Immer dann, wenn einer der schwarzen Rennwagen mit den auffälligen neongrünen Streifen in die Boxengasse abbog, stieg der Puls vor der Garage des Sauber-Teams stärker an als bei der Konkurrenz. Reifenwechsel in der Formel 1 sind nicht nur dem Material geschuldet, sie sind auch ein bewährtes Mittel, um Plätze zu gewinnen. Oder, wie im Fall des künftigen Audi-Werksteams, sie zu verlieren. Abgeschlagen Letzter waren die Schweizer zu Saisonbeginn in der Boxenstopp-Wertung. Kürzlich beim Rennen in Aserbaidschan aber wechselten die Sauber-Männer die Reifen plötzlich schneller als alle anderen. Die drastische und in dieser Zeitspanne kaum für möglich gehaltene Wende ist eng mit dem Namen Lee Stevenson verbunden. Der Brite ist seit April Chefmechaniker in Hinwil und bringt zwei Jahrzehnte Erfahrung von Red Bull Racing mit, wo er auch für die Siegerautos von Max Verstappen verantwortlich war.
Der Fahrermarkt in dieser Saison mag ja schon ungewöhnlich aktiv gewesen sein, noch mehr aber tut sich beim technischen Personal. Der Wirkungstreffer Stevenson unterstreicht, warum das Headhunting zum vornehmsten Sport der Teamchefs geworden ist. Es ist die Jagd nach den Raketenmännern, die trotz der Pause vor den entscheidenden sechs WM-Läufen im diesjährigen Titelrennen in vollem Gange ist. Unmittelbar nach dem Großen Preis von Singapur hat Red Bull Racing seinen führenden Rennstrategen Will Courtenay verloren, an den härtesten Konkurrenten McLaren, wo er Sportdirektor wird. Schon zuvor hat sich Audi Red Bulls Teammanager Jonathan Wheatley geangelt, der in Hinwil zum Teamchef befördert wird. Dass es gerade jetzt zu so vielen Verschiebungen kommt, hat Gründe: 2026 steht ein drastischer Wechsel im technischen Reglement an, und wer dann in neuer Position mitmischen will, muss spätestens ein Jahr vorher kündigen. So hat Mercedes mit dem ehemaligen Ferrari-Entwickler Simone Resta bereits den Mann für den Silberpfeil der nächsten Generation geholt.
Formel 1:Aston Martin schnappt sich Adrian Newey
Der Rennstall um den milliardenschweren Investor Lawrence Stroll hat den erfolgreichsten Designer der Grand-Prix-Geschichte verpflichtet. Mit Newey, der bei Red Bull wohl genug hatte vom Trubel, wird Aston Martin auch für die Topfahrer interessanter.
Das größte Beben aber hat Adrian Newey ausgelöst, als er im Mai seinen Abschied vom Champions-Rennstall verkündete. Mit Neweys bisherigem Arbeitgeber geht es seither abwärts, mit den Finanzen des als Superhirn geltenden Aerodynamikers deutlich aufwärts. Für Aston Martin soll der 65-Jährige wiederholen, was er mit Red Bull in nur fünf Jahren geschafft hatte – ein Weltmeisterteam aufbauen. Dafür soll er geschätzte 35 Millionen Euro im Jahr kassieren. Die Voraussetzungen, Multimilliardär und Aston-Besitzer Lawrence Stroll zum Sieger zu machen, stehen gut. In den zurückliegenden Jahren heuerten viele Experten bei der Traditionsmarke an, seit Anfang der Woche führt dort Andy Cowell die Geschäfte. Der Motorentechniker war entscheidend daran beteiligt, dass Mercedes die Hybrid-Epoche der Königsklasse prägen konnte. Sein damaliger Partner, Technikchef Bob Bell, trägt bereits seit März das britische racing green, ebenso wie Ferraris Topingenieur Enrico Cardile. Ein echtes Starensemble.
Tatsächlich wechseln die Techniker in Scharen die Teamfarben. Der von US-Investoren neuerdings gut finanzierte Traditionsrennstall Williams hat im Juni gleich 26 neue Ingenieure eingestellt. Frisches Blut und Aderlass wechseln sich quer durchs Feld ab. Häufig sind es die Leute in der zweiten Reihe, die die Qualität eines Rennstalls ausmachen. Dass Red Bull und Mercedes von den Wechselspielen derzeit so stark betroffen sind, ist kein Zufall. Jeder Grand-Prix-Sieg hält Eingang in die Bewerbungsunterlagen der Ingenieure. Der Markt ist klein, und er ist – mit gelegentlichen Ausnahmen in Italien und Deutschland – auf Mittelengland konzentriert. Den Arbeitgeber wechseln, aber den Wohnort behalten zu können, ist neben einer Gehaltszulage oder Beförderung ein schlagendes Argument für den Jobwechsel.
Die hohe Fluktuation ist wohl auch Folge der strikten Budgetdeckelung in der Formel 1
Alle Leute, die den kriselnden französischen Rennstall Alpine mit Teamsitz nahe Oxford verlassen haben, sind längst untergekommen. Dafür wirkt in Enstone mit David Sanchez neuerdings ein ehemaliger Ferrari-Mann. Der hatte sich zu Saisonbeginn bei McLaren versucht, wurde dort aber nicht glücklich – und fand im Handumdrehen einen neuen Topjob. Personalneuigkeiten werden von den meisten Rennställen gern hinausposaunt, um das eigene Ansehen in der Branche zu stärken oder Sponsoren zufriedenzustellen. Mit zwei großen Ausnahmen: Bei Ferrari gilt schon immer, dass die Marke größer zu sein hat als der Einzelne, daran hält sich auch Teamchef Fred Vasseur. Der Franzose hat nach eigenen Angaben in den anderthalb Jahren seines Wirkens schon eine halbe Hundertschaft an Experten eingestellt. Noch heimlicher bastelt der US-Amerikaner Michael Andretti an seinem Formel-1-Projekt, obwohl seine Zulassung als elfter Rennstall schon mehrmals abgeschmettert worden ist. Mittlerweile soll die britische Andretti-Filiale schon mehr als 120 Angestellte umfassen, darunter auch der legendäre Technikchef Pat Symonds, einst Kopf hinter Michael Schumachers erstem Titelgewinn.
Für das Fachmagazin Auto, Motor und Sport ist die hohe Fluktuation in Technikerkreisen eine Folge der strikten Budgetdeckelung in der Formel 1. Teams im unteren Bereich des Kostenlimits hätten noch Luft nach oben und könnten mit besseren Gehältern oder attraktiven Posten um Zugänge werben. Die Toprennställe hingegen müssen sparen und genau überlegen, wem sie Extraprämien geben und wie hoch diese sein können. Irgendwann aber, so glaubt Red-Bull-Teamchef Christian Horner, wird das Wettbieten vorbei sein, da dann alle an der Obergrenze operieren. Seine Prognose ist, dass die heute mehr als 1000 Mitarbeiter umfassenden Rennkonzerne deutlich schrumpfen werden. Das würde nicht ganz dem schon immer darwinistischen Prinzip der Königsklasse entsprechen: mehr Qualität als Quantität. Der Grundstein dafür wird in diesen Wochen gelegt.