Sieben Kurven der Formel 1:"Mir wäre fast das Herz stehen geblieben"

Hamilton gewinnt dramatisch auf drei Reifen, Verstappen fehlen nur 400 Meter - und Vettel fürchtet, dass irgendetwas "faul" ist. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Die Reifen

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(Foto: REUTERS)

50 Runden lang ist der Große Preis von Großbritannien der bislang langweiligste der Saison. Dann kommt es in den letzten beiden Umläufen zum großen Knall an den Rennwagen von Valtteri Bottas, Carlos Sainz und Lewis Hamilton. Der ehemalige Flugplatzkurs von Silverstone ist ein Reifenkiller, das war schon 2013 so, da stand das Rennen vor dem Abbruch. 2017 erwischte es beide Ferrari. Es handelt sich um keine Verschwörung der Renngummis, sondern um den Zoll, den zwölf Kurven fordern, die alle schneller als 220 km/h gehen, manche davon auch jenseits von Tempo 300. Ob es in allen Fällen der Verschleiß durch hohe Beanspruchung war oder scharfkantige Karbonsplitter eine Rolle spielten, wird beim Alleinausrüster Pirelli in Mailand noch untersucht. Denn am Wochenende wird an gleicher Stelle noch mal gefahren, diesmal sogar mit einer noch weicheren Mischung. Das verstärkt das Verschleißproblem. Wer auf Nummer sicher gehen will, legt dann einen zweiten Stopp ein.

Lewis Hamilton

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(Foto: Pool via REUTERS)

Siegmaschine, in einem technischen Sport mag diese Bezeichnung erlaubt sein. Drei Rennen in Serie gewonnen, dreimal von der Pole-Position aus. Es ist das überlegene Auto von Mercedes, aber auch der überlegene Fahrer. Das zeigt das erfolgreiche Kunststück in der letzten Runde, seinen insgesamt 87. Grand-Prix-Sieg auf drei Rädern nach Hause gebracht zu haben. Ganz früh in seiner Karriere war dem Briten etwas ähnliches schon mal gelungen, damals war die hintere Radaufhängung in der letzten Runde gebrochen, wodurch das gegenüberliegende Vorderrad in der Luft hing. Aber kein Vergleich mit der Anspannung von Silverstone: "Das hier war sicher das dramatischste Ende eines Rennens, an das ich mich erinnern kann. Mir wäre fast das Herz stehen geblieben." Der Schock aber habe ihn auch irgendwie ruhig gemacht, um den Erfolg noch über die Ziellinie zu retten. Am Ende kicherte er sogar ins Helm-Mikrofon: "War doch auch ganz spannend, oder?"

Sebastian Vettel

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(Foto: 2020 Pool)

Niemandsland, das ist nun gar nicht die Region, in der sich ein viermaliger Weltmeister wohlfühlen kann. Das macht auch der geschenkte Ehrenpunkt für Platz zehn nicht besser. Wieder hat ihn sein Ferrari zum Hinterbänkler degradiert, sein Auto hat wieder alle technischen Probleme angezogen, Kollege Charles Leclerc kam wesentlich besser davon. "Das war jetzt nicht das spaßigste Rennen, aber ich habe alles versucht, was ich kann. Irgendwie passten das Auto und ich nicht zusammen", sagt der Heppenheimer einigermaßen gefasst. Aber irgendwie auch hilflos: "Ich habe alle paar Runden den Fahrstil geändert, aber trotzdem kein Vertrauen ins Auto gefunden. Ich hatte Mühe, es überhaupt auf der Strecke zu halten. Irgendwo ist grundlegend etwas faul - entweder bei mir oder im Auto." Aufgeben, das ist sein Ding nicht: "Es kann ja nicht sein, dass über Nacht alles rückwärts läuft." Ferrari aber kann seine aggressive Fahrzeugeinstellung nicht einfach so aufgeben, sonst würde der Rückstand zur Spitze noch viel größer.

Max Verstappen

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(Foto: Getty Images)

Bloß nicht dran denken, dass am Ende bloß 400 Meter zum neunten Sieg der Karriere gefehlt haben. Aber so übermütig, so überheblich will Max Verstappen gar nicht sein. Er freut sich trotzdem über den Ausgang des Rennens: "Ich habe heute einen zweiten Platz gewonnen, nicht einen Sieg verloren. Lewis hat nicht Glück, sondern Pech gehabt. Ohne seinen Schaden wäre ich ihm nie so nah gekommen. Unter normalen Umständen wäre ich Dritter geworden. Deshalb gibt es auch keinen Grund, irgendetwas zu bedauern." Natürlich sind hinterher alle schlauer. Wäre der Niederländer nicht noch einmal an die Box gekommen, um frische Pneus für die Jagd auf den Extra-Punkt für die schnellste Runde zu holen, dann hätte er problemlos auch am Weltmeister vorbeiziehen können. Oder wäre vielleicht auch von einem Problem betroffen gewesen. Spaß machen ihm solche Rennen ohne große eigene Action eh nicht, der Red-Bull-Pilot hatte die Wettfahrt längst vor dem dramatischen Finale abgehakt: "Das war ziemlich langweilig sonst. Kein Auto vor mir, keines hinter mir. Deshalb habe ich meinen Renningenieur über Funk daran erinnert, das Trinken nicht zu vergessen. Normalerweise muss er das immer bei mir machen."

Valtteri Bottas

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(Foto: dpa)

Jetzt hat er wieder diesen Druck. Diese Last. Ferrari-Pilot Charles Leclerc packt sogar noch etwas mehr davon auf die finnischen Schultern: "Niemand von uns kann Lewis Hamilton stoppen. Der einzige, der so etwas wie eine Chance besitzt, ist Valtteri ..." Wäre es beim zweiten Platz geblieben, wäre der Rückstand jetzt nicht schon auf 30 Punkte in der Fahrer-WM angewachsen. Ein Reifenschaden verbannte den zweiten Mercedes-Piloten auf Rang elf, entsprechend nüchtern bilanziert er seine Hoffnungen, die Saison offenzuhalten - wofür ihm der Dank der Zuschauer sicher sein dürfte. "Ich habe heute viele Punkte verloren. So etwas kann man sich normalerweise nicht leisten", klagte Bottas: "Die Lage ist momentan dadurch natürlich nicht ideal. Aber wenn sich die Pläne für den Kalender nicht ändern, sollte es noch mindestens zehn Rennen geben." Zehn Möglichkeiten, aber auch zehn Aufgaben an sich selbst: "Ändern kann ich es nicht, ich kann es nur weiter probieren - und dabei positiv bleiben."

Nico Hülkenberg

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(Foto: HOCH ZWEI/Pool/Motorsport Images)

Nur noch 35 Minuten bis zum Start, bis zum Formel-1-Comeback des Jahres. Nico Hülkenberg sitzt in seinem Racing Point-Mercedes. Was für eine Genugtuung, seine eigentlich schon beendete Karriere als Ersatzmann für den nach einem Heimaturlaub positiv getesteten Mexikaner Sergio Perez einspringen zu können: "Ich mag Herausforderungen, und das ist ganz sicher eine." Endlich mal in einem konkurrenzfähigen Auto sitzen, selbst von Startplatz 13 aus. Motor an und nach vorn. Doch der Motor springt nicht an. Ein Drama, bevor es überhaupt losgehen kann. Selbst aus dem Start von der Boxengasse aus wird nichts mehr. Der Grund ist ein gebrochener Bolzen im Kupplungsgehäuse. Jetzt bleibt dem 32 Jahre alten Rennfahrer aus Emmerich nur die Hoffnung, dass er am kommenden Wochenende noch mal eine Chance auf seinen 178. Grand-Prix-Einsatz bekommt, falls der Automobilverband FIA auf zehn Tage Quarantäne für Perez besteht. "Es ist natürlich bitter. Ein krasser Krimi, in dem ich mich in diesen Tagen befinde."

Toto Wolff

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(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Vier Rennen, vier Siege, in der Qualifikation eine gute Sekunde Vorsprung pro Runde auf alle anderen. Der siebte Titelgewinn in Serie in der Fahrer- und der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ist wohl nur noch Formsache. Stopp! Nicht weiterdenken, Einspruch von demjenigen, der entscheidend für diese Dominanz gesorgt hat. So gesehen hatte das Reifendrama etwas Gutes, es gibt Toto Wolff den Anlass für seine zweitliebste Rolle neben der des Siegers - jene als Mahner. "In der Vergangenheit wurden wir dafür hinterfragt, wenn wir gesagt haben, dass ein schnelles Auto nicht zwangsläufig zu einem ungefährdeten Doppelsieg führt. Dieses Rennen hat gezeigt, wie grausam der Motorsport sein kann. Deshalb werden wir auch weiterhin skeptisch bleiben." Nichts ist für den Österreicher selbstverständlich in diesem Sport, das ist sein eigentliches Erfolgsrezept. Wie zum Trotz, kaum als Ironie, durfte der Ingenieur Gilles Pironi den Pokal für das Team auf dem Podium in Empfang nehmen - er ist verantwortlich für die Zuverlässigkeit der Technik.

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