Formel 1:Selbst Alonsos Rennwagen weint

Formel 1: Nur noch ein Wrack: Selbst wenn Fernando Alonso mit seinem McLaren nicht gerade in eine Mauer fliegt, wie hier 2016 in Australien, kommt er damit nicht weit.

Nur noch ein Wrack: Selbst wenn Fernando Alonso mit seinem McLaren nicht gerade in eine Mauer fliegt, wie hier 2016 in Australien, kommt er damit nicht weit.

(Foto: Max Blyton/AFP)
  • Fernando Alonso galt einmal als der beste Formel-1-Fahrer.
  • Inzwischen wird er regelmäßig düpiert, er flüchtet sogar kurzzeitig in eine andere Rennserie.
  • Welches Team würde ihn überhaupt noch nehmen, falls er wechseln wollte?

Von Philipp Schneider, Barcelona

"Ihr habt das alle gesehen?", fragt Fernando Alonso: "Habt ihr nichts Besseres zu tun?" Er neigt den Kopf zur Seite, wartet eine Weile, ehe er selber lachen muss. Manche Sätze brauchen ja eine Weile, ehe sie ihre Wirkung entfalten. Und diese Frage barg ja in sich einen feinen Witz. War das nicht der ganze Sinn von Alonsos Ausflug in eine fremde Rennserie? Dass ihn alle verfolgen und wahrnehmen? Damit die Menschen endlich begreifen, wie frustrierend Alonsos Dasein in der Formel 1 inzwischen ist? Weil der Rennwagen nicht gut genug ist für den Rennfahrer?

In dieser Woche ist Alonso erstmals fremdgegangen. Er hat sich hinein begeben in ein Rennauto in Indianapolis, mit dem er seitdem eine Art Doppelexistenz führt neben seiner gewohnten in der Formel 1. Ende Mai wird Alonso das 500-Meilen-Rennen auf dem Motor Speedway mitfahren, und er übt schon für seinen großen Auftritt. Wenn sich seine Kollegen aus der Formel 1 beim Großen Preis von Monaco versammeln, dem eigentlichen Saisonhöhepunkt, wird Alonso nicht dabei sein.

Dort, auf dem langsamen Stadtkurs, wäre er mit seinem schwächlichen McLaren-Honda zwar ausnahmsweise halbwegs konkurrenzfähig. Doch offenkundig verspürt Alonso keine Lust, sich vor den Augen der Familie Grimaldi erniedrigen zu lassen. Er hat seinen Arbeitgeber um Freistellung für das Rennen im Fürstentum ersucht. Und Zak Brown, der neue Boss bei McLaren, hat sich nicht getraut, Alonso diesen Wunsch abzuschlagen. Er muss seinen besten Mann bei Laune halten im dichten Qualm seines rauchenden Motors.

Alonso will sich ablenken

Alonsos Ausflug ins Indycar taugt natürlich vortrefflich, um abzulenken von der unfasslichen Pannenserie, die McLaren seit 2015 hinlegt. In 13 von 40 Rennen hat der Spanier nicht die Zielflagge erblickt, in dieser Saison hat er keines der vier Rennen beendet. Vor zwei Wochen in Sotschi blieb sein Wagen auf dem Weg in die Startaufstellung stehen. Und am Freitag, im ersten freien Training bei seinem Heimrennen in Barcelona, forderte ihn der Kommandostand schon nach wenigen Kurven auf, den Motor schleunigst abzustellen. Ein Kran rückte an, hob Alonsos Wagen in die Höhe. Und hinten raus aus dem McLaren lief ein Strahl Öl und tropfte auf den Asphalt. Es sah ein bisschen so aus, als würde der Rennwagen gemeinsam mit seinem Rennfahrer weinen wollen.

Nur war Alonso nicht zum Weinen zumute. Er hat gelacht, als er auf einem Motorroller zurück ins Fahrerlager gefahren wurde, und er hat seinen Fans zugewunken, die ihn auf dem Circuit de Catalunya letztmals vor vier Jahren im Ferrari siegen sahen. Alonso hat gelacht wie ein Fahrer, der mit dieser Saison abgeschlossen hat. Auch das haben jetzt alle gesehen.

Natürlich hatte man nichts besseres zu tun, als Alonsos Fahrversuche in den USA zu verfolgen. Auf einer seiner ersten Runden im Indycar überfuhr Alonso zwei Vögel. Einen Vogel erwischte er mit dem linken Vorderreifen, den anderen mit dem rechten. Und zwar gleichzeitig. Ein Szenario, das schon unwahrscheinlich wäre, hätte er es geplant. Es gibt Bilder von der Überfahrt, die im Internet zirkulieren. Sie zeigen, wie das Gefieder über dem Reifen aufgewirbelt wird wie Kreidestaub. Im Netz schreiben jetzt manche, Alonso sei ein Vogelmörder. "Ich habe das nicht kommen sehen. Davon habe ich gar nichts gemerkt", meinte Alonso, und merkte zu seiner Verteidigung an, in Kurve drei einen anderen Vogel erspäht zu haben, dem er erfolgreich ausgewichen sei. Etwas läuft schief im Rennfahrerleben von Fernando Alonso: Erst klebt nur Pech an seinen Reifen, jetzt sind es auch noch Federn.

Offenkundig ist es so: Wenn er schon nicht Weltmeister werden kann in seinem Wagen, dann will Alonso wenigstens anderswo ein paar schöne Geschichten schreiben. Dem japanischen Hybrid-Aggregat fehlt es auch im dritten Jahr der Zusammenarbeit mit der englischen Traditionsschmiede an Power, weswegen Alonso den McLaren schon nach den ersten Testfahrten als "Bobbycar" bezeichnet hat, das so langsam sei, dass er mit ihm ungebremst in die Kurven biegen könne. Das war eine Übertreibung. Aber Alonso hat die Überzeichnung in seiner späten Schaffensphase zur Kunstform erhoben. Sie ist seine Form des Protests gegen die Ingenieure, die seinen Motor so unzulänglich zusammengeschraubt haben. Also funkt er Sarkasmus an seine Box. Seit drei Jahren.

Wer würde Alonso noch einstellen?

Als er mal beim Rennen in Kanada von seinem Renningenieur aufgefordert wurde, etwas spritsparender zu fahren, lehnte Alonso ab mit der Begründung: "Wir sehen doch jetzt schon wie Amateure aus!" In Sotschi wurde er 2015 aufgefordert, den Zweikampf mit Felipe Massa zu suchen, der 23 km/h mehr Topspeed hatte. "Ich liebe deinen Sinn für Humor", funkte Alonso zurück. Und neulich, in Bahrain, hielt er eine Rede in sein Helmmikrofon: "Wie können die mich überholen? Sie sind 300 Meter hinter mir, aber sie überholen mich auf der Geraden! Ich bin noch nie in meinem Leben mit weniger Leistung gefahren."

Jacques Villeneuve, Mario Andretti, Graham Hill, Jim Clark, Emerson Fittipaldi - mehr Formel-1-Fahrer gibt es nicht, die auch Amerikas heiliges Autorennen in Indianapolis gewonnen haben. Alonso wäre der sechste. Wenigstens das möchte er sich am Ende der Saison an den Helm kleben. Und er darf, das hat er sich vertraglich zusichern lassen, das Indycar anschließend in seinem Museum in Oviedo parken, wo er auf 99 000 Quadratmetern Fläche mehr als 300 Ausstellungsstücke stehen hat, darunter alle Rennautos, die er gefahren ist.

Seit 2001 dabei: Fernando Alonsos wechselhafte Bilanz

Mit 276 Starts ist Fernando Alonso der erfahrenste der aktuellen Formel-1-Fahrer. Kein anderer wechselte auch so oft die Teams wie der inzwischen 35-Jährige:

2001: Minardi (23. der Weltmeisterschaft)

2003: Renault (6.)

2004: Renault (4.)

2005: Renault (Weltmeister)

2006: Renault (Weltmeister)

2007: McLaren-Mercedes (3.)

2008: Renault (5.)

2009: Renault (9.)

2010: Ferrari (2.)

2011: Ferrari (4.)

2012: Ferrari (2.)

2013: Ferrari (2.)

2014: Ferrari (6.)

2015: McLaren-Honda (17.)

2016: McLaren-Honda (10.)

2017: McLaren-Honda (20.)

Letztlich ist Alonsos Gastspiel in Indianapolis ein Hilferuf. Er, der Weltmeister von 2005 und 2006, inzwischen 35, ist ja nur gefangen in einem konkurrenzlos langsamen Auto, er möchte erlöst werden und in einem statusgerechten Rennwagen mitfahren um den Titel. In Barcelona hat er öffentlich mit seinem Weggang gedroht. Wenn er bis September, Oktober bei McLaren einen Aufwärtstrend sehe, sei er glücklich, zu bleiben: "Wenn ich das nicht sehe, bin ich happy, mir Angebote anzuhören."

Ein Wechsel zu Ferrari wäre unwahrscheinlich

Die Frage ist allerdings, wer überhaupt noch happy wäre, den stolzen Querkopf einzustellen. Alonso hat sich abseits der Strecke angreifbar gemacht. Er hat Fehler begangen und sich verzockt. Als er im Spätsommer 2014 und zwei Jahre vor Vertragsende seinen Abschied von Ferrari bekanntgab, spekulierte er möglicherweise darauf, das Cockpit von Sebastian Vettel bei Red Bull zu erben. Daraus wurde nichts. Genauso wenig wie aus einem Engagement bei Mercedes. Also blieb ihm vielleicht gar nichts anderes übrig, als zu McLaren-Chef Ron Dennis zurückzukehren, mit dem er sich überworfen hatte. Dass Ferrari Alonso in der kommenden Saison noch mal aufnehmen könnte, nachdem er die Scuderia mit seinem Weggang verprellt hatte, ist unwahrscheinlich.

Am Sonntagabend, wenige Stunden nach dem Start des Großen Preis' von Spanien in Barcelona, wird Fernando Alonso in ein Privatflugzeug steigen, das ihn nach Indianapolis bringt; schon am Montag steht dort das erste freie Training an. Vorher werden die Techniker in Barcelona noch einmal versuchen, seinen McLaren flott zu kriegen. Präziser: so flott wie möglich. Mit etwas Glück wird Alonso diesmal in der Startaufstellung stehen, und mit noch etwas mehr Glück wird er sogar ein paar Runden drehen.

Man sollte den Fernseher ruhig etwas lauter drehen. Wer weiß, wie lang die Formel 1 noch so herrlich lakonisch klingt.

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