Formel 1 in Saudi-Arabien:Red Bull gewinnt und nörgelt

Formel 1 in Saudi-Arabien: "Auf dem Papier schaut alles prima aus", sagt Weltmeister Max Verstappen (links) nach seinem zweiten Platz in Saudi-Arabien. "Aber es ist eben nicht alles so schön, wie es aussieht!"

"Auf dem Papier schaut alles prima aus", sagt Weltmeister Max Verstappen (links) nach seinem zweiten Platz in Saudi-Arabien. "Aber es ist eben nicht alles so schön, wie es aussieht!"

(Foto: Zak Mauger/Motorsport Images/Imago)

Trotz Doppelerfolg wird beim Weltmeisterteam geklagt. Fernando Alonso nimmt das Hin und Her um seinen dritten Platz gelassen - und Günther Steiner greift tief ins Wurstregal. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Philipp Schneider, Dschidda

Fernando Alonso

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(Foto: Zak Mauger/Motorsport Images/Imago)

Fernando Alonso hat sich nach 357 Rennen, 32 Siegen und 100 Podiumsbesuchen in der Formel 1 zum Glück eine gewisse Altersrennfahrerweisheit angeeignet. So konnte er es zunächst mit Fassung ertragen, dass ihm sein 100. Podium am Sonntag in jenem Moment wieder entrissen wurde, als er die Bühne gerade wieder verlassen hatte. "So weh tut es nicht, auch wenn es nicht Platz drei ist. Ich habe mit Pokal in der Hand und Champagner gefeiert. Jetzt habe ich drei Punkte weniger. Das ist eher eine Fia-Show gewesen, als es uns eine große Enttäuschung bringt", verkündete er tapfer.

Alonso hatte seinen Wagen in der Startaufstellung in Dschidda zu weit links in seiner Box positioniert. Das setzte eine Fünfsekundenstrafe. Als später dann das Safety-Car ausrückte, wollte er sie locker absitzen. Er wartete auch vorschriftsmäßig. Was er jedoch nicht ahnte: Einer seiner Mechaniker bei Aston Martin hatte vor lauter Vorfreude auf den anschließenden Reifenwechsel schon mal vorsorglich den Wagenheber an seinem Heck angesetzt. Wohlgemerkt angesetzt, nicht den Wagen bereits hochgebockt.

Weil die Kommissare des Automobilweltverbands Fia bei der Exekution der Strafen in etwa so kulant sind wie das deutsche Finanzamt (kein Vorwurf), erhielt Alonso ein 10-Sekunden-Knöllchen und rutschte nachträglich auf Rang vier. Erst nachdem Aston Martin von seinem sogenannten "Right of Review" Gebrauch machte und sieben Präzedenz-Fälle aus vergangenen Rennen vorlegte, bei denen Mechaniker bei Zeitstrafen auch schon das Auto berührten, es aber keine Strafe gab, änderten sie Stunden nach Rennende doch noch ihre Meinung: Das bloße Anlegen eines Wagenhebers, ermittelten sie mit ihrem Verstand, sei doch noch keine Arbeit am Auto. Und schwupps war Alonso doch Dritter!

Als sich Alonso wieder gesammelt hatte - und bevor er seinen dritten Platz zurückerhielt - schimpfte er: "Man kann nicht 35 Runden nach dem Boxenstopp eine Strafe aussprechen. Sie hatten genug Zeit." Denn wenn er von der Strafe gewusst hätte, argumentierte Alonso, hätte er versuchen können, einen Vorsprung von elf Sekunden auf Russell rauszufahren. Auch da hatte er zweifelsfrei einen Punkt.

George Russell

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(Foto: Sam Bloxham/Motorsport Images/Imago)

Der 25-jährige Mercedes-Pilot, der den dritten Platz von Alonso (vorübergehend) erbte, grinste fast die gesamte Pressekonferenz so unverschämt glücklich, als hätte er soeben einen Rennsieg eingefahren. In Anbetracht der Umstände, mit denen er an diesem Wochenende zu kämpfen hatte - also seinem unzulänglichen Mercedes - war ihm auch etwas fast ebenso Großes gelungen: Er hatte beide Ferraris hinter sich gelassen (die allerdings Pech gehabt hatten, weil sie vor dem Safety Car an die Box gerollt waren) und seinen Teamkollegen besiegt, den siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton.

Im Qualifying war er vier Zehntel schneller, im Rennen ließ er sich nicht von ihm überholen. Und bevor er aus Saudi-Arabien wieder verschwand, bewies er, was er für ein fairer Sportsmann ist. "Ich nehme mir die Trophäe, aber Fernando gebührt das Podium", sagte er. Bei den Strafen müsse in Zukunft etwas mehr "gesunder Menschenverstand" angewandt werden. Mit seinem Schiefstehen in der Startbox habe sich Alonso keinen Vorteil verschafft, weshalb eine Fünf-Sekunden-Strafe "zu viel" gewesen sei. Und die zehn Sekunden beim zweiten Vorfall seien auch "zu extrem" gewesen, argumentierte Russell. So gesehen wird er gut damit leben können, dass ihm die Kommissare Stunden später den dritten Platz wieder aus den Händen rissen. Sie hatten plötzlich dieselbe Meinung wie er.

Max Verstappen

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(Foto: Hassan Ammar/AP)

Wer in einem Rennen von Startplatz 15 auf den zweiten Rang vorstürmt, der wirft sich anschließend vor Dankbarkeit auf den Boden und küsst den Asphalt, könnte man meinen. Der vom Erfolg besessene Tennisprofi Novak Djokovic pflegt jedenfalls nach großen Siegen in Wimbledon den dortigen Rasen zu essen. Der mindestens ebenso ehrgeizige Rennfahrer Max Verstappen ist da psychologisch anders zusammengesetzt. "Auf dem Papier schaut alles prima aus", nörgelte er nach seiner beeindruckenden Fahrt. "Wir haben in Bahrain gewonnen, wir haben hier gewonnen. Aber es ist eben nicht alles so schön, wie es aussieht!"

Damit meinte er offenbar nicht den Umstand, dass sein Teamkollege Sergio Perez nun genau wie er ein Rennen gewonnen hat, sondern vielmehr die technischen Probleme, die ihm zunehmend Sorgen bereiten. Schon in Bahrain habe es Ärger mit der Schaltung gegeben, in Dschidda ging ihm im Qualifying die Antriebswelle kaputt. Deshalb ja Startplatz 15. "Und im Rennen hatte ich üble Vibrationen. Es gibt für mich keinen Zweifel - wir haben Arbeit."

Helmut Marko, der Motorsportberater von Red Bull, konnte die von Verstappen beschriebenen Vibrationen zwar noch nicht bestätigen, versprach aber, das Team werde sämtlichen Hinweisen sorgfältig nachgehen. "Wir müssen checken, wo die Vibrationen wirklich herkamen. Wenn wir dennoch die schnellste Runde fahren können, war es vielleicht nicht akut", meinte er. Die schnellste Runde hatte Verstappen sich geholt.

Angela Cullen

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(Foto: HochZwei/Imago)

Nach all den Erfolgen noch mal den Arbeitgeber wechseln zu wollen, das ist das, was dem Mercedes-Piloten Lewis Hamilton in schöner Regelmäßigkeit vom britischen Boulevard angedichtet wird, wenn es sportlich nicht bei ihm läuft. Diesen Schritt muss nun Angela Cullen wagen, Hamiltons persönliche..., ja, was eigentlich genau?

Cullen war für ihn Physiotherapeutin, Lebensberaterin, Bodyguard, Freundin und ein steter Quell der guten Laune. Nach dem verlorenen WM-Titelkampf 2016 gegen Nico Rosberg waren nicht nur seine Wirbel angeschlagen, auch Hamiltons Psyche hatte einen Knacks bekommen. Der heute 38-Jährige verabschiedete sich vom klassischen Modell des Personal Trainer und verpflichtete die elf Jahre ältere Neuseeländerin. Viermal hintereinander wurde der Brite seither Champion, er hat alle wichtigen Formel-1-Rekorde gebrochen.

Der Mann, der ganz früher nur mit Models zu sehen war, war plötzlich auch zwischen den Rennen häufig mit der Trainerin zusammen: "Sie ist etwas vom Besten, was mir je passiert ist. Ein sehr besonderer Mensch." Im öffentlich zelebrierten Leben des Lewis Hamilton war Cullen eine der geheimnisvollsten Komponenten. Geheimnisvoll bleibt auch die Trennung, denn Teamchef Toto Wolff orakelte: "Wenn Dinge nicht mehr funktionieren, muss man ehrlich sein und etwas verändern." Sie sei ein Maskottchen des ganzen Teams gewesen - und "die einzige Person, die eine lautere Stimme hat als ein startendes Formel-1-Auto!"

Weil dies ein bisschen zu sehr nach Zerwürfnis klang, erklärte Hamilton: "Zwischen mir und Angie ist alles gut. Sie geht jetzt in eine andere Phase ihres Lebens über. Wir stehen uns immer noch sehr nahe und schreiben uns jeden Tag SMS." Wie es heißt, will sich Cullen nach den Reisestrapazen der vergangenen Jahre ihrer Familie widmen, sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Es ist ja nicht so, als wechsle sie zu Ferrari.

Sergio Perez

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(Foto: Bratic/Nordphoto/Imago)

Sergio Perez hat nun fünf Rennsiege gesammelt in seiner Karriere. Und spätestens seit jenem von Sonntag zeichnet sich eine Vorliebe ab. Nach Bahrain 2020 siegte er ausschließlich auf Straßenkursen: in Baku 2021, Monte Carlo und Singapur 2022 - und nun also in Dschidda. Schon im Vorjahr startete er in Saudi-Arabien von der Pole Position, wurde dann aber zum Opfer eines Safety Cars. "Ich ging mit dem Gedanken ins Wochenende, dass mir dieser Ort noch etwas schuldet, und das habe ich mir heute geholt", sagte er.

Nur über eine Kleinigkeit ärgerte er sich nach seinem Sieg. Wohlwissend, dass sie sich noch zu etwas Größerem auswachsen könnte. Sein Teamkollege Verstappen hatte ihm in seinem letzten Versuch noch die schnellste Rennrunde weggeschnappt, für die es einen Extrapunkt gibt. Nach zwei Doppelsiegen von Red Bull reist Verstappen nur dank dieses Pünktchens als WM-Führender zum Happy-Brumm, dem Formel-1-Pendant zum Happy-Slam der Tennisprofis, nach Australien. Er habe sein Team "zwei Runden vor Schluss gefragt und sie haben mir gesagt, dass ich ein bestimmtes Tempo fahren soll. Sie meinten, dass ich die schnellste Runde gefahren bin und meine Pace halten soll", klagte Perez. "Ich dachte, dass Max die gleichen Informationen hatte. Darüber müssen wir reden." Helmut Marko sagt: "Das konnten wir nicht kontrollieren. Das ist Max."

Günther Steiner

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(Foto: Ben Stansall/AFP)

Dem Teamchef von Haas fällt es derzeit sehr schwer, etwas Positives über seinen neuen Fahrer Nico Hülkenberg zu sagen, ohne das Lob mit einer gepfefferten Kritik an dessen Vorgänger Mick Schumacher zu verknüpfen. "Im Nachhinein ist man immer schlauer", sagte der 57-jährige Südtiroler in Dschidda über den von ihm vollzogenen Wechsel von Rookie Schumacher zum erfahrenen Hülkenberg. Es gebe jetzt "zehn gute Teams, alle mit einem ähnlichen Budget, finanziell und technisch solide aufgestellt. Da rückt alles enger zusammen, und dann brauchst du gute Fahrer." Ein solcher sei eben Hülkenberg.

Schumacher hatte im Vorjahr seinen Haas öfter mal geschrottet, in Zeiten der Budgetgrenze sei es aber wichtig, dass die Fahrer keine Unfälle bauen, die kostspielig sind und sich so auf die Entwicklungsressourcen negativ auswirken: "Es ist entscheidend, dafür so wenig Geld wie möglich auszugeben", sagte Steiner. Schumacher habe zwei Jahre Zeit gehabt bei Haas. "Aber man kann nicht auf ein totes Pferd einprügeln. Er war nicht glücklich. Ich würde aber sagen, er hat es kommen sehen."

Steiner, ein gelernter Metzger, greift also rhetorisch tief ins Wurstregal und holt heraus: nicht die feine Zarte, sondern die grobe Fette.

Red Bull

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(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Auf der Rennstrecke liefert der Brauserennstall anders als auf dem Fußballplatz nun schon im zweiten Jahr nacheinander die Pokale wie bestellt. Nach dem Ableben des Firmengründers Dietrich Mateschitz im Vorjahr müssen sich seine Diadochen aus den unterschiedlichen Geschäftsfeldern daher noch ein wenig sortieren, wie es scheint. Der ehemalige Fußballmanager und neue Konzernchef Oliver Mintzlaff war in Dschidda an der Box und wurde Zeuge der in diesem Jahr noch weiter angewachsenen Dominanz der RB-Boliden.

Direkt nach der Landung dürfte ihm die knackige Einschätzung über sich überliefert worden sein, die der RB-Motorsportkonsulent Helmut Marko, 79, über ihn ausgerechnet in der Zeitschrift Speedweek getätigt hatte, die zum Red Bull Konzern gehört. "Es ist nicht mehr so, dass ich nach jedem Training und Rennen telefonisch berichte", erklärte der 79-Jährige, der über viele Jahre mit Mateschitz befreundet war. "Das direkte, persönliche und freundschaftliche Verhältnis ist nicht mehr da. Didi war ein Visionär, hatte Emotionen. Das sehe ich jetzt nicht mehr." Mintzlaff hingegen habe er erst "zweimal getroffen. Er bekam Einblicke. Wie weit er auf unsere Ideen eingehen wird, wird man sehen. Red Bull Racing war immer sehr unabhängig."

In Dschidda schob Marko noch eine weitere Spitze nach: "Ich glaube, Mintzlaff ist ja eh beschäftigt nach Manchester ..." Das war eine Anspielung auf die 0:7-Klatsche von RB Leipzig am vergangenen Dienstag im Champions-League-Achtelfinale gegen Manchester City. Fünf der sieben Tore erzielte ein gewisser Erling Haaland, dessen internationale Karriere einst bei Red Bull Salzburg begonnen hatte.

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