An den Dramen, die Netflix für seine erfolgreiche Formel-1-Soap Drive to Survive konstruiert, hat Max Verstappen wenig bis kein Interesse. Kein Wunder, er war ja meistens darin verwickelt, und zwar live. Kurz vor dem Großen Preis von Australien hat der Niederländer erzählt, dass er die populäre Serie zwar prinzipiell nicht angucke, aber manchmal in den sozialen Medien darauf aufmerksam gemacht werde. Das nerve ihn, und er versuche es zu ignorieren, damit solche Posts seltener auftauchen. Blockieren will er nicht, denn dann wüssten es ja alle. Das tun sie jetzt auch.
Dramatisch kann man auch jene Vermutung nennen, die es vor dem Start in die Jubiläumssaison in Melbourne (Sonntag, 5 Uhr MEZ) in der wirklichen Königsklasse gibt: dass nämlich Herausforderer Lando Norris und dessen McLaren-Rennstall haushoch überlegen sein könnten. Das waren sie gelegentlich schon am Ende der Vorsaison, als Verstappen (Red Bull) dank einer fahrerischen Ausnahmeleistung und seiner frühen Siegesserie den Titel doch noch zum dritten Mal erfolgreich verteidigen konnte. Da waren die Briten noch nicht konstant genug. Jetzt, im letzten Jahr des Groundeffect-Reglements, ist Norris der Favorit, auch wenn alle Welt vor allem darauf schauen wird, wie sich Lewis Hamilton im Ferrari schlägt. Im Idealfall gibt es einen Mehrkampf um den Titel. Norris, dessen Nerven nicht immer die besten waren, versucht abzuwiegeln: „Jeder spielt Spielchen und versucht gerade, Außenseiter zu sein.“

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Verstappen wirkt keinesfalls unglücklich darüber, dass er mal nicht so sehr im Mittelpunkt steht, bevor es losgeht. Richtig Spaß hat der Niederländer in einem Clip, in dem er seine Reaktionsübungen vorführt, etwa ein fallendes Lineal möglichst ohne großen Zentimeterverlust aufzufangen. Seinen eigenen Maßstäben zu genügen, würde ihm reichen. Die sind bei einem vollumfänglichen Ehrgeizling schon hoch genug, und im Erfolgsfall würde ihm am Ende dieser Mammutsaison ein fünfter Titel in Serie winken, das hat bisher nur Michael Schumacher geschafft. Der saß nach der Jahrtausendwende allerdings im besten Rennauto, Verstappen zuletzt nur im drittbesten. Außenseiter auf hohem Niveau, das ist dessen neue Rolle. Sie macht ihn tatsächlich gelassener, aber natürlich nicht weniger gefährlich. Fürs Ego zählen Erfolge mit unterlegenem Material doppelt, denn dann hat der Mensch den Unterschied gemacht.
Vorerst dürfen die Teamkollegen Norris und Piastri wieder beide auf Sieg fahren
Im Fahrerlager im Albert Park halten einige Verstappens vorgetragenen Pessimismus, sein RB 21 sei noch nicht siegfähig, für einen Bluff. Aber tatsächlich herrscht in einem Jahr, in dem sich die Rennwagen theoretisch noch mal weiter angenähert haben müssten, überall Ungewissheit. Ferrari und Hamilton haben es noch am einfachsten, da wird beinahe alles von der emotionalen Erwartung übertüncht. Mercedes gibt mit neu formierter Mannschaft den Außenseiter. Red Bull hat Champion Verstappen mit dem neuseeländischen Fast-Rookie Liam Lawson kombiniert.

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Damit richten sich alle Blicke auf Konstrukteursweltmeister McLaren, wo die Besetzung mit Norris und Oscar Piastri unverändert ist. Beide besitzen eine ähnliche Siegfähigkeit, ein eskalierender Stallkrieg im Vorjahr wurde mit einem papaya rules genannten Nichtangriffspakt verhindert. Der Australier Piastri, dessen Vertrag gerade vorzeitig verlängert wurde (angeblich bis 2028), hatte sich widerwillig gefügt. Jetzt will er Revanche. Vorerst dürfen beide wieder auf Sieg fahren.
Sein Hauptaugenmerk aber legt Norris auf den Kampf mit seinem Kumpel Verstappen, den er weiterhin für den gefährlichsten Gegner hält. Im Vorjahr waren das echte Rad-an-Rad-Duelle, die mehrmals aus dem Ruder liefen. Auch, weil der Brite ähnlich wie bei seinen vielen verlorenen Startmanövern am Ende nicht die Nerven behielt. Er habe eine Menge gelernt letztes Jahr, erzählt er in Melbourne: „Ich war eindeutig noch nicht bereit dafür. Das liegt daran, dass ein Rennen gegen Max eine einzigartige Situation ist, die man sonst im Leben nicht erlebt. Er ist der härteste Gegner, gegen den man fahren kann. Denn er wird immer derjenige sein, der am meisten an die Grenzen geht.“
Norris glaubt zwar auch, dass in diesem Jahr mehr Piloten um Siege fahren können, aber durch seine Fixierung auf die Revanche erhebt er den fast schon zum Außenseiter im Titelrennen abgestuften Weltmeister wieder in die Favoritenrolle. Das deckt sich mit den drastischen Schlüssen, zu der die Zeitung The Australian kommt: „Der einzige Modus, den Max kennt, ist der Modus einer Bestie. Er pflügt wie ein Krokodil auf Beutezug durch das Feld. Jedes Mal, wenn Norris zugibt, dass ihm der Glaube an sich selbst fehlt, leckt sich Verstappen die Lippen und wittert Blut. Und jedes Mal, wenn George Russell Verstappen einen Tyrannen nennt, ist das Musik in den Ohren des Holländers.“ Der Kolumnist hält die Gegner Verstappens zwar für nett genug, um eine Boygroup gründen zu können – aber nicht für so knallhart wie Verstappen. Das Insiderwissen stammt, woher auch sonst, aus Drive to Survive. In der Folge „In der Hitze der Nacht“ filmen Norris, Charles Leclerc und George Russell ihr Privatleben sogar zum Teil selbst. Max Verstappen scrollt einfach nur weiter.