Formel 1 in Österreich:Rausgeschossen vom Teamkollegen

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Sebastian Vettel: Kurzes Rennen in Spielberg

(Foto: HOCH ZWEI/Pool/COLOMBO IMAGES)

Ferrari erleidet in Spielberg einen Totalschaden: Charles Leclerc rammt Sebastian Vettel schon in der ersten Runde von der Strecke, keiner von beiden kommt ins Ziel. Mercedes feiert derweil einen lässigen Doppelsieg.

Von Philipp Schneider

Sechs Minuten? Tatsächlich! Sechs Minuten waren gefahren am Sonntag, da fiel ein Schatten auf das Visier von Sebastian Vettel. Wer nun dachte, so ein bisschen Abkühlung in der Hitze des Rennens würde Vettel begrüßen, der sah sich getäuscht: Den Schatten warf das Dach seiner Garage von Ferrari, in den seine Mechaniker nun den am Heck übel ramponierten SF1000 rückwärts in die Halle schoben und einparkten.

Vettel war raus. Nach der ersten Runde. Und die Pointe saß diesmal tiefer: Charles Leclerc hatte ihn rausgeworfen, sein Teamkollege, der im kommenden Jahr ohne ihn bei Ferrari beschäftigt sein wird. Ausgerechnet mit einer Reminiszenz an das gute, alte Vettel-Manöver.

Auf der Innenseite von Kurve drei, in der nicht einmal Platz für ein Ferrero Küsschen gewesen wäre, versuchte sich Leclerc an Vettel vorbei zu quetschen. Leclercs Ferrari touchierte die Randsteine, sein Heck stieg hoch, so hoch, dass sein linker Hinterreifen Vettels Heckflügel aus der Verankerung riss - dessen rechte Seite nun für eine Weile traurig über den Asphalt rumpelte.

"Ich war sehr überrascht, weil es ja gar keinen Platz gab", sagte Vettel mit der Ruhe eines Mannes, der wohl längst begriffen hat, dass er mit diesem Auto auf seiner Farewell-Tour bei der Scuderia keine relevanten Pokale mehr stemmen wird. "Ich war auf der Innenseite und habe nicht erwartet, dass es Charles probieren würde." Und es sei so: "Wir sollten solche Situationen vermeiden." Das war eine herrliche Untertreibung angesichts des Totalschadens, den Ferrari angerichtet hatte.

Leclercs Sorge in diesem Moment? "Ist mein Heck beschädigt?", erkundigte er sich im Funk. Aber ja! Das war es. Also war nach fünf Runden auch für ihn Schluss: 18 Rennwagen kreisten weiter beim großen Preis der Steiermark, am Ende gewann Lewis Hamilton mit einem Start-Ziel-Sieg. Vor seinem Teamkollegen Valtteri Bottas, der nach der erste Sause in der Steiermark ganz oben gestanden hatte. Und der sich nun fünf Runden vor Schluss Verstappen schnappte - der sich noch tapfer gegen die Degradierung auf den unbeliebtesten Platz auf dem Podium stemmte; letztlich aber chancenlos war und über zu wenig Abtrieb an der Vorderachse klagte.

Großer Preis von Österreich

Keine Zeit für den schönen Ausblick: Lewis Hamilton (links) beim Großen Preis der Steiermark.

(Foto: Leonhard Foeger/dpa)

Die Rennleitung untersuchte Leclercs Manöver, hatte aber nichts zu beanstanden. Leclerc - heutzutage läuft ja alles in Echtzeit - postete noch während des Rennens eine Entschuldigung auf Twitter: "Es tut mir leid. Aber Leidtun ist heute nicht genug. Seb hat heute keine Fehler gemacht."

Schlecht im Trockenen, schlecht im Regen

Das Wort Blamage hat in der Formel 1 nichts zu suchen, dafür haben ihre Rundfahrten zu wenig Relevanz. Aber das Gesamtpaket der Italiener an diese Wochenende kam einer gehörigen Peinlichkeit recht nahe: Schon am Samstag, nach dem zweiten Qualifying der Saison, war Teamchef Mattia Binotto so gut wie bereit, eine handsignierte Kapitulationserklärung zu Toto Wolff bei Mercedes zu mailen: In einer Zeitenjagd, während der es heftig geregnet hatte, war Vettel Zehnter geworden - mit fast 2,4 Sekunden Rückstand auf Hamilton. Leclerc wurde Elfter und wegen einer Behinderung Daniil Kwjats noch um drei Plätze nach hinten verschoben.

Letzte Woche war Ferrari schlecht im Trockenen, diesmal schlecht im Regen: Zugegeben, am Samstag regnete es Hunde, Katzen und vielleicht Kühe auf die Strecke, die ja in Spielberg nie weit entfernt sind. Aber es war nun offensichtlich, dass Ferrari in der Qualifikation nicht "wettbewerbsfähig" war, das hat Teamchef Mattia Binotto erkannt. Die Upgrades, die nun auf Anweisung von Ferrari-Chef Louis Camilleri ein Rennen früher als geplant angebracht wurden, hätten nicht funktioniert. Das sei "nicht gut genug für ein Team, das auf den Namen Ferrari hört", klagte Binotto.

Blöd nur aus seiner Sicht, dass das zu schlechte Team seit Januar 2019 auf einen hört: Mattia Binotto. Nach dem Crash sagte er allen Ernstes: "Es ist jetzt an der Zeit, die Kräfte zu vereinen. Und sehr bald Fortschritte zu machen."

Mehr Würze hinten als vorne

Wenn es regnet in der Formel 1, dann bieten sich oft Chancen für Hinterherfahrer, den Materialnachteil ein wenig wettzumachen. Wenn es ihnen gelingt, sich im Blindflug inmitten der Gischt auf einen siebten Sinn zu verlassen, den Piloten bei Regenfahrten traditionell im Gesäß zu verorten. Max Verstappen hat das versucht am Samstag in seinem Red Bull.

Aber auch er war chancenlos, im Duell mit Hamilton, in der letzten Runde. Einen enormen Vorsprung hatte der Engländer schon im vorletzten Versuch herausgefahren, Verstappen riskierte nun alles, verlor die Kontrolle, musste sich mit dem für einen zweiten Platz irrwitzigen Rückstand von 1,2 Sekunden zufriedengeben. Ohne Dreher wäre er immer noch eine Sekunde langsamer gewesen - hält die Unwucht dieses Kräfteverhältnisses nun bis zum Saisonfinale?

Hamilton parkte vor Verstappen, dahinter lauerte Carlos Sainz im McLaren - Vettels Nachfolger bei Ferrari ab der kommenden Saison. Sainz probierte einen Angriff, kam aber nicht vorbei. Wären die zwei roten Rennwagen nicht aneinandergeraten: Oh ja, es hätte eine friedliche, fast besinnliche erste Runde geben können.

Nach dem Crash rückte das Safety Car aus. Und es entwickelte sich ein Rennen, das hinter der Spitze, auf den Plätzen vier bis neun, wo sich die Racing Points mit McLarens duellierten, mehr Würze entfaltete als ganz vorne. Wo Hamilton, Verstappen und Bottas routiniert das Podium anfuhren, wie es die Startaufstellung hatte erwarten lassen. Nach 25 Runden kam als Erster aus dem Spitzentrio Verstappen zum Reifentausch. Mit 25 Sekunden Rückstand sortierte er sich hinter Bottas wieder ein. Auf frischen Reifen legte der Niederländer eine Bestzeit vor. Mercedes? Wartete ab.

Erst nach drei Runden riefen sie Hamilton an die Box. Nach dem Stopp hatte er noch einen Puffer von 16 Sekunden auf Verstappen. Nach 34 Runden riefen sie Bottas zur Reifenpflege. Das genügte Verstappen, um sich nach der Pause weiter ins Sandwich zu fügen. Ehe er sich fünf Runden vor Schluss Bottas nicht länger erwehren konnte. Anders als Verstappens Teamkollege Alex Albon, der bis zum Schluss die Racing Points und McLarens abschütteln musste wie Fliegen. Kundenteams von Mercedes und Renault - die in diese Saison beeindruckender und mit mehr Punkten gestartet sind als die Ferraris.

Gegen die Racing Points, die bei der Konkurrenz als pink angemalte Silberpfeile des Vorjahres gehandelt werden, hat Renault am späten Abend Protest eingelegt. Die Franzosen wollen wissen, ob es sich um eine illegale Mercedes-Kopie handelt. Die Rennkommissare ließen nach Anhörung von Vertretern beider Parteien den Protest offiziell zu - und beschlagnahmten Teile der Wagen von Sergio Perez und Lance Stroll.

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