. Aber den Traditionsstandort vor der Tür stehen zu lassen, das können sich die Eigner der kriselnden Rennserie nicht leisten.

Kommentar von Philipp Schneider

Wenn die Legende stimmt, dann wandte sich der Bootsliebhaber Dr. J. Dudley Benjafield nur deshalb den Automobilen zu, weil seine geliebte Motorbarkasse abgebrannt war. Große Traditionen entstehen ja oft erst, weil sich Dinge zufällig entwickeln. Und der Rennfahrer Benjafield, 1887 geboren in Londons nördlichstem Stadtteil Borough of Enfield, hatte Medizin studiert. Auf Bakteriologie war er spezialisiert, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs half er mit, die Spanische Grippe einzudämmen. Erst in den Zwanzigerjahren trat er auf die Bühne des Sports, wurde berühmt als Mitglied der Bentley Boys, einer Gruppe reicher Automobilisten, die in Bentleys antraten. Sieben Mal nahm Benjafield an den 24 Stunden von Le Mans teil, 1927 gewann er den Klassiker mit Beifahrer Sammy Davis in einem verunfallten und nur notdürftig zusammengeflickten Rennwagen. Benjafield hinterließ seine bunte Lebensgeschichte und einen exklusiven Klub, dem bis heute nur beitreten darf, wer geladen wird: den British Racing Drivers' Club (BRDC).

Wer begreifen will, warum die Formel 1 nun doch den Vertrag mit der Strecke in Silverstone bis 2024 verlängert hat, der kommt nicht am BRDC vorbei, dem der Kurs gehört. Auch der Unterhaltungskonzern Liberty Media, im dritten Jahr Rechteinhaber der Formel 1, konnte die Historie dieses Ortes nicht einfach ignorieren, an dem der erste Lauf der Formel-1-Geschichte ausgetragen wurde. Vor 69 Jahren reiste King George VI. nach Silverstone, dem "Home of British Motor Racing". Liberty verlängerte, obwohl anderswo weit mehr auf den Tisch gelegt wird für ein Gastspiel der Formel 1.

Der BRDC selbst hatte 2017 von einer Ausstiegsklausel Gebrauch gemacht und den bis 2027 geltenden Vertrag mit Ablauf dieses Jahres gekündigt. Man wollte die langfristig vereinbarte Garantiesumme nicht länger kaufmännisch verantworten. Und man fürchtete die Konkurrenz durch ein mögliches neues Rennen in der Nachbarschaft, mit dem Liberty liebäugelt: einer Sause durch die Docks in London. Silverstone sorgt sich seither nicht nur, von London abgelöst zu werden. Es fragt sich: Hat der Großraum London Potenzial, die Tribünen von zwei Rennen mit Publikum zu bestücken?

Chase Carey, der Vorstandsvorsitzende der Formel 1, die im Vorjahr einen Verlust von 68 Millionen Dollar in der Bilanz stehen hatte, betont bei solchen Anlässen gerne, wie wichtig dem börsennotierten Konzern Liberty das Bekenntnis zu Traditionsstandorten sei. Die Rückkehr nach Zandvoort 2020 hat er so begründet. Doch auch Nguyen Phú Trong, Präsident im sozialistischen Einparteiensystem Vietnams, freut sich über eine Rundfahrt durch Hanoi im kommenden Jahr. Und im Gegensatz zum stark repressiven arabischen Königreich Bahrain, in dem weiter Rennen gefahren werden, sind es die Grand Prixs in Hockenheim und Barcelona, die aus dem Rennkalender zu fallen drohen. Auszuschließen ist nicht einmal ein Gastspiel in Saudi-Arabien. Der Öl- und Folterstaat, in dem irrwitzigerweise die ach so nachhaltige Schwesterserie Formel E kreist, würde mit Freude ein Vielfaches dessen zahlen, was die Nachfahren von Benjafields Bentley Boys geben.

Die Formel 1 ist kein Zirkel der Gentlemen mehr. Zutritt hat, wer zahlt. Aber Silverstone vor der Tür stehen zu lassen, das können sie sich dann doch nicht leisten.

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