Formel 1:Sebastian Vettel im Gummibärchenauto

F1 Grand Prix of USA - Qualifying

In Austin wird das Ferrari-Team einmal mehr von technischen Sorgen geplagt.

(Foto: AFP)
  • Lewis Hamilton könnte in Austin vorzeitig Formel-1-Weltmeister werden - wenn er das Rennen gewinnt und Verfolger Sebastian Vettel maximal Sechster wird.
  • Vettel gibt zwar noch nicht auf und startet hinter dem Briten auf Rang zwei - doch bei Ferrari dominieren Probleme.

Von Elmar Brümmer, Austin

Für die Show vor dem Rennen soll Box-Ansager Michael Buffer sorgen. "Let's get ready to rumble", wird er rufen. Und der Favorit wird mit dem Ego seines Vorbildes Muhammad Ali auf die 56 Runden gehen. Es ist mal wieder soweit: An diesem Sonntagabend (21 Uhr MESZ) kann Mercedes-Pilot Lewis Hamilton beim Großen Preis der USA wie 2015 schon vorzeitig zum Weltmeister gekürt werden.

In der Qualifikation fuhr der Brite erneut in seiner eigenen Liga. Mit einem Vorsprung von 0,239 Sekunden auf Sebastian Vettel holte er im 17. Rennen der Saison seine elfte Pole-Position. Es ist die vierte in den letzten fünf Rennen, vier dieser fünf Läufe entschied er für sich. Und in Austin sind alle Sieger bisher aus der ersten Reihe gestartet.

"Yee-Haa" jubelte er auf gut texanisch, "ich liebe diese Strecke, vor allem in diesem Auto. Es wird ein harter Kampf." Vettel schaffte es im entscheidenden letzten Umlauf der Qualifikation mit einem Gewaltakt, Valtteri Bottas im zweiten Silberpfeil noch auf Rang drei zu verdrängen. "Am Anfang habe ich mich mit dem Rhythmus schwergetan, aber am Ende war ich glücklich", sagte Vettel, der dringend einen Sieg braucht. Die Frage ist nur: Hält das rote Auto? Denn in Austin wird das Ferrari-Team einmal mehr von technischen Sorgen geplagt.

Hamilton wird bei einem Sieg Weltmeister, wenn Vettel höchstens Sechster wird

Es stehen nur noch vier Rennen aus, maximal 100 Punkte kann ein Fahrer noch holen. Lewis Hamilton hat 59 Punkte Vorsprung auf Sebastian Vettel und wird in Austin Weltmeister, wenn er das Rennen gewinnt und Vettel höchstens Sechster wird. 16 Punkte mehr als Vettel zu holen, reichen ihm nur dann nicht, wenn er hinter seinem Teamkollegen Valtteri Bottas Zweiter werden sollte.

"Dummes Gerede, dass alles schon gelaufen ist. Für mich hat sich nichts geändert", beschwichtigt der angehende Champ, "Sebastian ist so stark wie eh und je. Ich trete mit der gleichen Mentalität an wie immer. Vielleicht hat sich die Perspektive von außen geändert - für mich aber nicht." Verhalten zu fahren, ist nicht sein Ding. Vettel sagt, dass er die letzten vier Rennen nicht nur gewinnen wolle, sondern auch könne.

Der Heppenheimer selbst scheint eine Menge Energie aus den Unkenrufen zu beziehen: "Wir brauchen jetzt all unsere Kraft, um vier ideale Rennen hinzulegen. Wenn das Tempo passt, dann können wir alles schaffen." Wie man den souveränen WM-Spitzenreiter Hamilton noch anders verunsichern könne, das interessiere ihn aber herzlich wenig: "Ich bin kein Freund von solchen Spielchen, und ich bezweifle auch, ob man so etwas beeinflussen kann. Und wenn, dann ist es nicht meine Art."

Mercedes hat in diesem Jahr noch keinen Motorschaden hinnehmen müssen. "Was uns passiert ist, kann anderen jederzeit auch passieren. Es gleicht sich alles immer wieder aus", sagt Vettel. Aber irgendwie greift die allgemeine Unruhe in seinem Umfeld auch auf den 30-Jährigen über. Am Samstagmorgen, mit einem runderneuerten Ferrari ausgerüstet, steuerte er versehentlich die Garage seines Ex-Arbeitgebers Red Bull an.

"Mir fehlte das Gefühl für mein Auto", sagt Vettel

Mit der Nachtruhe in der Ferrari-Box ist es seit ein paar Rennen ja schon nicht mehr weit her, und das hat nichts mit ausgiebigem Jetlag zu tun. Sebastian Vettel fehlte am ersten Trainingstag auf dem Circuit of the Americas eine gute halbe Sekunde auf Lewis Hamilton. Daraufhin relativierte der Heppenheimer zwar alle Fragen nach einer neuerlichen Malaise des SF 70 H, aber anschließend wurde so viel an seinem Rennwagen umgebaut, dass die Rennkommissare das Auto am Samstagmorgen nochmal komplett neu abnehmen mussten, weil sogar die Sicherheitszelle in Mitleidenschaft getauscht worden war.

Allein von dem einen Ausritt Vettels ins Kiesbett kann das kaum rühren, die ursprüngliche Version des Ferrari für Austin musste irgendwie komplett verzogen sein. "Es war etwas verwirrend", gestand der WM-Zweite ein, "ich habe gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Mir fehlte das Gefühl für mein Auto." Über Boxenfunk wählte er den drastischeren Vergleich: "Weich wie ein Gummibärchen." Ob es an einer vermeintlich neuen Achsengeometrie lag oder einer veränderten Radaufhängung, das war nicht herauszufinden. Ferrari pflegt bei jeder Panne den verbalen Catenaccio.

Die sich häufenden Unsicherheiten und ominösen technischen Aussetzer in der italienischen Autowerkstatt schüren weiter die Annahme, dass Teamchef Maurizio Arrivabene die Winterpause in seinem Amt endgültig demontiert wird.

Der Motorsport-Kritiker von La Republicca analysiert die missliche Lage der vermutlich verpassten Weltmeistertitel - Mercedes steht in Austin kurz vor dem Konstrukteurstitel - mit dem angemessenen Pathos: "Ferrari ist (oder war) das beste von Italien, ein Konzentrat aus Wissen, Expertise, Tradition und Innovation, technischer Handwerkskunst und Futurismus. Was für den freien Fall der italienischen Fußball-Nationalmannschaft gilt, gilt für Ferrari unter Sergio Marchionne: ein verlorenes Team. Wo ist nur diese einst gelobte Kraft der Gruppe?"

Sebastian Vettel, ganz Mannschaftskapitän, kann keine zusätzliche Unruhe gebrauchen, und auch die Diskussion, ob die Scuderia bei ihrer famosen technischen Aufholjagd gegenüber Mercedes ein zu hohes Risiko gegangen ist und dafür jetzt mit Unzuverlässigkeit bezahlen muss, will er nicht führen. Jedenfalls nicht, solange er sich noch im Titel-Rennen befindet: "Es ist keine Zeit für Panik. Wir haben zu viel zu tun. Das Potenzial ist bei Ferrari vorhanden, die richtigen Leute sind an Bord, es gibt genügend talentierte Menschen. Manchmal muss man nur ein bisschen nachjustieren, und es läuft mit den gleichen Leuten viel besser." Ob in Maranello nur aufgearbeitet oder richtig aufgeräumt werden muss, wird sich noch zeigen: "Wir müssen die Probleme nicht nur erkennen, sondern sie lösen."

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