Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Miami:Vettel wechselt munter die Rollen

In Miami treibt es der viermalige Weltmeister auf die Spitze. Vom politischen Protest über eine Geste der Solidarität ist alles dabei - sogar ein Crash mit Mick Schumacher.

Von Philipp Schneider, Miami

Vor ein paar Jahren erschien ein Artikel, der schon in der Überschrift eine Reise in den Süden Floridas empfahl. "Der Zauber eines Miami-Urlaubs: Der bunte Wechsel zwischen den Welten", hieß es da. So ähnlich dürfte sich nun auch die Visite für Sebastian Vettel angefühlt haben, so munter zwischen den Welten und auch den Rollen wie er wechselt in der Formel 1 niemand. An diesem verlängerten Wochenende in Miami hat er die Variationen nun auf die Spitze getrieben. Es begann für Vettel mit einem politischen Protest, setzte sich fort mit einer Geste der Solidarität, dann erlebte er eine Bestrafung - und schließlich einen bemerkenswerten Crash mit Mick Schumacher. Einem jungen Fahrer, für den sich Vettel als Mentor verantwortlich fühlt, allein schon, weil er einst seinerseits von dessen Vater Michael eingeführt wurde in die Formel 1.

Es ging damit los, dass Vettel zur Begrüßung des amerikanischen Publikums ein T-Shirt überstreifte. "Miami 2060 - 1. Grand Prix unter Wasser" war darauf zu lesen. "Handelt jetzt oder schwimmt später." Zu sehen war außerdem die Illustration einer Schnorchelmaske unterhalb des Meeresspiegels. Auf Nachfrage erklärte Vettel, er verstehe nicht, dass das Thema des steigenden Meeresspiegels in der stark davon bedrohten Stadt Miami kaum präsent sei. Und er warnte: Selbst, wenn von heute auf morgen kein CO2 mehr emittiert werden würde, würde sich ein Effekt erst Jahre später bemerkbar machen. "Es gibt ja diesen Effekt, der nachzieht", klärte Vettel auf. "Es ist wichtig, dass man versteht, dass es wirklich ernst ist, dass viele Leute hier ihr Zuhause verlieren werden, und Südflorida in Zukunft ganz, ganz anders aussieht. Die Everglades werden verschwinden, Miami Beach wird verschwinden. Die Leute, die in Miami wohnen und arbeiten, sind die, die als Erstes betroffen sein werden."

Nun lässt sich schwerlich beklagen, Vettel bewege sich mit dieser Einschätzung außerhalb der Wissenschaft. Es lässt sich allenfalls behaupten, dass es ein schwer erträglicher Widerspruch ist, wenn ein viermaliger Formel-1-Weltmeister seit Jahren munter um die Rennstrecken knattert und CO2 emittiert, um Geld zu verdienen, und gleichzeitig die Menschen ermahnt, weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre zu verpuffen.

Man darf es allerdings auch so sehen: Hier nutzt jemand seine exponierte Stellung als weltweit von sämtlichen Benzinköpfen geschätzter Motorsportler und wendet sich an seine Jünger, um sie zur Abkehr von dem Weg zu animieren, den er selbst sehr gut kennt. Wer sollte die Amerikaner in ihren 5,4-Liter-Hubraum-Pickups denn besser erreichen als ein Rennfahrer? Es ist also das klassische Thema der Wandlung vom Saulus zum Paulus. Nur missioniert Vettel halt bereits, während er noch ein bisschen Saulus ist. Im Leben vollziehen sich die Übergänge nicht allzeit so prompt wie in der Bibel.

Vettels sehr sehenswerte Aufholjagd endet nach einem Crash mit Schumacher

Nach diesem Erlebnis ging es für Vettel damit weiter, dass er sich in einer spontanen Aktion vor dem Freien Training eine graue Boxershorts über den Rennanzug im Farbton British Racing Green stopfte. Das sah sehr albern aus. War allerdings als Protest zu verstehen gegen die Bestrafung, mit der Renndirektor Niels Wittich all jenen drohte, die entgegen der Regularien im Cockpit Schmuck oder nicht-feuerfeste Unterwäsche tragen. Und als solidarische Note zur Unterstützung von Lewis Hamilton, der in Wahrheit der einzige Fahrer ist, der so raffinierte Piercings am Körper trägt, dass er sie gar nicht abnehmen könnte, selbst wenn er wollte.

Zwei Tage später wurde Vettel noch vor dem Start von Wittich in die Boxengasse strafversetzt. Also jetzt nicht wegen seiner Kunstinstallation in Unterbuchse. Vettel durfte nicht hinter den Ampeln aus Parkbucht 13 losrollen, für die er sich qualifiziert hatte, weil bei ihm und seinem Teamkollegen Lance Stroll eine Messung der Temperaturen des Benzins in ihren Dienstwägen ergeben hatte, dass sie kühler waren als erlaubt. Die dann folgende, teilweise sehr sehenswerte Aufholjagd vom Ende des Feldes endete für Vettel in der viertletzten Runde.

Er hatte Schumacher am Ende der 53. Runde überholt und kam an neunter Stelle liegend über Start und Ziel, bog dann in die erste Kurve ein. Schumacher bremste spät und setzte sich innen neben Vettel, kam dort aber nicht auf gleiche Höhe und traf mit seinem linken Vorderrad den rechten Seitenkasten von Vettel. Für ihn war das Rennen vorbei, Schumacher besorgte sich einen neunen Frontflügel und wurde 15.

Die Kommissare kamen zu dem Ergebnis, keiner trage die Schuld, es sei ein reiner Rennunfall gewesen. Da Vettel im Moment des Crashs den Frontflügel vorne hatte und Schumacher zu zögerlich in die Kurve gerollt war, ließe sich mit guten Argumenten behaupten, Vettel habe die Kurve "gehört", wie es heißt. Vettel aber sagte: "Ich dachte, ich hätte die Kurve und war vorne, hatte nicht mit ihm gerechnet. Als ich ihn dann gesehen habe, war es zu spät. Es tut mir leid, dass wir dann beide raus sind. Wir hätten das besser regeln müssen." Und Schumacher sagte: "Wenn ich die Bilder sehe, hätte ich stärker an ihm vorbeifahren können."

Man muss dazu wissen, dass Schumacher ohne den Crash in seinem 26. Grand Prix die ersten Punkte seiner noch jungen Formel-1-Karriere geholt hätte. Bis 2060 wird er zum Glück nicht warten müssen.

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